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PHOENIX Runde 5/5 Broder, Beck, Erdl und Sonneborn über Political Correctness
g. | Freitag, 12. April 2013, 06:47 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Marc Fabian Erdl ist der Vertreter des Krampfes, Broder bringt es auf den Punkt: „Respekt ist nichts Bewahrenswertes.“ Respekt einfordern heißt, sich gegen Einwände, Beschimpfungen und Spott zu immunisieren. Benimmregeln sind Unfug. Wenn die Frankfurter Schule keine Witze über Moslems oder Judengemacht hat, ist diese Zurückhaltung nicht dadurch motiviert, dass sie meinten man dürfe das nicht, sondern dadurch, dass man sich entweder selbst nicht über den Weg trauten oder eben, dass es nicht lustig ist, in einer aufgeheizten ausländerfeindlichen Stimmung beispielsweise Terrorismus und Islam in einen Topf zu packen. Ein Jeder kehre vor seiner eigenen Tür ist ein Akt von Höflichkeit, keine Vorschrift.
Überhaupt: Was soll Political Correctness eigentlich bedeuten? Entweder geht es um die Bewertung eines Sachverhaltes, beispielsweise eines historischen. Oder um Sprachregelungen, d. h. um Benennungen, Stichworte, Redefiguren. Die Auseinandersetzung mit Sachverhalten kann man sinnvollerweise nicht unter PC fassen, sondern nur die Sprechweisen. Wenn ein Sachverhalt geleugnet wird, kann man widersprechen, ihn darstellen und belegen.
Es scheint zwei verschiedene Verwendungszusammenhänge und Motivlagen zu geben. Entweder man will ein Tabu aufbauen oder sich über ein vermeintliches Tabu gegen Einwände immunisieren. Beides ist idiotisch.
Entweder man versucht sich mit den Bewertungen und Sachverhalten auseinander zu setzen oder – was natürlich ebenso legitim ist – man sagt, dass es einem zu blöde ist, mit Leuten zu reden, die nicht akzeptieren wollen, dass es die Shoa gegeben hat bzw. den Sklavenhandel usw. Der Satz: „Das darf man nicht sagen“ ist die Entsprechung von „So darf man das nicht sagen“ . Wenn jemand ein Antisemit ist, redet er antisemitisch, was auch sonst? Wenn jemand antisemitische Floskeln von sich gibt, ist er oder sie entweder Antisemit oder weiß es nicht besser. Im 1. Fall ist das so und man mag sich Gedanken darüber machen, wie man den verhärteten Standpunkt aufbrechen könnte oder man lässt es bleiben, im 2. Fall sollte man sich die Mühe machen, zu überzeugen.
Richtiges (korrektes) oder falsches (unkorrektes) Reden über etwas ist Unsinn.
Ein anderes Thema ist bewusstes oder unbewusstes Beleidigen.
Vor einigen Jahren saß ich mal in einer Kneipe. Am Nebentisch unterhielt sich ein Trupp Hessen und Thüringer über die Juden. Sie waren sich einig, dass ja mal Schluss sein müsste, dass die ewige Rücksichtnahme schlimm sei und dass die Juden sehr geschickt darin seien, ihre Interessen durchzusetzen. Na, und so weiter und so fort.
Irgendwann wurde es mir zu viel und ich ging rüber und widersprach dem Treiben.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, die Truppe von ihrer Bewertung abzubringen sicher nicht. Mir ging das blöde Gequatsche einfach auf die Nerven und außerdem hinderte es mich daran, mit meiner Frau zu plaudern.
Natürlich kam – vorhersehbar – die Reaktion: „Das darf man wohl in Deutschland nicht sagen.“
„Sie haben es ja gerade gesagt.“
Na und dann entwickelte sich der übliche Ablauf. Jedem Widerspruch wurde mit den gleichen Stereotypen begegnet. Wie gesagt, eigentlich hatte ich auch nichts anderes erwartet, ich wollte aber meinem Ärger Luft verschaffen. Es platzt einem halt hin und wieder die Hutschnur.
Irgendwann fiel mir auf, dass eine Frau aus der Truppe mir intensiv ins Gesicht starrte und nach dem zweiten oder dritten Wortwechsel machte sie Bemerkungen über zusammengewachsene Augen brauen, an denen man „die“ erkenne.
Da war ich dann erst mal fassungslos.
Ich sehe wie der Prototyp des Ariers aus. Darauf kam es diesen Leuten aber natürlich nicht an. Sie konnten und wollten argumentativ nichts entgegensetzen, sie wollten mich mit Beleidigungen vertreiben.
Ich bin kein Jude und so ging mir das auf der persönlichen Ebene am Arsch vorbei. Dieses Anpöbeln hätte wahrscheinlich kaum ein Jude ausgehalten. Wenn Juden anwesend gewesen wären, wäre die Situation wahrscheinlich, nun, eskaliert, weil es nicht zu dulden ist, dass man Menschen beschimpft.
Worauf ich hinaus will: Beleidigungen in konkreten Situationen können unerträglich sein, beleidigende Sprechweisen im öffentlichen Raum und schon gar nicht auf der lexikalischen Ebene, sind nicht das Problem. Sie zu unterbinden ist für die betroffene Gruppe angenehmer, sie macht aber auch das Problem unsichtbar und verhindert eine Auseinandersetzung. Wer Jude, Schwarzer, … ist hat jedes Recht sich gegen Beschimpfungen zu verwahren. Wer kein Jude, Schwarzer, … ist, sollte sich mit dem Dreck auseinandersetzen und wenn er oder sie keinen Bock darauf hat oder sich nicht in der Lage sieht (“Man muss nicht mit jedem reden“ sagte mal ein Freund zu mir.), zu argumentieren oder zurück zu pöbeln, einfach die Klappe halten und nicht versuchen sich vor Ungemach zu schützen.
Liebe Mittelschichtskinder, Meinungsmacher und Gesundbeter in Gesellschaft, Wissenschaft und Medien, lasst mich mit eurer Scheiße zufrieden. Hört auf euch über Herdprämie, türkenfrei oder Behindertentransport aufzuregen, hört auf, jeden mit Samthandschuhen anzufassen und die Sprecherposition über die Wolken zu dropsen. (Und nein: ich bin kein leidenschaftlicher „Neger“-Sager, sondern ein „N-Wort“-Verächter.) Bloß gut, dass man nicht alles lesen muss und der Erste, der sich beschwert, wenn ich einen Köter Köter nenne, kriegt ein paar hinter die Löffel.
Na ja, schon Erasmus von Rotterdam meinte, das man einen Einäugigen nicht einäugig, einen Hinkenden nicht hinkend und einen Schielenden nicht schielend nennen solle. In seiner Gegenwart sei das unhöflich. Womit er recht hat.
Wer noch nicht genug gelesen oder geguckt hat:
Ein einigermaßen vernünftiger Artikel zu PC
Über PC als Nachhall gesellschaftlicher Veränderungen
„Mädchen sind doof“ PC als Verletzung des Kooperationsprinzips (ein kleiner historischer Abriss im Rahmen einer linguistischen Seminararbeit, also nicht zu viel erwarten)
Scheint interessant zu sein (Es ist ja sowieso ein Kommunikationsproblem und kein Sprachproblem.)
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