Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 21. März 2013
Rumbalotte oder „Ruhm und Ehre der baltischen …“ VI
Der Anlass für die Betrachtungen zum obszönen Witz war ja der „Fall Brüderle“, der meines Erachtens wenig mit ‚Sexismus‘ zu tun hat und die nachfolgende ‚#aufschrei“-Debatte, die keine Debatte war, aber eine Diskussion über Sexismus beim Stern erfolgreich verhindert hat.

Nun ein erster Versuch die Gedanken über obszönes Reden, obszöne Witze und Frauenfeindlichkeit zu ordnen. Die Lücken und Unsicherheiten sind – denke ich – offensichtlich. Na ja, wir sind hier ja nicht im Colloquium und so müssen Sie halt ergänzen und/oder widersprechen.

In welchen Situationen und mit welcher Intention wird von wem unanständig oder sexistisch geredet?
  1. Anbaggern
    Als Ausgangspunkt ein Text von Hermann Bausinger .
    Bausingers Differenzierung bäuerlicher, proletarischer und bürgerlicher Geschlechterbeziehungen führt uns zu der These, dass ‚sexistisches‘ anbaggern mittels der obszönen Rede im 19. Jahrhundert wie heute keineswegs etwas mit allgemeinen Geschlechterbeziehungen zu tun hat, sondern mit dem Unterschied legitimer und illegitimer Beziehungen im bürgerlichen, heute muss man wohl sagen im kleinbürgerlichen Milieu zu tun hat. Das heutzutage Normale (und nicht unbedingt das Normative) ist das „sentimental eingefärbte(n) Emotionale(n)“, sexuell gefärbte Annäherungsversuche gelten in diesem Milieu als unangemessen, weil der illegitimen Sphäre zugehörig. Das Überschreiten dieser Grenze ist tabuisiert.

    „Im bürgerlichen Milieu war die Ehefrau weithin freigestellt von der Arbeit außer Haus; die Kinder waren wohlbehütet - und das hieß, vor allem für die Mädchen, gut bewacht. Schon dieser äußere Rahmen erzeugte neue Beziehungsformen;…“

    Auch wenn die Ehefrauen nicht mehr in gleichem Maße von der „Arbeit außer Haus“ freigestellt ist, wachsen die Kinder in diesem Milieu in wahrscheinlich noch größerem Maße als im 19. Jahrhundert wohlbehütet und wohlbewacht auf. Hinzu kommt eine aberwitzige Bedeutungserhöhung der Kinder in Familie und Gesellschaft, die dem Narzissmus von Eltern und Kindern Vorschub leistet und die Beziehungen zwischen „den Geschlechtern“ normativ ritualisiert. Abweichungen werden als Bedrohungen des Selbstbildes wahrgenommen. Die Situation verschärft sich noch durch die zunehmend prekärer werdenden Rahmenbedingungen der Existenzgewinnung im kleinbürgerlichen Milieu. Das „Kontrastprogramm“ der Jugendkulturen von dem Bausinger redet, ist inzwischen nach meiner Wahrnehmung weitgehend marginalisiert und es ist eine Generation von – polemisch ausgedrückt – Tugendbolden herangewachsen, die – ob das gelingt wird die Zukunft zeigen – hegemonial werden möchte.

    Nun, wie dem auch sei, das Zotenreißen ist definitiv kein bei Jungs und Mädels, Frauen und Männern, akzeptiertes Modell. Ganz im Gegenteil: wer das Tabu bricht, landet im Abseits. Bliebe noch das Problem der Lust , das immer mal wieder in das Spannungsfeld von Keuschheit aus Unsicherheit und/oder Liebe einbricht. Recht charmant ist das Thema hier aufgegriffen.


  2. Sexuelle Fantasien und das Tabu der öffentlichen Rede
    Der Freund der australischen Ministerpräsidentin macht einen Witz und löst einen Skandal aus .
    Wenn man sich nun den Skandal von den Geschlechtern her durchdenkt, äußert der Freund der Ministerpräsidentin eine sexuelle Fantasie, wie sie in Männerrunden hinter verschlossenen Türen Gang und Gäbe ist. Das Problem ist das öffentliche Reden und – strafverschärfend – das Faktum, dass er mit einer öffentlichen Person liiert ist. Vom anderen Pol betrachtet ist es, ja was eigentlich? Wenn man sich die konkrete Situation vorstellt, wenn also sich ein Mann bei einer asiatischen Ärztin untersuchen lässt und sie von seinen Fantasien weiß oder er sie zu allem Überfluss auch noch vor oder in der Situation geäußert hat, wäre es eine unverschämte Grenzüberschreitung. Solche Männer gibt es sicherlich, die Mehrheit dürfte es wohl nicht sein und Sanktionen wären zweifellos angebracht und der Mann würde zumindest der Praxis verwiesen. Der obszöne Scherz wurde nur eben gerade nicht in einer konkreten Situation geäußert, sondern in an die (männliche) Allgemeinheit gerichteten öffentlichen Rede. Aber ist die Obszönität damit schon frauenfeindlich? Ausdruck von Herabwürdigung? Oder die Frage anders gestellt: ist die „Reduzierung“ (Begrenzung) auf die Frau als sexuelles Objekt frauenfeindlich? Ich weiß es nicht so genau.

    Keine konkrete Person wird in Alltagssituationen sonderlich begeistert davon sein als Objekt der Begierde in den Fokus zu geraten. Unser Alltag ist sinnvollerweise davon geprägt, dass davon abgesehen wird. Die Verkäuferin will etwas verkaufen und der Kunde will etwas erwerben, man will eine Auskunft haben, oder oder. Als Objekt der Begierde in den Fokus zu geraten ist definitiv begrenzt auf die Situationen der Partnersuche.

    Aber wie verhält es sich mit der allgemeinen, der öffentlichen Rede, die ja keinen direkten Adressaten hat?
    Dass es ein Tabubruch ist, scheint klar zu sein, aber ist es auch beleidigend, ist es herabwürdigend?
    Kann man so sehr Geschlechtswesen sein, dass man es als generelle Reduzierung empfindet?
    Und gibt es dabei einen Unterschied zwischen Männern und Frauen, etwa aufgrund des deutlich höheren Risikos von sexueller Belästigung und Vergewaltigung, die hier zwar nicht in Rede stehen, aber natürlich im Hintergrund immer mitschwingen?
    Ich weiß es schlicht und ergreifend nicht. Da ich Witze und Anspielungen gegen Männer eher nicht als herabwürdigend empfinde, der Pflege des Ansehens der eigenen Potenz wenig abgewinnen kann und auch sonst eine eher schwach ausgeprägte Geschlechtsehre habe, muss ich passen.
    Steht ein Bodybilder vor dem Spiegel und meint zur Freundin: Das
    sind 80Kg pures Dynamit. Sagt Sie: Nur schade dass die Zündschnur so
    kurz ist!
    Eigentlich ist der Bodybuilderwitz so dünne, wenn auch symptomatisch, dass er des Erzählens nicht Wert gewesen wäre, wenn, ja wenn mir nicht dazu die Geschichte einer Bekannten eingefallen wäre, deren loses Mundwerk legendär war. Sie begegnete an einem dieser schwül-drückenden Sommertage, die einen auf recht wunderliche Abwege führen, hier in Berlin auf der Kantstraße einem Typen, dessen Muskelwülste so aus dem T-Shirt hervorquollen, dass … und sagte spontan zu ihm: „Sag mal, kannst Du vor lauter Kraft überhaupt noch laufen?“ (der Typ musste daraufhin ziemlich lachen und da er ein netter Kerl war, sind die Beiden heute noch befreundet.)


  3. Eheklagen: Selbstverständigung der Geschlechter/Paare oder „Keiner trägt das Leben allein.“

    An einer Pommesbude sah ich mal ein Schild: „Die Ehe ist dazu da, Probleme gemeinsam zu lösen, die man alleine nicht hat!“ und direkt darunter: „Ehe ist das Zusammenleben mit einer Frau mit der man keinen Sex hat.“
    Ob der Wurstbratter Zank mit seiner Frau hatte, kann ich nicht sagen. Der Topos der Eheklage (und der untreuen/treuen Ehefrau) ist seit der Renaissance Ausdruck des ökonomisch und sozial prekären Verhältnisses von Eheleuten. (Vorher war das anders.) Wie alt der Topos vom ‚Keinen Sex in der Ehe‘ ist weiß ich nicht. Ich vermute mal, dass er seinen Ursprung erst im Brüchigwerden der Versorgerehe des gehobenen Bürgertums in Verbindung mit dem Ausschließlichwerden der sogenannten romantischen Liebe Ende des 19. Jahrhunderts hat. Im 18. Jahrhundert war wohl die ‚Versorgerehe‘ von sachlichen, also ‚unromantischen‘ Vorstellungen geprägt, die es beiden Eheleuten ermöglichte mit Anderen zu poppen, solange es vertraulich zu ging.
    „Ehe ist, wenn ein bis dahin vollkommen normaler Mann das unbezwingliche Bedürfnis in sich fühlt, für eine ihm bis zu diesem Zeitpunkt wildfremde Frau auf Lebzeiten Kost, Quartier, Kleider und Wäsche gratis beizustellen. Wofür die Gattin ihrerseits sich verpflichtet, getreulich all jene Sorgen mit ihm zu teilen - die er nie haben würde, wenn er sie nicht geheiratet hätte.“
    Wie und in welcher Weise und aus welchen Gründen dann die Eheklagen zu einem der vorherrschendsten Sparten des obszönen Witzes wurden, kann ich nicht sagen. Damit bleibt leider auch die Funktion dieser Art von Scherzen im Dunkel. Da müsst sich mal Einer oder Eine drum kümmern.

    Wie dem auch sei, es ist eine Disziplin für Gsälzbären:
    “Ich glaube, meine Frau ist tot. Im Bett ist sie so wie immer, aber in der Küche sieht es aus wie Sau…”
    Ein Ehemann kommt nach Hause und erwischt seine Frau und deren Liebhaber in flagranti. Wütend brüllt er: „Was treibt ihr denn da?“ Die Frau guckt ihren Liebhaber vielsagend an: „Du wolltest es ja nicht glauben: Mein Mann hat keine Ahnung davon!“


  4. Egopflege von Kerlen
    In Männerrunden so ziemlich aller Stände sind Witze über die überbordende Potenz, die Versicherung der eigenen Manneskraft, sowie das sarkastische und/oder selbstironische Lustigmachen über das Nachlassen derselben häufig anzutreffen. Einige Beispiele wurden dazu ja ausgebreitet. In diese Rubrik gehört dann auch die Bewunderung für die Potenz möglichst unkonkreter Anderer, wobei diese Art von Scherzen immer einen Verweis auf die Potenz des eigenen Geschlechts mitschwingen lässt. Als Beispiel mag der Rumbalotte-Witz dienen.
    Ein Sonderfall ist die Schilderung von „Helden“taten im Krieg, die meines Wissens nicht in Witzform präsentiert werden. Neizel/Welzer berichten darüber. Es geht um Soldaten, die sich mit Vergewaltigungen brüsten. Das dürfte ein Ergebnis der Desozialisation in Kriegszeiten sein. Darüber werde ich, wenn ich es schaffe, nochmals gesondert etwas aufschreiben.


  5. Pubertäre Übungen

    Sex und Partnerschaft sind schwierige Themen für Heranwachsende,da hilft Zotenreißen bei der Aneignung, Eingewöhnung bzw. beim Umgang mit den verschiedenen Tabus. Tatsächlich lernen kann man Verlieben, Liebe und Sex nur durch ausprobieren.


  6. Aggressive Herabwürdigung und Bedrohungen von Frauen aus der Distanz

    Soll heißen: „bei dir wird mir die Hose zu eng“ und ähnliche Kommentare, die teilweise bis zu Vergewaltigungsfantasien und Vergewaltigungsdrohungen gehen und damit im strafrechtlich relevanten Bereich angesiedelt sind. Solche Ausfälle lese ich insbesondere in den Kommentarsektionen von Zeitungen und Zeitschriften.
    Ich nehme da zwei verschiedene Sachverhalte war, die ich nicht wirklich, außer als weitgehend unwissender Hobbypsychologe, erklären kann. Einerseits die aggressive Abwehr feministischer Thesen, etwa durch die Maskulinisten, die sich in ihrer Geschlechtsehre angegriffen fühlen und/oder die Konkurrenz, im Rahmen der enger werdenden Möglichkeiten seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, fürchten. Das zweite wäre dann – zumindest für mich – noch ein nachvollziehbarer (im Sinne von verstehbar) Grund.

    Der andere Sachverhalt, deutlich seltener, sind dann die unmotivierten Ausfälle gegen alle Frauen.
    In diesem Zusammenhang wäre dann wohl sinnvollerweise auch über die Thesen zur ‚rape cultur‘ zu diskutieren, die nach dem derzeitigen Stand meiner Überlegungen wohl mit einem: Nein, aber ... zu beantworten wäre. Nein , weil von einer allgemeinen Billigung von Vergewaltigungen und Nötigungen nicht gesprochen werden kann, aber weil es in der Rechtsprechung immer wieder Urteile gibt, die mehr als bedenklich sind.


  7. kalkulierter Tabubruch: die Zote als ‚Kunst’form im intellektuellen und weniger intellektuellem Genre

    Dazu kann ich dann wohl nur einige Stichworte liefern. In Ermangelung einer Humortheorie, die einigermaßen Substanz hat, lässt sich dazu wenig Gültiges sagen. Ausgangspunkt einer solchen Theorie wäre wohl Jean Pauls Vorschule und das Karnevalsbuch von Bachtin.

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