Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 12. Februar 2013
So geht Internet
Eine Boulevardreporterin wird von ihren Redakteuren ausgeschickt um als junge hübsche Frau, aufgebrezelt?, Politiker zu stalken. Sie soll aus einem alternden Politprofi (von dem ich schlicht nicht weiß, ob er sich gegen die Belästigung wehren wollte, ein Benimmdefizit hat oder - am Wahrscheinlichsten - generell Frauen für eine etwas depperte aber leckere Subspecies hält) Äußerungen herauslocken, die er wahrscheinlich gegenüber einem männlichen Reporter nie machen würde. Sie findet das auch noch völlig in Ordnung und supi. Sie fängt sich einige derbe bis zottige Sprüche ein.

Ein Jahr später passt es der Redaktion des Boulevardblattes prima in die politische Agenda, der Schnapsdrossel einen einzurühren und so wird ein Skandal inszeniert. Die Klatschreporterin wird zu züchtiger Kleidung verdonnert und darf dabei stehen wenn die Agendamaker vor die Pressekollegen treten.

Das Netzgemüse springt auf den Zug auf und sorgt für die Verstärkung der Inszenierung. Über Twitter und Blogs werden Meinungen und Befindlichkeiten in dieses Internet da geblasen, dass es eine wahre Freude ist.

Vom fundamentalen oder so Elend, dass die allermeisten Menschen nicht akzeptieren wollen, dass es mehr als zwei Geschlechter gäbe über den Skandal, dass sich Männlein und Weiblein baggernd finden und den häufiger vorkommenden Missverständnissen bei diesem Treiben bis hin zu blöder und ekelhafter Anmache, üblen Übergriffen und schweren Gewaltverbrechen. Alles wird zu einer Soße vermengt, schnepfig flankiert von einigen naiv gebliebenen Herren, die sich beispielsweise über Herrenwitze auslassen ohne etwas über Altherrenwitze, Herrenwitze oder gar Zoten zu wissen und zu faul zum recherchieren sind, schließlich geht es um die richtige Gesinnung und nicht um Sachverhalte, so dass sich die Mehrheit von Frauen und Männern irritiert bis genervt abwendet. Einzelne versuchen ein wenig Ordnung zu schaffen und die Diskussion zu strukturieren und ihr vielleicht auch noch ein Ziel zu geben. Die narzisstische Meute pöbelt sie an. Es wird zurückgepöbelt (und ewig jammern die Weibchen) und alles versinkt in einem subjektivitischen Auskotzen. Aber toll, dass wir mal drüber geredet haben.

Die Journaille riecht, dass eine neue Sau durchs Dorf rennt, die vom ‚Volk‘ goutiert wird (60 000 Meinungen. Sauwichtig, wahrscheinlich haben diese vielen Meinungen sogar mehr als zehn Leute geäußert, vielleicht sogar hundert. Netzgemüse und Presse flippen aus. So viel Lärm um irgendwas. Toll.) und bläst den „Skandal“ (und nu singen wir alle zusammen: ‚Skandal! Skandal um Rainer‘) über Talkshows und Artikel in den leidlich seriösen und weniger seriösen Blättern zum medialen Ereignis auf.

Und? Wat hättet nützt? Mer was et net, aber es ist auch egal, weil kurz davor ein anderer Skandal durch die Lande geblasen wurde (soll man in Kinderbüchern ‚Neger‘ schreiben dürfen oder geht davon das Abendland unter) und der nächste Hype lauert schon hinter der nächsten Ecke in Gestalt eines Landesministers, der zwar nichts rassistisches gesagt hat, aber meine Güte, so eng darf man das nicht sehen, irgendwie werden wir die Sau schon zum laufen kriegen.

So geht Internet, alle reden durcheinander, keiner hört dem anderen zu, alles wird zu einem großen Brei vermanscht und verpampert und niemand will etwas konkretes. Alle wollen sich nur äußern und auf jeden Fall gegen die Anderen gewinnen im Verlautbarungswettstreit. Aber gut, dass wir alle mal drüber geredet haben. Über was eigentlich? Über die Anbahnung von Sex oder von Partnerschaften? Über Benimmregeln? Über Benachteiligungen? Über Gewaltverbrechen? Na ja, so über alles und so, weil alles hängt ja mit allem, zumindest so irgendwie, zusammen. Aber endlich durfte mal jeder das sagen, was ihm oder ihr so mal gerade durch die Rübe rauscht und das was man andauernd immer ohne Unterlass sagt. Sonst darf man das ja nicht? Oder es hört einem keiner zu. Hört jetzt einer zu oder nicken viele nur mit dem Kopf und sagen: „Youh, allet schlimm. Na, lass uns mal ein Bier trinken gehen.“



Wenn es nicht auch noch so irgendwie nebenbei um etwas Wichtiges gehen würde, könnte man sich einfach am Kopf kratzen und sagen: "Ich aber gähne und sage, ach was"

Vielleicht aber beobachten wir gerade das Entstehen einer neu-alten ‚moral majority‘ mit der entsprechenden Bigotterie als kostenloser Zugabe.





Nachtrag

Eine nicht ganz so schreckliche Diskussion



Die Parlamentsreporterin des Tagesspiegels bringt es gegen Ende auf den Punkt: „Aber dann reden wir über ein anderes Thema: Sexismus in der Redaktion des Stern.“

Na ja, und die Vertreterin des Missy Magazins plappert halt ihre Agenda durch, egal was Thema ist.

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