Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 24. Januar 2012
Fahrraddiebe
Mal wieder Freiburg Mitte der 70er Jahre. Ich wohnte damals im Wohnheim der Zivildienstleistenden und wie das eben so ist mit jungen Männern, die zum ersten Mal weg von zuhause sind, da geschehen Dinge, an die man sich auch noch Jahre später recht vergnügt erinnert. Wenn ich an unsere Nacktwannenpartys denke … Aber darum soll es heute nicht gehen.

An einem dieser Sonnabende an denen wir einigermaßen früh aufstanden, um noch vor dem großen Touristenansturm auf dem Bauernmarkt am Münster einzukaufen, schälte ich mich aus dem Bett, hielt meinen Kopf unter die Dusche und versuchte mich an den gestrigen Abend zu erinnern. Wir waren im Reichsadler gewesen, einer Kneipe, die am Kirchentag der Katholiken (ziemlich gefährlich übrigens, so ein Kirchentag) sogar von den Kirchentagsteilnehmern heimgesucht worden war, damals normalerweise aber die übliche Mischung aus jungen Leuten, Drogenfahndern und Verfassungsschützern aufwies. Wir hatten Skat oder Doppelkopf gespielt und es war spät geworden. Wir wankten heim nach Herdern, nur der lange, dürre S. (?) hatte gesagt, dass er mit seinem Fahrrad nach Hause fahren wollte. Wir hatten ihm abgeraten, da er Schwierigkeiten hatte durch die Tür der Gaststätte zu treffen. Okay, wir wankten nach Hause und er wankte um die Ecke zu seinem Fahrrad. Wir kamen alle wohlbehalten zu Hause an.

Am Frühstückstisch sahen wir uns alle wieder, etwas ramponiert, aber guter Dinge. Kaffee trinken, noch eine Runde quatschen, eine Zigarette und dann los zum Wocheneinkauf.
Vor der Haustür sehe ich den S. verzweifelt den Fahrradständer durchsehen.
„Wo ist denn nur mein Fahrrad geblieben?“
„Keine Ahnung, du bist doch gestern Abend damit nach Hause gefahren, oder nicht?“
„Ich glaube ja, doch, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mit dem Rad gekommen bin.“
„Ziemlich sicher?“
„Natürlich, hier ist doch mein Fahrradschlüssel.“
Er hielt mir den Schlüssel vor das Gesicht.
„Ja schon, das ist dein Schlüssel, aber das heißt doch nicht, dass du mit dem Rad auch gefahren bist.“
„Stimmt, aber welches ist mein Rad?“
„Wenn du das nicht weißt?“
„Es ist blau, denke ich?“
„Tja, wenn du es nicht mehr weißt, dann musst du eben alle Räder versuchen aufzuschließen und das Schloss, das du öffnen kannst, gehört zu deinem Rad.“

Und das machte er dann auch, der S. Nach zehn Minuten hatte er das Rad gefunden, öffnete das Schloss, der Riegel schnappte zurück und gab die Speichen frei. Er beäugte das Rad dann misstrauisch und drehte sich zu mir um.
„Das ist nicht mein Rad.“
„Das ist nicht dein Rad?“
fragte ich.
„Niemals, an meinem Rad war ein Schutzblech lose, dieses hier ist tipp topp und sauber. Das kann nicht mein Rad sein. Ich habe mein Rad noch nie sauber gemacht.“
„Aber der Schlüssel passt?“
„Ja, aber das ist nicht mein Rad.“

Wir sahen uns an, dann sagte er:
„Vielleicht habe ich gestern aus Versehen ein Fahrrad geklaut?“
„Aus Versehen?“
Ich musste lachen.
Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Anflug von Verzweiflung.
„Was soll ich denn jetzt machen?
Ich musste noch einmal lachen.
„Na, am besten gehst du zu den Bullen und sagst, Guten Tag, mein Name ist S. Ich habe aus Versehen ein Fahrrad geklaut.“
Ich stellte mir die Gesichter der Polizisten vor und musste lachen.
Auf seinem Gesicht machte sich Panik breit.
„Meinst du?“
Dann dachte ich, es werde Zeit seine Wirrnis zu kanalisieren.
„Weißt du was? Du fährst jetzt mit dem Fahrrad zum Geier, suchst alles ab und wenn dir ein dreckiges Rad mit losem Schutzblech begegnet, siehst du es dir genau an. Vorher gehst du aber noch einmal auf dein Zimmer und sucht einen anderen Fahrradschlüssel und mit dem probierst du dann die, dir bekannt vorkommenden Räder aus. Okay?“
Erleichtert machte er sich von dannen und kurz danach kamen auch alle anderen aus unsrer Truppe und wir machten uns auf den Weg in die Innenstadt. Unterwegs erzählte ich ihnen von dem Problem des S. und so beschlossen wir, vor dem Einkauf noch einen Abstecher zu machen und den S. bei seinem Fahrradproblem zu unterstützen.

Als wir ankamen, stand der S. schon da. Er hatte sein Fahrrad gefunden und auch aufgeschlossen.
Wir beglückwünschten ihn. Er hatte sein Fahrradproblem leichter Hand selber gelöst.
„Na, siehst du, alles kein Problem!“ sagte ich. Er sah mich unglücklich an.
„Ich habe keinen zweiten Schlüssel?“ sagte er zaghaft.
„Wie jetzt?“
„Na, dieser Schlüssel mit dem ich das fremde Fahrrad vorher aufgeschossen habe, das passt auch zu meinem Fahrradschloss.“
„Lass mal sehen.“

Und
„Tatsächlich.“
Und
„Der Schlüssel passt in beide Schlösser.“
Und
„Wie kann das sein?“
„Wahrscheinlich hat der Hersteller nur eine beschränkte Anzahl von Schlössern und dazu passenden Schlüsseln?“
„Schon möglich, aber ausgerechnet hier vor der Kneipe und direkt neben meinem Rad? Das ist unmöglich.“
„Vielleicht hat der Hersteller nur zehn verschiedene Schlösser.“
„Lass uns mal noch einige weitere Schlösser ausprobieren.“

Und das taten wir dann auch, aber kaum hatten wir ein weiteres Schloss geöffnet, kam ein Streifenpolizist vorbei und wir machten uns auf den Weg zum Einkaufen.

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