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Zwischen den Jahren
g. | Montag, 9. Januar 2012, 05:09 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Der schöne 27. September
Ich habe keine Zeitung gelesen.
Ich habe keiner Frau nachgesehen.
Ich habe den Briefkasten nicht geöffnet.
Ich habe keinem einen Guten Tag gewünscht.
Ich habe nicht in den Spiegel gesehen.
Ich habe mit keinem über alte Zeiten gesprochen und
mit keinem über neue Zeiten.
Ich habe nicht über mich nachgedacht.
Ich habe keine Zeile geschrieben.
Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht.
( Thomas Brasch)
Der gleichnamige Gedichtband wurde 1980 veröffentlicht. Als ich das Gedicht kurz nach Weihnachten im Foyer des Berliner Ensembles gelesen habe (über das Publikum im BE sollte man auch mal eine Typologie schreiben), fiel mir als erstes Berthold Brecht ein:
Der RadwechselAus den Buckower Elegien, 1953, wohl nach dem 17. Juni. Als ich Brechts Gedicht zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, dass es während der Zeit der Emigration geschrieben wurde. Ein durchaus nahe liegender, aber wie gewöhnlich, Brecht unversehens verkürzender Gedanke.
Ich sitze am Strassenhang
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gerne, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gerne, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?
(Berthold Brecht)
p.s.: Das Stück, Romeo und Julia in der Übersetzung von Thomas Brasch, war übrigens scheußlich inszeniert.
p.p.s.: Und bevor und damit ich es (nicht) vergesse: Brecht schreibt ja nicht: Ich war nicht gerne und auch nicht: Ich werde ...
p.p.p.s.: Thomas Brasch baut sein Gedicht um das Spechen über alte und neue Zeiten herum. Kein, kein, nicht, kein, dann zweimal kein und nicht, kein, kein. Nicht symetrisch, aber vor den Mittelzeilen Außenbezug, danach Innenbezug. Bei Brecht hingegen zwei Subjekte.
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