Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 36
Ästhetik

Die Favorite liebte die schönen Geister, ohne selbst schöner Geist sein zu wollen. Man erblickte auf ihrem Nachttische unter Schmuck und Putz die neuesten Romane und die flüchtigen Stücke der Zeit; sie beurteilte sie sehr richtig. Sie ging, ohne sich dabei eine Blöße zu geben, von einer Partie Cavagnol oder Binibi zu der Unterhaltung mit einem Akademiker oder Gelehrten über; und alle gestanden, die bloße Feinheit ihres Gefühls entdeckte ihr zuweilen Schönheiten oder Fehler in deren Werken, die dem Auge der Kenner entgangen wären. Mirzoza setzte sie durch ihren Scharfsinn in Erstaunen, brachte sie durch ihre Fragen in Verlegenheit, aber mißbrauchte den Vorteil niemals, den ihr Witz und Schönheit gaben. Es war durchaus nicht unangenehm, ihr gegenüber unrecht zu haben.

Gegen das Ende eines Nachmittags, den Mangogul bei ihr zugebracht hatte, kam Selim, und sie ließ auch Ricarie rufen. Selims Schilderung hat der gelehrte Afrikaner sich für eine andre Stelle aufgehoben. Hier teilt er uns nur mit, daß Ricarie Mitglied der Akademie von Congo sei, daß seine Gelehrsamkeit ihn nicht verhinderte, viel Verstand zu besitzen, daß er gründlich in die Kenntnis vergangener Dinge eingedrungen sei, einen gewissenhaften Eifer für die Regeln der Alten zeigte, die er beständig im Munde führte, daß er ein Prinzipienreiter war und der eifrigste Anhänger der ersten Congoschen Schriftsteller, vornämlich aber eines gewissen Mirufla, der vor ungefähr 3100 Jahren ein erhabenes Poem in kaffrischer Sprache über die Eroberung eines großen Waldes verfaßte, woraus die Kaffern Affen verjagt hatten, die seit undenklicher Zeit darinnen wohnten. Ricarie hatte ihn ins Congosche übersetzt und eine schöne Ausgabe des Originals besorgt mit Anmerkungen, Scholien, Varianten und allen Verzierungen eines gelehrten Benediktinerkodex. Auch besaß man von ihm zwei nach allen Regeln der Kunst schlechte Trauerspiele, ein Loblied auf die Krokodille und einige Opern.

»Gnädige Frau,« sprach Ricarie mit einer Verbeugung, »hier ist ein Roman, den man der Marquise von Tamazi zuschreibt, unglücklicherweise aber erkennt man Mathazens Hand darin. Dies ist die Antwort unsers Präsidenten Lambadago auf die Rede des Poeten Tuxigraph, sie ist erst gestern herausgekommen. Dies ist Tuxigraphens Tamerlan.«

»Das ist bewundernswert,« sagte Mangogul. »Die Druckerpressen haben weder Ruh noch Rast. Täten die Ehemänner von Congo ebenso ihre Schuldigkeit wie die Schriftsteller, ich könnte in weniger als zehn Jahren sechzehnmal hunderttausend Menschen auf die Beine bringen und Monoemugi erobern. Den Roman lesen wir bei Gelegenheit. Jetzt wollen wir uns die Rede ansehen, vor allem die Stellen, die mich betreffen.«

Ricarie durchlief sie mit den Augen, und dabei fiel sein Blick auf folgende Periode:. »Die Vorfahren unsers erlauchten Kaisers haben sich ohne Zweifel berühmt gemacht. Aber Mangogul, größer als sie, hat den Jahrhunderten der Zukunft weit mehr Gelegenheit gegeben, ihn zu bewundern. Was sag' ich bewundern? Um es genauer auszudrücken: sie werden kaum glauben wollen, was sie hören. Hatten unsere Vorfahren schon recht, zu versichern, die Nachkommenschaft werde die Wunder von Kanoglus Regierung für Märchen achten; wie viel mehr recht haben wir, zu denken, unsre Enkel werden die Weisheit und Tapferkeit, deren Zeugen wir sind, für übernatürlich und unmöglich halten!!!«

»Armer Lambadago,« sagte der Sultan, »was bist du für ein erbärmlicher Phrasenheld! Ich habe recht, zu glauben, daß deine Nachfolger dereinst meine Ehre durch die Ehre meines Enkels verdunkeln lassen werden, wie du jetzt den Ruhm meines Großvaters vor dem meinigen verschwinden läßt. Das wird immer so fortgehen, solang' es Akademiker gibt. Was halten Sie davon, Herr Ricarie?«

»Ich kann weiter nichts sagen, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, »als daß die Periode, die ich Ihrer Hoheit vorgelesen habe, dem Publikum ungemein gefiel.«

»Desto schlimmer,« erwiderte Mangogul. »Ist denn der Geschmack für wahre Beredsamkeit in Congo ganz erloschen? So lobte der erhabene Homilogo den großen Aben nicht.«

»Gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, »wahre Beredsamkeit ist nicht anders als die Kunst, in edlen Ausdrücken und zugleich angenehm und überzeugend zu sprechen.«

»Und vernünftig,« sagte der Sultan. »Nun richten Sie über Ihren Freund Lambadago. Ich habe alle Achtung für die neuere Beredsamkeit, aber er ist ein verlogener Deklamator.«

»Aber Fürst,« versetzte Ricarie, »bei aller Eurer Hoheit schuldigen Ehrfurcht möchte ich mir doch erlauben – – –«

»Ich erlaube Ihnen,« fiel Mangogul lebhaft ein, »den gesunden Menschenverstand höher zu achten als meine Hoheit; und mir aufrichtig zu gestehen, ob ein beredter Mann sich erlauben dürfe, diesen Menschenverstand zu verleugnen?«

»Nein, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, und er wollte eben eine lange Reihe von Autoritäten aufzählen und alle Redner von Afrika, Arabien und China anführen, um eine Sache zu beweisen, die sich von selbst verstand, als Selim ihn unterbrach.

»Alle Ihre Schriftsteller,« sprach der Hofmann, »werden mir nie beweisen, daß Lambadago etwas anders, als ein ungeschickter unbescheidner Schwätzer sei. Vergeben Sie mir diese Ausdrücke, Herr Ricarie. Ich schätze Sie ganz besonders, aber alle kollegialen Vorurteile beiseite: müssen Sie uns nicht darin recht geben, daß unser gnädigster Herr, der gerecht, liebenswürdig, wohltätig und ein großer Krieger ist, der Stelzen Ihrer Redner nicht bedarf, um ebensogroß zu sein als seine Vorfahren? Ein Sohn, den man dadurch erhebt, daß man seinen Vater und Großvater herabsetzt, muß wohl lächerlich eitel sein, wenn er nicht fühlt, man entstelle ihn mit einer Hand, indem man ihn mit der andern verschönert. Oder wäre Ihre Meinung: wer beweisen wolle, daß Mangogul einen ebenso ansehnlichen Wuchs habe, als einer seiner Vorgänger, müsse notwendig den Bildsäulen Erguebzeds und Kanoglus die Köpfe herunterschlagen?«

»Herr Ricarie,« sprach Mirzoza dazwischen, »Selim hat recht. Lassen wir jedem, was ihm zukommt, und hüten wir uns, beim Publikum den Verdacht zu erregen, unsre Lobreden seien eine Art heimlichen Diebstahls am Gedächtnis unsrer Väter. Sagen Sie das meinetwegen der versammelten Akademie in der nächsten Sitzung.«

»Man ist seit zu langer Zeit auf diesen Ton gestimmt,« sagte Selim, »als daß ich hoffen könnte, diese Warnung werde etwas nützen.«

»Ich glaube, Sie irren sich, mein Herr,« antwortete Ricarie dem Selim. »Die Akademie ist noch das Heiligtum des guten Geschmacks, und ihr goldnes Zeitalter bietet uns weder Philosophen noch Dichter, denen wir nicht Philosophen und Dichter entgegenzusetzen hätten. Unsre Schaubühne galt für die erste in Afrika und kann noch dafür gelten. Welch ein herrliches Werk ist der Tamerlan des Tuxigraph! Er vereinigt das Pathos des Eurisop mit Asofs Erhabenheit. Das ist reinstes Altertum.«

»Ich war bei der ersten Vorstellung Tamerlans zugegen,« sagte die Favorite, »und fand, wie Sie, das Stück wohlgeführt, die Sprache zierlich und die Regeln gut beobachtet.«

»Wie groß ist der Unterschied, gnädige Frau,« sagte Ricarie, »zwischen einem Dichter wie Tuxigraph, der sich durch die Schriften der Alten nährte, und den meisten Neueren!«

»Aber diese Neueren,« sprach Selim, »denen Sie hier nach Herzenslust hohnsprachen, sind nicht so verächtlich, wie Sie meinen. Können Sie Ihnen Geist, Erfindung, Feuer, seine Züge, Charakter, Sentenzen absprechen? Was kümmern mich die Regeln, wenn man mir nur gefällt? Gewiß sind es nicht die Regeln des weisen Almudir und des gelehrten Abaldok, noch die Dichtkunst des erfahrnen Farcadin, die ich nie gelesen habe, um derentwillen ich Abulcassems, Mubardas, Albabukers und andrer Sarazenen Stücke bewundere. Gibt es eine andre Vorschrift als die Nachahmung der Natur? Und haben wir nicht die nämlichen Augen, wie die, welche sie studierten?«

»Die Natur,« antwortete Ricarie, »zeigt sich uns jeden Augenblick von einer andern Seite. Alle sind wahr, aber nicht alle sind gleich schön. Gerade aus den Schriftstellern, auf die Sie keinen großen Wert zu legen scheinen, muß man lernen, die Wahl zu treffen. Sie sammelten ihre Erfahrungen und die Erfahrungen ihrer Vorgänger. Wenn man noch so viel Verstand hat, so sieht man doch nur einen Gegenstand nach dem andern, und ein Mensch darf sich nicht schmeicheln, in der kurzen Spanne seiner Lebenszeit alles zu sehen, was man in den Jahrhunderten entdeckte, die ihm vorangingen. Sonst müßte man annehmen, eine einzige Wissenschaft dürfe ihre Entstehung, ihre Fortschritte und ihre ganze Vollkommenheit einem einzigen Kopfe verdanken. Dawider streitet die Erfahrung.«

»Herr Ricarie,« versetzte Selim, »aus Ihren Schlüssen folgt weiter nichts, als daß die Neueren, die die Schätze genießen, welche man bis auf ihre Zeit zusammenbrachte, reicher sein müssen als die Alten: oder daß, mißfällt Ihnen dieser Vergleich, wer auf den Schultern des Riesen steht, weiter sehen müsse als der Riese. Und in der Tat, was ist ihre Naturlehre, ihre Sternkunde, ihre Schiffahrt, ihre Mechanik, ihre Rechenkunst gegen die unsrige? Und warum sollten auch unsre Beredsamkeit und unsere Dichtkunst nicht den Vorrang besitzen?«

»Den Grund dieses Unterschiedes, Selim,« antwortete die Sultanin »wird Ihnen Ricarie ein andermal darlegen. Er wird Ihnen sagen, warum unsre Trauerspiele denen der Alten nachstehen. Daß dem also sei, soll mir leicht fallen, Ihnen zu zeigen.« »Nicht,« fuhr sie fort, »als ob ich Ihnen den Vorwurf machen wollte, die Alten nicht gelesen zu haben. Sie haben einen viel zu gebildeten Geist, als daß ihre Schaubühne Ihnen unbekannt wäre. Setzen Sie nur gewisse Begriffe beiseite, die auf ihre Gebräuche, auf ihre Sitten und ihre Religion Bezug haben, und die Sie nur stören, weil sich die Umstände geändert haben: und gestehen Sie, daß ihre Stoffe edel, gut gewählt und anziehend sind; daß sich die Handlung gleichsam durch sich selbst entwickelt, daß ihre einfache Sprache der Natur sehr nahekommt, daß die Auflösung ungezwungen, das Interesse nicht geteilt und die Haupthandlung nicht mit Nebenhandlungen überladen ist. Versetzen Sie sich im Geist auf die Insel Alindala, beobachten Sie alles, was dort vorgeht, hören Sie alles, was dort gesprochen wird von dem Augenblicke an, wo der junge Ibrahim und der listige Forfanti ans Land treten; nähern Sie sich der Höhle des unglücklichen Polipsil; verlieren Sie kein Wort von seinen Klagen und sagen Sie mir dann, ob Sie irgend etwas aus der Illusion reißt? Nennen Sie mir ein neueres Stück, das die nämliche Prüfung besteht, das dieselbe Prüfung aushalten und auf einen gleichen Grad von Vollkommenheit Anspruch machen könnte, und ich will mich für besiegt erklären.«

»Beim Brahma!« rief der Sultan gähnend aus, »Madam hat eine akademische Vorlesung gehalten!«

»Ich verstehe mich nicht auf Regeln,« fuhr die Favorite fort, »und noch weniger auf die gelehrten Ausdrücke, worin sie abgefaßt sind. Aber ich weiß, nur Wahrheit gefällt und rührt. Weiter weiß ich, die Vollkommenheit eines Schauspiels besteht in so genauer Nachahmung einer Handlung, daß der Zuschauer in ununterbrochener Täuschung selbst bei der Handlung gegenwärtig zu sein sich einbildet. Ist das nun der Fall bei den Trauerspielen, welche Sie uns rühmen?«

»Bewundern Sie ihre Szenenführung? Die ist ja gewöhnlich so verwickelt, daß so viele Dinge in so kurzer Zeit nur durch ein Wunder geschehen könnten. Der Sturz oder die Erhaltung eines Reichs, die Vermählung einer Fürstin, der Untergang eines Fürsten, das alles geschieht im Handumdrehen. Soll eine Verschwörung dargestellt werden? Man entwirft sie im ersten Aufzuge; im zweiten verbindet und befestigt man sie; im dritten werden alle Maßregeln ergriffen, alle Hindernisse weggeräumt, jedem Verschworenen sein Posten angewiesen; sogleich folgt ein Aufruhr, Waffengetöse, vielleicht ein Treffen zwischen zwei Heeren; und das nennen Sie Linienführung, Interesse, Wärme, Wahrscheinlichkeit? Nein, das könnt' ich Ihnen nie vergeben! Sie wissen zu genau, wieviel Mühe es zuweilen kostet, eine erbärmliche Intrige zu Ende zu führen; wieviel Zeit mit Maßregeln, Unterhandlungen und Entschließungen über die geringfügigste Staatsangelegenheit vergeht.«

»Es ist wahr, gnädige Frau,« antwortete Selim, »unsre Stücke sind ein wenig überladen; aber das ist ein notwendiges Übel: wenn die Nebenhandlungen uns nicht zu Hilfe kämen, so müßten wir erfrieren.«

»Das heißt: um der Darstellung einer Tatsache Leben einzuhauchen, muß man sie weder wiedergeben, wie sie ist, noch wie sie sein sollte. Kann man sich etwas Lächerlicheres denken? Oder es müßte denn nicht mehr absurd sein, die Geigen ein lebhaftes Stück oder muntere Sonaten spielen zu lassen, während die Gemüter der Zuschauer das Vorgefühl haben, ein Fürst ist nahe daran, seine Geliebte, seinen Thron und sein Leben zu verlieren.«

»Sie haben recht, Madam,« sagte Mangogul, »alsdann muß man Trauermelodien anstimmen, und ich will Ihnen gleich einige bestellen.« Mangogul stand auf, ging hinaus, und die Unterredung wurde nun zwischen Selim, Ricarie und der Favorite fortgesetzt.

»Wenigstens werden Sie nicht leugnen, gnädige Frau,« versetzte Selim, »daß, wenn die Nebenhandlungen uns aus der Täuschung reißen, der Dialog uns wieder hineinversetzt? Darauf aber versteht sich niemand besser, als unsre tragischen Dichter.«

»Dann versteht es also niemand,« versetzte Mirzoza. »Der Schwung, die Geistreicheleien und Geziertheiten, die darin herrschen, sind tausend Meilen entfernt von der Natur! Vergeblich sucht der Dichter sich dahinter zu verstecken, meine Augen dringen hindurch, und ich sehe ihn beständig hinter seinen Gestalten stehen, Cinna, Sertorius, Maximus, Ämilia sind mir in jedem Worte das Sprachrohr Corneilles. So spricht man nicht miteinander bei unseren alten Sarazenen. Herr Ricarie wird Ihnen, wenn Sie wollen, einige Stellen daraus übersetzen, und Sie werden merken, wie in ihrem Munde die reine Natur zum Ausdruck kommt. Gern möchte ich den Neueren zurufen: ›Meine Herren, anstatt bei jeder Gelegenheit eurer Person Geist zu geben, versetzt sie lieber in eine Lage, die ihnen welche gibt.‹«

»Ihro Gnaden,« sagte Selim, »haben über den Verlauf und den Dialog unsrer Dramen sich in einer Weise ausgesprochen, daß die Entwicklungen schwerlich Gnade vor Ihnen finden werden.«

»Nein, gewiß nicht,« antwortete die Favorite. »Es gibt hundert schlechte auf ein gutes. Die eine ist nicht vorbereitet, das andre arbeitet mit Wundern. Weiß ein Dichter nicht, was er mit einem Menschen anfangen soll, den er fünf Aufzüge hindurch von einem Auftritt zum andern schleppte, so befördert er ihn mit einem Dolchstoß ins Jenseits. Dann fängt alles an zu weinen, und ich lache wie toll. Und dann: hat man jemals so gesprochen, wie wir deklamieren? Schreiten Fürsten und Könige anders einher, als jemand, der einen guten Gang hat? Werfen sie die Arme in die Luft wie Besessene oder Rasende? Sprechen die Prinzessinnen, indem sie wie Schlangen zischen? Man nimmt allgemein an, wir hätten die Tragödie auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gebracht; und ich halte es beinahe für erwiesen, daß von allen Literaturgattungen, welche die Afrikaner in den letzten zwei Jahrhunderten gepflegt haben, gerade diese die unvollkommenste geblieben ist.«

So weit war die Favorite in ihrem Ausfall gegen unsre Theaterstücke gekommen, als Mangogul wieder hereintrat. »Madam,« sprach er zu ihr, »Sie werden mich verpflichten, wenn Sie fortfahren. Ich habe, wie Sie sehen, das Geheimnis, eine Dichtkunst abzukürzen, wenn sie mir zu lang wird.«

»Ich will einmal annehmen,« fuhr die Favorite fort, »es käme einer soeben frisch aus Angote neuerdings ans Land, der sein Lebtag nichts vom Schauspiel gehört habe, dem es aber weder an Verstand noch Weltkenntnis fehlte, der ein wenig die Fürstenhöfe, die Ränke der Hofleute, die Eifersüchteleien der Minister und die Hetzereien der Weiber kennte. Dem nun sagte ich im Vertrauen: ›Mein lieber Herr, es gehen im Serail schreckliche Bewegungen vor. Der Fürst, unzufrieden mit seinem Sohne, von dem er argwöhnt, daß er in die Mamimonbanda verliebt sei, scheint mir ganz der Mann, an beiden eine grausame Rache zu nehmen. Das Abenteuer wird allem Anscheine nach traurige Folgen haben. Wollen Sie, so werde ich Sie zum Zeugen aller kommenden Ereignisse machen.‹ Er nimmt mein Anerbieten an, und ich führe ihn in seine mit Gitterwerk versehene Theaterloge, von wo er die Bühne erblickt, die er für den Palast des Sultans hält. Glauben Sie, der Mensch werde, wenn ich auch ein noch so ernsthaftes Gesicht dazu mache, sich auch nur einen Augenblick täuschen lassen? Im Gegenteil. Sie werden mir zugeben, daß er bei dem gespreizten Gange der Schauspieler, bei ihrer wunderlichen Tracht, bei ihren höchst seltsamen Gebärden, bei dem merkwürdigen Tonfall ihrer gereimten und gemessenen Sprache mich gleich im ersten Auftritt auslachen und mir sagen wird, entweder wollte ich mich über ihn lustig machen, oder der Fürst und sein ganzer Hof seien verrückt geworden.«

»Ich gestehe Ihnen,« sagte Selim, »dieses Beispiel bringt mich selbst in Verlegenheit; aber könnte man Ihnen nicht dagegen einwenden, daß man nicht ins Schauspiel geht mit der Überzeugung, ein Ereignis an sich, sondern nur seine Nachahmung zu sehen?«

»Und soll diese Überzeugung etwa verhindern,« erwiderte Mirzoza, »daß man die Handlung so natürlich darstelle als möglich?«

»Sieh da, Madame,« sagte Mangogul, »auf einmal sind Sie ja an der Spitze der Tadler?«

»Und wenn man Ihnen glauben wollte,« fuhr Selim fort, »droht dem Reiche der Verfall des guten Geschmacks, feiert die Barbarei ihre Auferstehung, und sind wir auf dem besten Wege, in die Unwissenheit der Zeiten Mamurehas und Orondados zurückzufallen?«

»Hoher Herr, fürchten Sie nichts dergleichen. Ich hasse die Unglückspropheten und werde ihre Zahl nicht noch vermehren. Auch ist mir der Ruhm Seiner Hoheit zu teuer, als daß ich dem Glanz seiner Regierung jemals zu nahe treten möchte. Aber das ist doch wahr, Herr Ricarie: wenn man uns Glauben schenkte, würde die Literatur vielleicht in höherem Glanze strahlen.«

»Wie?« fragte Mangogul. »Sollten Sie dieserhalb etwa meinem Seneschall eine Denkschrift überreichen wollen?«

»Nein, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie. »Doch nachdem ich Ihrer Hoheit im Namen aller Literaten für den neuen Aufsichtsrat, den Sie uns gaben, gedankt habe, werde ich vielleicht dem Herrn Seneschall untertänigst vorstellen, daß die Wahl der Gelehrten, die mit der Durchsicht der Handschriften betraut werden sollen, eine sehr heikle Angelegenheit ist, daß man diese Sache Männern überträgt, die der Aufgabe keineswegs gewachsen sind, und daß daraus eine Menge böser Folgen entsteht, wie zum Beispiel die Verstümmelung guter Werke; die Unterdrückung der vorzüglichsten Köpfe, die, weil es ihnen nicht erlaubt ist, nach ihrer Weise zu schreiben, entweder gar nicht mehr schreiben oder ihre Werke im Auslande drucken lassen und ihm dadurch beträchtliche Summen zuführen; die Verbreitung einer schlechten Meinung über die Gegenstände selbst, deren Behandlung man verbietet, und tausend andre Nachteile, die alle der Reihe nach Eurer Hoheit aufzuzählen zu weit führen würde. Ich möchte ihm ferner raten, den Gehalt gewisser schreibseliger Blutegel zu kürzen, die ohne Grund und Unterlaß Geld fordern. Ich meine die Glossatoren, Antiquare, Kommentatoren und andre Leute dieser Art, die sehr nützlich sein würden, wenn sie mit ihrem Handwerk Gutes stifteten, die aber die unglückliche Gewohnheit haben, über dunkle Dinge wegzugehen und klare Stellen zu erklären. Ich wünschte ferner, er überwachte die Unterdrückung fast aller literarischen Nachlasse und litte nicht, daß das Gedächtnis eines großen Schriftstellers durch einen habsüchtigen Verleger besudelt werde, der lange nach dem Tode eines Mannes solche Werke sammelt und herausgibt, die der Lebende zur Vergessenheit verurteilt hatte.« »Und ich,« fuhr die Favorite fort, »möchte ihm eine kleine Anzahl angesehener Männer nachweisen, wie z.B. Herrn Ricarie, die er mit Ihren Wohltaten überhäufen könnte. Ist es nicht erstaunlich, daß dieser arme Junge keinen Heller hat, während der köstliche Chyromant der Manimonbanda jährlich tausend Zechinen aus Ihrer Schatzkammer erhält?«

»Gut, Madam,« antwortete Mangogul, »Herr Ricarie erhält künftig ebensoviel aus meiner Schatulle zum Lohn für die Wunder, die Sie mir von ihm erzählen.«

»Herr Ricarie,« sagte die Favorite, »ich muß auch etwas für Sie tun. Ich opfre Ihnen die kleine Empfindlichkeit meiner Eigenliebe. Ich vergesse, zum Dank für die Belohnung, die Mangogul Ihnen soeben bewilligte, die Beleidigung, die er mir zufügte.«

»Darf man fragen, Madam, worin diese Beleidigung besteht?« sagte Mangogul.

»O, gnädiger Herr, das sollen Sie erfahren. Sie selbst verwickeln uns in ein Gespräch über die schönen Wissenschaften. Sie leiten es ein mit einer kleinen Rede über die neuere Beredsamkeit, die nicht eben schön ist, und da man aus Gefälligkeit gegen Sie sich eifrig bemüht, das triste Gespräch, das Sie angefangen haben, fortzusetzen, überfällt Sie Langeweile und Gähnen. Sie werfen sich auf Ihrem Lehnstuhl hin und her, verändern hundertmal Ihre Lage, ohne eine einzige bequeme zu finden, werden es endlich überdrüssig, die schlechteste Haltung der Welt länger beizubehalten, fassen einen raschen Entschluß, stehen auf und verschwinden. Und wohin gehen Sie wieder? Vielleicht ein Kleinod anzuhören!«

»Ich gebe die Tatsache zu, Madam, finde aber darin keine Beleidigung. Wer bei guten Sachen Langeweile empfindet und sich mit schlechten unterhalten kann, leidet selbst am meisten darunter. Dieser ungerechte Vorzug benimmt dem Verdienste nichts, das er vernachlässigt; er allein erklärt sich dadurch für einen schlechten Richter. Dem könnt' ich noch hinzufügen, Madam, daß, während Sie sich mit Selims Gespräch beschäftigten, ich mir eben so vergebliche Mühe gab, Ihnen ein Schloß zu verschaffen. Muß ich aber dennoch schuldig sein, da Sie es einmal ausgesprochen haben, so erklär' ich Ihnen, daß Sie auf der Stelle gerächt wurden.«

»Wieso?« fragte die Favorite. »Auf folgende Weise,« antwortete der Sultan. »Um mich von der akademischen Sitzung ein wenig zu zerstreuen, die ich aushalten mußte, wollt' ich einmal wieder ein Kleinod hören ...« »Das wissen wir ja, gnädigster Herr ...« »Und bin unglücklicherweise auf zwei verfallen, deren Abgeschmacktheit alles übertrifft, was ich jemals vernahm..«

»Das ist mir unendlich lieb,« erwiderte die Favorite.

»Beide redeten in einer mir unverständlichen Sprache; ich habe alles behalten, was sie sagten, aber ich will auf der Stelle sterben, wenn ich ein Wort davon verstehe.«

Dichtkunst und Poppen. Ich bin gespannt wie die Gemeinsamkeiten bei Hofe weiter charakterisiert werden.

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