Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 26
Mirzozens Seelenlehre

Während Mangogul die Kleinode Harias, der Witwen und Fatmes ausfragte, hatte Mirzoza Zeit genug, ihre philosophische Vorlesung zu bereiten. Eines Abends hielt die Mamimonbanda ihre Andacht, es gab weder Spiel noch Gesellschaft bei ihr, und die Favorite war beinahe gewiß, der Sultan werde sie besuchen. Da nahm sie zwei schwarze Unterröcke, legte einen an wie gewöhnlich, hing sich den andern um die Schultern, steckte beide Arme durch die Schlitzen, setzte die Allongen-Perücke von Mangoguls Seneschall auf und die Kappe seines Kaplans. So sah sie einer Fledermaus nicht unähnlich, sie aber hielt das für die Kleidung eines Philosophen.

In diesem Anzuge spazierte sie durch ihre Zimmer hin und her, wie ein Professor des Collège Royal, der auf Hörer wartet. Sie nahm sogar die finstere nachdenkliche Miene eines meditierenden Gelehrten an. Mirzozas erzwungener Ernst hielt nicht lange vor. Der Sultan trat mit einigen seiner Hofleute herein und machte dem neuen Philosophen eine tiefe Verbeugung, dessen Gravität seine Zuhörer um ihre würdige Haltung brachte. Und diese ihrerseits durch ihr lautes Lachen brachten wiederum den Philosophen aus der Fassung. »Gab Ihnen Geist und Gestalt nicht Überlegenheit genug, Madame,« fragte Mangogul, »brauchten Sie noch diese Robe? Auch ohne sie würden Ihre Worte alles Gewicht haben, das Sie nur wünschen könnten.« – »Es scheint mir, gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »Sie ehren diese Robe sehr wenig. Ein Schüler sollte mehr Achtung für das haben, worin wenigstens die Hälfte des Verdienstes seines Meisters besteht.« – »Ich merke,« erwiderte der Sultan, »Sie besitzen schon den Geist und die Sprache Ihres neuen Standes. Jetzt zweifle ich auch gar nicht mehr, daß Ihre Gelehrsamkeit der Würde Ihres Anzuges entspricht, und erwarte den Beweis davon mit Ungeduld.« – »Sie sollen noch in dieser Minute befriedigt werden,« antwortete Mirzoza und setzte sich mitten auf ein großes Sofa. Der Sultan und die Höflinge nahmen um sie herum Platz, und sie begann:

»Gnädigster Herr, haben die Philosophen von Monoemugi, denen Ihre Erziehung anvertraut war, Ihre Hoheit nie von der Natur der Seele unterhalten?« – »O, sehr oft,« antwortete Mangogul, »aber alle ihre Systeme brachten mir am Ende nur sehr ungewisse Vorstellungen bei; und hätt' ich nicht ein inneres Gefühl, das mir zuzuflüstern scheint, sie sei ein von der Materie verschiedenes Wesen, so würd' ich ihr Dasein leugnen oder mit dem Körper für einerlei halten. Wollen Sie es übernehmen, dieses Chaos zu entwirren?«
»Das will ich wohl bleiben lassen,« erwiderte Mirzoza. »Darüber gesteh' ich nicht mehr zu wissen als Ihre Erzieher. Der einzige Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht darin, daß ich das Dasein einer von der Materie unabhängigen Substanz nur vermute, die Sie für erwiesen halten. Wenn aber diese Substanz da ist, so muß sie irgendwo ihren Sitz haben. Haben sie Ihnen nicht auch darüber viel Seltsames vorerzählt?«
»Nein,« sagte Mangogul, »alle stimmten so ziemlich darin überein, daß ihr Wohnsitz der Kopf sei, und diese Meinung schien mir wahrscheinlich. Der Kopf denkt, dichtet, überlegt, urteilt, ordnet, befiehlt; und man hört alle Tage von einem Menschen, der nicht denkt, daß er kein Hirn habe, daß es ihm an Kopf fehle.«
»Das also,« erwiderte die Sultanin, »ist Ihrer langen Studien und Ihrer ganzen Philosophie kurzer Sinn, daß Sie die bloße Vermutung einer Tatsache mit alltäglichen Redensarten zu stützen suchen? Gnädigster Herr, was würden Sie von Ihrem ersten Geographen sagen, wenn er Ihrer Hoheit die Karte Ihrer Staaten vorlegte und Osten mit Westen oder Süden mit Norden vertauschte?«
»Der Irrtum wäre zu grob,« erwiderte Mangogul, »den hat noch kein Geograph begangen.«
»Das mag sein,« versetzte die Favorite, »also waren Ihre Philosophen ungeschickter, als der allerungeschickteste Geograph es sein kann. Sie hatten kein großes Reich aufzunehmen, sie brauchten nicht die Grenzen der vier Weltteile bestimmen, sie sollten nur in sich selbst hinabsteigen und den wahren Sitz ihrer Seele erforschen. Sie aber nennen Osten Westen und Süden Norden. Sie verkünden, daß die Seele im Kopfe sitze, während die meisten Menschen sterben, ohne daß die Seele diesen Aufenthalt genommen hat, da sie immer noch ihren ersten Wohnsitz innehat, nämlich in den Füßen.«
»In den Füßen?« unterbrach sie der Sultan. »Das ist der sonderbarste Gedanke, der mir jemals vorgekommen ist.«
»Jawohl, in den Füßen,« erwiderte Mirzoza; »und diese Meinung, die Ihnen so närrisch dünkt, braucht nur tiefer begründet zu werden, um für vernünftig zu gelten. Gerade umgekehrt verhält es sich mit den Meinungen, die Sie für wahr annehmen, und die man für falsch erkennt, wenn man sie tiefer ergründet. Ihre Hoheit gaben mir eben zu, das Dasein unserer Seele gründe sich nur auf das innere Zeugnis, das sie sich von sich selbst gibt, und ich will Ihnen beweisen, daß alle erdenklichen Gefühle an der Stelle zustande kommen, die ich ihr anweise.«
»Das bin ich begierig zu hören,« sagte Mangogul.
»Ich verlange keine Schonung,« fuhr sie fort. »Ich bitte Sie alle, mir Ihre Bedenken zu äußern. Also, wie gesagt, der erste Wohnsitz der Seele sind die Füße. Dort beginnt ihr Dasein, denn durch die Füße geht sie in den Körper über. Ich berufe mich mit dieser Tatsache auf die Erfahrung und lege vielleicht in diesen meinen weiteren Ausführungen den Grund zu einer Experimental-Metaphysik.
Wir alle erfuhren in unsrer Kindheit, daß die unentwickelte Seele ganze Monate hindurch in einem Zustande des Schlafes verweilt. Unsre Augen öffnen sich, ohne zu sehn, unser Mund, ohne zu reden, unsre Ohren, ohne zu hören. Die Seele regt sich und erwacht an einer ganz andern Stelle. Ihre ersten Kräfte zeigen sich an andern Gliedern. Durch die Füße verkündigt das Kind seine Ausbildung. Leib, Kopf und Füße ruhn unbeweglich im Schoß der Mutter. Aber seine Füße werden lang und beweglich und offenbaren sein Dasein, vielleicht seine Bedürfnisse. Rückt die Stunde der Geburt heran, was würde aus Kopf, Leib und Armen werden? Sie blieben ewig in ihrem Gefängnisse, wenn die Füße ihnen nicht zu Hülfe kämen. Hier spielen die Füße die Hauptrolle und treiben den übrigen Leib hinaus. Dies ist die Ordnung der Natur, und will irgendwo ein andres Glied befehlen, tritt zum Beispiel der Kopf an die Stelle der Füße, so geht alles verkehrt, und Gott weiß, was dann zuweilen aus der Mutter und dem Kinde wird.
Ist das Kind geboren, so bewegen sich wiederum an ihm vorzüglich die Füße. Man wird genötigt, sie zur Ruhe zu bringen, und dabei bezeigen sie sich immer etwas widerspenstig. Der Kopf ist ein Klotz. Aus ihm macht man, was man will. Aber die Füße fühlen, schütteln das Joch ab und scheinen die Freiheit verteidigen zu wollen, die man ihnen raubt.
Kann das Kind endlich stehn, so strengen die Füße sich auf tausenderlei Art an, um sich fortzubewegen. Sie setzen alles in Tätigkeit. Sie befehlen den andern Gliedmaßen. Und die gehorsamen Hände stützen sich gegen die Wand und halten sich vor, um einen Fall zu vermeiden und den Fortschritt der Füße zu erleichtern.

Worauf richten sich alle Gedanken eines Kindes, was sind seine Vergnügungen, wenn es sich fest auf den Beinen fühlt und seine Füße die Geschicklichkeit erlangt haben, sich zu bewegen? Es übt sich im Gehen, im Kommen, im Laufen, im Springen, im Hüpfen. Diese Unruhe gefällt uns, wir halten sie für ein Zeichen des Verstandes und erklären ein Kind für einfältig, wenn wir es träge und traurig sehn. Wollen Sie ein vierjähriges Kind betrüben, so lassen Sie es eine Viertelstunde lang sitzen, oder halten es zwischen vier Stühlen gefangen. Dann wird es verdrießlich und ärgerlich. Denn Sie berauben damit nicht bloß die Beine ihrer Bewegung, Sie kerkern auch seine Seele ein. Bis ins zweite oder dritte Jahr bleibt die Seele in den Füßen. Im vierten steigt sie in die Beine. Im fünfzehnten kommt sie in die Knie und Lenden. Dann mag man tanzen, fechten, wettrennen und andere heftige Leibesbewegungen gern leiden. Das ist die herschende Leidenschaft aller jungen Leute. Bei einigen steigert sie sich bis zur Raserei. Und die Seele sollte nicht an der Stelle wohnen, wo sie sich fast allein offenbart, wo sie ihre angenehmsten Empfindungen erfährt? Wohnt sie aber in der Jugend an einem andern Ort, als in der Kindheit, warum sollte sie nicht das ganze Leben lang ihren Wohnsitz ändern?«

Mirzoza hatte dieses alles so geschwinde hergesagt, daß sie fast darüber außer Atem gekommen war. Selim, ein Günstling des Sultans, benutzte den Augenblick, wo sie Luft schöpfte, und sprach zu ihr: »Gnädige Frau, ich mache von Ihrer gütigen Erlaubnis, Einwände zu äußern, hiermit höflichst Gebrauch: Ihr System ist geistreich. Sie haben es eben so anmutig als klar vorgetragen. Aber so sehr hat es mich doch nicht verführt, daß ich es für erwiesen annehmen sollte. Mir scheint, man könne Ihnen sagen, daß selbst in der Kindheit der Kopf den Füßen befehle, und daß von dort aus sich die Geister mit Hilfe der Nerven in alle Glieder verbreiten, sie anhalten oder bewegen, nach Willkür der Seele, die auf der Zirbeldrüse sitzt. Gleichermaßen, wie man von der Hohen Pforte die Befehle des Großherrn ausgeben sieht, die alle seine Untertanen in Bewegung setzen.«
»Das kann man freilich,« erwiderte Mirzoza, »aber man würde damit eine sehr dunkle Sache behaupten, auf die ich mit einer Tatsache der Erfahrung antworten möchte: Kein Kind weiß mit Gewißheit, daß sein Kopf denkt, und selbst Sie, edler Herr, so tüchtig der Ihrige auch ist, und obwohl Sie bereits im zartesten Alter für ein Wunder von Verstand galten, entsinnen Sie sich vielleicht, damals gedacht zu haben? Aber dessen können Sie sich wohl versichert halten, daß, als Sie mit Ihren Füßen zur Verzweiflung Ihrer Gouvernanten wie ein kleiner Satan strampelten, eben diese Füße den Kopf regierten.«
»Das beweist gar nichts,« sagte der Sultan. »Selim war lebhaft, wie es tausend Kinder sind. Sie überlegen nicht, aber sie denken. Die Zeit verfliegt, das Gedächtnis verliert sich, sie erinnern sich nicht mehr gedacht zu haben.«
»Aber womit dachten sie?« versetzte Mirzoza. »Das ist die Frage.«
»Mit dem Kopf,« antwortete Selim.
»Gehen Sie mir mit diesem Kopfe, an dem man gar nichts sieht,« erwiderte die Sultanin. »Lassen Sie diese Blendlaterne, die nur für den ein Licht hat, der sie trägt. Hören Sie meine Erfahrung und bekehren Sie sich zur Wahrheit meiner Hypothese. Es ist so ausgemacht, daß die Seele ihre Wanderschaft durch den Körper bei den Füßen beginnt, daß es Männer und Weiber gibt, in denen sie niemals höher stieg. Edler Herr, Sie haben tausendmal Ninis Leichtigkeit und Saligos Sprünge bewundert. Antworten Sie mir offenherzig, glauben Sie, daß diese Geschöpfe ihre Seele anderswo haben als in ihren Beinen? Haben Sie nicht selbst bemerkt, daß Volucers und Zelindors Kopf den Füßen untergeordnet ist? Ein Tänzer hat beständig Lust, auf seine Beine zu sehn. Er tut keinen Schritt, bei welchem nicht das Auge die Spur des Fußes aufmerksam verfolgt. Sein Haupt neigt sich so ehrfurchtsvoll vor seinen Füßen, als die unüberwindlichen Paschas vor Seiner Hoheit.«
»Diese Beobachtung ist richtig,« sagte Selim, »aber sie trifft nicht immer zu.«
»Ich behaupte ja auch nicht,« erwiderte Mirzoza, »daß die Seele immer in den Füßen wohnt. Sie dringt weiter, sie wandert umher, sie verläßt einen Teil, kehrt dahin zurück, verläßt ihn wieder. Aber das behaupt' ich: alle andern Teile sind dem Teile untergeordnet, den sie bewohnt. Das ändert sich je nach den Jahren, nach dem Temperament des Bluts, nach den Umständen. Daher entsteht die Verschiedenheit des Geschmacks, der Neigungen, der Eigenschaften. Bewundern Sie nicht die Reichhaltigkeit meines Prinzips? Spricht die Menge der Erscheinungen, die es erklärt, nicht für seine Gewißheit?«
»Madame,« antwortete Selim, »wenn Sie die Anwendung auf nur einige machten, so gäbe das uns vielleicht einen Grad von Überzeugung, den wir noch nicht besitzen.«
»Sehr gern,« versetzte Mirzoza, die ihre Überlegenheit zu fühlen anfing. »Sie sollen zufrieden sein. Folgen Sie nur meiner Gedankenreihe. Ich versteife mich nicht auf große Beweisführung. Ich spreche mit dem Herzen. Das ist für uns Frauen Philosophie, und die verstehn Sie beinahe eben so gut wie wir. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Seele bis zum achten oder zehnten Jahre in Füßen und Beinen bleibt. Dann, oder vielleicht etwas später, verläßt sie dies Quartier, entweder aus eignem Antriebe, oder aus Not. Aus Not, wenn ein Lehrmeister gewisse Werkzeuge gebraucht, um sie aus ihrem Heimatlande herauszujagen und in das Gehirn zu treiben, wo sie sich gewöhnlich in Gedächtnis verwandelt und beinahe niemals in Urteilskraft. Das ist der Fall mit Knaben, die zur Schule gehn. Gleicherweise, wenn eine dumme Gouvernante sich abmüht, ein junges Mädchen zu bilden, ihr den Geist mit Kenntnissen vollpfropft und Herz und Sitten vernachlässigt. Dann steigt die Seele schnell zu Kopf, verweilt auf der Zunge oder tritt in die Augen. So wird die Schülerin eine langweilige Schwätzerin oder ein gefallsüchtiges Frauenzimmer. So auch wohnt der Wollüstigen Seele in ihrem Kleinod und weicht nimmer von dannen.
Die Seele der galanten Frau wohnt bald in ihrem Kleinod, bald in ihren Augen.
Die Seele der Zärtlichen ist gewöhnlich in ihrem Herzen, doch zuweilen auch im Kleinod.
Die Seele der Tugendhaften ist bald im Kopf, bald im Herzen und niemals anderswo.
Wohnt die Seele im Herzen, so formt sie die empfindsamen, mitleidigen, wahrheitsliebenden, edelmütigen Charaktere. Verläßt sie das Herz, um nie zurückzukehren, und verbannt sie sich in den Kopf, so wird der Mensch hart, undankbar, betrügerisch und grausam.
Zahlreich ist die Menschenklasse, deren Seele den Kopf nur als Sommerwohnung besucht und nicht lange darin verweilt. Dahin gehören die Stutzer, die Gefallsüchtigen, die Tonkünstler, die Dichter, die Romanschreiber, die Höflinge, und was man hübsche Frauen nennt. Hören Sie diese Leute reden, und Sie werden sogleich erkennen, daß ihre Seele umherirrt, daß sie von jedem verschiedenen Himmelsstriche, den sie durchwanderte, etwas angenommen hat.«
»Wenn dem so ist,« sprach Selim, »so hat die Natur viel Überflüssiges getan. Und doch behaupten unsre Weisen steif und fest, sie habe nichts vergebens hervorgebracht«.
»Lassen wir Ihre Weisen und deren hohe Worte beiseite,« antwortete Mirzoza. »Und was die Natur anbelangt, so wollen wir sie bloß mit den Augen der Erfahrung betrachten, dann werden wir lernen, daß sie die Seele in den Leib des Menschen versetzt, wie in einen geräumigen Palast, dessen schönstes Gemach nicht immer sie bewohnt. Kopf und Herz sind ihr vorzüglich bestimmt als Mittelpunkt der Tugenden und Aufenthalt der Wahrheit. Aber sehr oft bleibt sie unterwegs und bevorzugt einen Keller, einen zweideutigen Ort, eine armselige Herberge, wo sie in immer währenden Rausch einschlummert! Ach! könnte ich die Welt nur vierundzwanzig Stunden lang nach meiner Laune einrichten, so wollt' ich Ihnen ein seltsames Schauspiel geben. Ich nähme jeder Seele auf einmal alle Teile ihrer Wohnung, die sie nicht braucht, und dann würden Sie den Charakter jeder Person aus dem übrigbleibenden Teile erkennen. Dann beständen die Tänzer nur aus zwei Füßen, bestenfalls aus zwei Beinen, die Sänger aus einer Kehle, die meisten Weiber aus einem Kleinod, die Helden und Fechter aus einer bewaffneten Faust, gewisse Gelehrte aus einem hirnlosen Schädel. Eine Spielerin behielte nichts als zwei Hände, um ihre Karten zu mischen, ein Vielfraß aus zwei beständig kauenden Kinnbacken, eine Gefallsüchtige aus zwei Augen, ein Wüstling aus dem bloßen Werkzeug seiner Begierden, Unwissende und Faulenzer aus gar nichts mehr.«
»Wenn Sie den Weibern freie Hand ließen,« sagte der Sultan, »so würde man den Männern, denen nichts als das Werkzeug ihrer Begierden bliebe, schön nachlaufen. Das gäbe eine feine Jagd, und stellte man diesen Vögeln überall ebensosehr nach als in Congo, so stürbe die Gattung bald aus.«
»Was bliebe aber von den zarten gefühlvollen Seelen, den beständigen treuen Liebenden übrig?« fragte Selim die Favorite.
»Ein Herz,« antwortete Mirzoza, »und ich weiß wohl, wem das meinige zufliegen würde,« sagte sie mit einem zärtlichen Blick auf Mangogul. Der Sultan konnte dieser Rede nicht widerstehn, er verließ seinen Lehnstuhl, um auf die Favorite zuzueilen, die Hofleute verschwanden, und der Lehrstuhl des neuen Philosophen ward der Schauplatz ihrer Freuden. Er bewies ihr zu wiederholten Malen, daß er nicht minder bezaubert sei von ihren Gefühlen, als von ihren Vorlesungen, und der professoralische Anzug geriet dadurch in Unordnung. Mirzoza gab ihrem Frauenzimmer die schwarzen Unterröcke wieder, sandte dem Lord Seneschall seine ungeheure Perücke zurück und dem Herrn Abbé seine viereckige Mütze mit der Versicherung, daß er sich als Kandidat auf der Liste der nächsten Rangerhöhung befände. Wie weit hätte er es nicht gebracht, wenn er ein schöner Geist gewesen wäre! Ein Sitz in der Akademie war die geringste Belohnung, die er erwarten durfte, aber unglücklicherweise wußte er nur zwei- oder dreihundert Worte und hatte es nie so weit gebracht, sich damit auch nur einige Male zu wiederholen.



Mirzozens Experimental-Metaphysik ist ganz allerliebst.

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