Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 23
g. | Freitag, 11. Oktober 2013, 06:59 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die Schoßhündchen
Mangogul versetzte sich alsbald zu Haria und sprach nach seiner beliebten Gewohnheit mit sich selbst: »diese Frau legt sich nie schlafen ohne ihre vier Hunde. Wenn ein Kleinod etwas von diesen Tieren weiß, so erfahr' ich es durch das ihrige; denn es ist, Gott sei Dank! bekannt, daß sie ihre Hunde bis zur Anbetung liebt.« Am Ende dieses Selbstgesprächs stand er in Harias Vorzimmer und merkte schon von weitem, die gnädige Frau pflege der Ruhe in ihrer gewöhnlichen Gesellschaft. Sie bestand aus einem Dackelhund, einem kleinen Windspiel und zwei Möpsen. Der Sultan zog seine Schnupftabaksdose hervor, versah sich mit zwei Prisen guten Tunko und näherte sich Haria. Sie schlief noch, aber die Koppel hatte ein feines Ohr, hörte, daß sich etwas rege, fing an zu bellen und erweckte sie. »Stille, stille, Kinderchen,« sagte sie so freundlich, daß man unmöglich glauben konnte, sie rede mit ihren Tieren, »schlaft doch, schlaft doch noch und stört mich und euch nicht in unsrer Ruhe.«
Einst war Haria jung und artig. Es fehlte ihr nicht an Liebhabern ihres Standes, aber sie verschwanden schneller noch als ihre Reize. Um sich über diese Verlassenheit zu trösten, verfiel sie in eine Art seltsamen Prunkes und hatte die wohlgewachsensten Lakaien in Banza. Sie ward immer älter, die Jahre zwangen sie zur Einschränkung, sie begnügte sich mit vier Hunden und zwei Brahminen und ward ein Muster der Erbaulichkeiten. In der Tat fand die giftigste Satire nichts an ihr herumzubeißen, und Haria genoß seit zehn Jahren ungestört des hohen Rufes ihrer Tugend und ihrer Tiere. Man kannte sogar ihre ausgesprochene Zärtlichkeit für die Schoßhündchen, so daß man die Brahminen nicht mehr in Verdacht hatte, teil daran zu nehmen.
Haria wiederholte ihre Bitte an die Tiere, und sie waren so gefällig, zu gehorchen. Darauf drehte Mangogul an seinem Ring, und das bejahrte Kleinod begann sein letztes Abenteuer zu erzählen. Die vorhergehenden hatten sich vor so undenklicher Zeit zugetragen, daß es sich derselben kaum erinnerte. »Geh weg, Medoro,« sprach es mit heiserer Stimme, »du tust mir weh. Lisette gefällt mir viel besser, sie ist ungleich sanfter.« Medoro kannte die Stimme des Kleinods nicht und fuhr immer fort. Aber Haria erwachte und fuhr fort: »Nun, so geh doch, kleiner Schelm, ich kann vor dir nicht schlafen. Das ist wohl zuweilen gut, aber was zuviel ist, ist zuviel.« Medoro ging fort, Lisette legte sich an seine Stelle, und Haria schlief wieder ein.
Mangogul hatte die Wirkung seines Ringes aufgehoben, jetzt drehte er ihn wieder, und das wohlbetagte Kleinod holte mit einem tiefen Seufzer aus und fing an zu faseln: »Warum mußte doch die große Windhündin sterben, es war ein so gutes Geschöpf, so einschmeichelnd, so liebkosend. Lauter Leben und Feuer! Ihr seid unvernünftiges Vieh gegen sie. Der garstige Mensch hat sie umgebracht. Denk' ich an die arme Zinzoline, so treten mir die Tränen in die Augen. Ich glaubte, meine Gebieterin hätte den Tod davon. Sie aß und trank nicht zwei Tage lang, der Kopf schwirrte ihr nur so. Stellen Sie sich vor, wie traurig sie war! Ihr Beichtvater, ihre Freunde, selbst ihre Hunde durften ihr nicht nahe kommen. Sie befahl ihren Kammerfrauen, den gnädigen Herrn nicht vorzulassen, wenn sie nicht um ihren Dienst kommen wollten.« »Das Ungeheuer hat mir meine teure Zinzoline geraubt!« rief sie, »er komme mir nicht vor die Augen! ich will ihn nie wieder sehn!«
Mangogul ward neugierig, Zinzolinens Sterbegeschichte zu erfahren, belebte die elektrische Kraft seines Ringes, indem er ihn gegen die Schöße seines Rocks rieb und auf Haria richtete, und das Kleinod begann von neuem: »Haria, Romedios Witwe, verliebte sich in Sindor. Dieser, ein junger Mensch von Stande, aber arm, besaß ein Verdienst, das den Weibern gefällt, und war nach den Schoßhündchen Harias vorherrschende Leidenschaft. Sindor verabscheute Harias Alter und Hunde, aber seine Dürftigkeit machte ihn nachgiebig. Zwanzigtausend Taler Einkünfte ließen in seinen Augen die Runzeln seiner Liebhaberin und die Unbequemlichkeit ihres Schoßhündchen verschwinden; sie ward seine Frau.
Er hatte sich geschmeichelt, durch seine Talente und Gefälligkeiten unsern Tieren den Rang abzulaufen und sie gleich beim Anfange seiner Regierung in Mißgunst zu bringen, aber er täuschte sich. Nach einigen Monaten, während deren er sich um uns verdient gemacht zu haben glaubte, ließ er sich beikommen, der gnädigen Frau vorzustellen, ihre Hunde wären im Bett keine so gute Gesellschaft für ihn, als für sie; mehr als drei Hunde zu halten, sei lächerlich; und man mache aus dem ehelichen Lager einen Hundestall, wenn man mehr als einen der Reihe nach darin zulasse.«
»Ich rate Ihnen,« antwortete Haria mit erhobener Stimme, »solche Reden nicht ferner zu führen. Was untersteht sich so ein elender Gaskognischer Landjunker, den ich aus einem Loch gerissen habe, das meinen Hunden nicht gut genug wäre, hier den Zartfühligen zu spielen? Man besprengte dem jungen Herrn wohl die Bettücher mit Wohlgerüchen, als er in der möblierten Stube wohnte? Lern' er ein für allemal, daß meine Hunde viel früher als er in meinem Bette geschlafen haben, und daß er sich herausscheren mag, oder sich gefallen lassen muß, es mit ihnen zu teilen.«
Die Erklärung war deutlich, und unsre Hunde behaupteten ihren Posten. Aber eine Nacht, als wir alle schliefen, kehrte Sindor sich um und stieß unglücklicher Weise Zinzolinen mit dem Fuß. Das Windhündchen war solche Begegnung nicht gewohnt und biß ihn in die Waden. Die gnädige Frau erwachte über Sindors Geheul. »Was fehlt dem Herrn?« fragte sie. »Will ihn jemand an die Kehle? Träumt er?« – »Ihre Hunde, gnädige Frau,« antwortete Sindor, »fressen mich bei lebendigem Leibe auf; Ihre Windhündin hat mir eben ein Stück Wade weggebissen.« »Ist das alles?« sagte Haria und legte sich wieder auf die Seite, »Sie machen recht viel Lärmens um nichts.«
Sindor verdroß die Rede, er stieg aus dem Bette und schwor, keinen Fuß mehr hineinzusetzen, solange die Koppel darin bliebe. Er bot gemeinschaftliche Freunde auf, die Verbannung der Hunde zu bewirken. Aber allen mißriet die wichtige Unterhandlung. Haria antwortete ihnen, Sindor sei ein Windbeutel, den sie aus einer Dachstube erlöst habe, wo er bei Ratzen und Mäusen wohnte. Es zieme sich nicht für ihn, so anspruchsvoll zu sein. Er schlafe die ganze Nacht. Sie liebe ihre Hunde. Die vertrieben ihr die Zeit. Von Kindheit auf habe sie an ihren Liebkosungen Geschmack gefunden und sei entschlossen, sich erst im Tode von ihnen zu trennen. »Sagen Sie ihm noch,« fuhr sie gegen die Vermittler fort, »wenn er sich meinem Willen nicht unterwirft, so werde er das sein ganzes Leben lang bereuen; ich widerrufe die Schenkung, die ich ihm gemacht habe, und füge sie den Summen bei, die mein letzter Wille der Nahrung und dem Unterhalt meiner Kinderchen aussetzt.«
»Unter uns,« bemerkte das Kleinod, »Sindor war wohl ein ganzer Tropf, als er hoffte, man werde für ihn tun, was zwanzig Liebhaber, ein Gewissensrat, ein Beichtvater und eine ganze Litanei von Brahminen nicht hatten erlangen können, die alle bald mit ihrem Latein zu Ende waren. Sooft indessen Sindor unseren Tieren begegnete, wandelte ihn eine Ungeduld an, die er kaum zurückzuhalten vermochte. Eines Tages fiel ihm die unglückliche Zinzoline in die Hände. Er packte sie am Halse und schleuderte sie aus dem Fenster. Das arme Vieh starb an seinem Fall. Da ward ein schönes Lärmen. Haria stieg das Blut zu Gesicht; ihre Augen schwammen in Tränen ...« Das Kleinod wollte noch einmal sagen, was es schon gesagt hatte, denn Kleinode lieben die Wiederholungen sehr, aber Mangogul schnitt ihm das Wort ab. Doch dauerte sein Schweigen nicht lange. Als der Fürst glaubte, das faselnde Kleinod von seinen Tautologien abgebracht zu haben, gab er ihm die Freiheit der Sprache wieder. Da brach die Plaudertasche in ein Gelächter aus und erinnerte sich uralter Zeiten: »Da fällt mir ein, ich habe Ihnen noch nicht erzählt, wie Haria ihre erste Hochzeitsnacht feierte. Ich sah viel lächerliche Auftritte in meinem Leben, aber niemals so einen. Nach einem festlichen Mahl führte man die Eheleute in das Schlafzimmer. Alle Gäste zogen sich zurück, der gnädigen Frau Kammerfrauen ausgenommen, die sie entkleideten. Sie war entkleidet. Man legte sie ins Bett, Sindor blieb allein bei ihr. Da bemerkte er, daß die Wachtelhunde, die Möpse, die Windhunde geschwinder waren als er und sich seiner Gemahlin bemächtigten.« Drum sagte er: »Erlauben Sie mir, gnädige Frau, daß ich meine Nebenbuhler ein wenig beiseite räume?« »Tun Sie, was Sie vermögen, mein Schatz,« antwortete Haria, »ich habe nicht das Herz, sie wegzujagen. Die kleinen Tierchen hängen an mir, und ich habe seit geraumer Zeit keine andre Gesellschaft.« »Vielleicht sind sie so höflich,« erwiderte Sindor, »mir heute den Platz abzutreten, den ich einnehmen soll ...« »Da sehn Sie zu, mein Herz,« antwortete Haria.
»Sindor versuchte zuerst den Weg der Güte und bat Zinzolinen, sich in eine Ecke zu verfügen. Aber das ungelehrige Tier fing an zu knurren; der übrige Teil der Truppe wurde gleichfalls unruhig, und der Mops und die Wachtelhunde bellten, als ob jemand ihrer Gebieterin an die Gurgel wollte. Sindor war über dieses Gekläff ungeduldig, ließ den Mops einen Purzelbaum schießen, schob einen der Schoßhunde zurück und griff Medoro an die Pfote. Medoro, der getreue Medoro, sah sich von seinen Bundesgenossen verlassen, versuchte aber diesen Verlust durch eine vorteilhafte Stellung zu ersetzen. Er stand zwischen den Lenden seiner Gebieterin, seine Augen funkelten, die Haare sträubten sich ihm, er sperrte das Maul auf, kräuselte die Schnauze und zeigte dem Feinde zwei Reihen spitzer Zähne. Sindor wagte mehr als einen Angriff, und mehr als einmal schlug ihn Medoro mit blutigen Händen und zerrissenen Handkrausen zurück. Länger als eine Viertelstunde hatte das Treffen mit einer Hartnäckigkeit gewütet, an der nur Haria Vergnügen fand, als Sindor gegen seinen Feind, den er durch Gewalt zu überwinden verzweifeln mußte, eine Kriegslist ersann. Er streckte seine Rechte gegen Medoro. Medoro beobachtete diese Bewegung und ward darüber der Linken nicht gewahr, die ihn am Halse griff. Nun machte er, um sich loszureißen, unerhörte, aber vergebliche Anstrengungen! Er mußte das Schlachtfeld räumen und Haria aufgeben. Sindor hielt seinen Einzug, aber es hatte ihm Blut gekostet. Wahrscheinlich war es bei Haria beschlossen, daß ihre Hochzeitsnacht blutig sein sollte, und die schöne Verteidigung ihrer Tiere betrog sie in ihren Hoffnungen nicht.«
»Das Kleinod,« sagte Mangogul, »schreibt einen besseren Bericht, als mein Sekretär.« Er wußte jetzt, was er von Schoßhündchen denken sollte, und kehrte zur Favorite zurück. »Machen Sie sich,« rief er ihr schon von weitem zu, »auf die tollsten Dinge gefaßt! Das ist schlimmer als Palabriens Affen. Können Sie glauben, daß Hariens vier Hunde Nebenbuhler ihres Mannes gewesen sind, begünstigte Nebenbuhler; daß der Tod eines Windspiels die Eheleute unversöhnlich geschieden hat?«
»Was sagen Sie?« versetzte die Favorite. »Hunde als Nebenbuhler? Davon versteh' ich kein Wort. Ich weiß, daß Haria ihre Schoßhündchen bis zur Bewußtlosigkeit liebhat. Ich kenne aber auch Sindor als einen heftigen Menschen, der vielleicht nicht alle Höflichkeiten beobachtete, die gewöhnlich Frauen verlangen, denen man sein Glück verdankt. Wie er sich aber auch betragen haben mag, so verstehe ich doch nicht, was ihm Nebenbuhler hat zuziehen können. Haria scheint mir so ehrwürdig, daß ich wohl wünschte, Ihre Hoheit möchten geruhen, sich deutlicher zu erklären.«
»So hören Sie denn,« antwortete Mangogul, »und gestehn Sie mir, daß die Weiber zuweilen, milde gesprochen, wenigstens einen sehr seltsamen Geschmack haben.« Darauf berichtete er ihr Wort für Wort, was Harias Kleinod ausgesagt hatte. Mirzoza mußte über das Treffen der ersten Nacht freilich lachen; doch sprach sie bald wieder ernsthaft: »Ich weiß nicht, welch ein Unwillen willen sich meiner bemeistert. Von nun an verabscheu' ich diese Tiere und alle, welche sie halten, und erkläre meinen Zofen, daß ich die erste von ihnen verabschiede, die in den Verdacht gerät, einem Hunde ein Stück Brot gegeben zu haben.«
»Wer wird doch seinen Haß so weit erstrecken?« fragte der Sultan. »Müssen denn die Frauenzimmer alles übertreiben? Hunde sind gut auf der Jagd, notwendig auf dem Lande und sonst noch zu mancherlei Gebrauch, ganz zu schweigen davon, wie Haria sie verwendet.«
»Wahrlich,« sprach Mirzoza, »ich fange an zu glauben, es wird Ihrer Hoheit schwerfallen, eine ehrliche Frau zu finden.«
»Habe ich es Ihnen nicht gleich gesagt?« antwortete Mangogul, »aber übereilen wir uns nicht. Sie könnten mir dereinst vorwerfen, ich verdanke Ihrer Ungeduld ein Geständnis, das ich nur den Versuchen meines Ringes schuldig sein will. Gerade jetzt habe ich einen Plan vor, der Sie in Erstaunen setzen soll. Noch sind nicht alle Geheimnisse entschleiert, und die Kleinode, denen meine Untersuchung bevorsteht, sollen mir wichtigere Dinge beichten.«
Mirzoza war immer für das ihrige besorgt. Mangoguls Rede setzte sie in eine Verwirrung, die sie ihm nicht verbergen konnte. Aber der Sultan war durch seinen Eid gebunden und im Grunde seines Herzens ein frommer Mann. Er beruhigte sie, so gut er vermochte, umarmte sie einigemal sehr zärtlich und begab sich in seinen Staatsrat, wohin wichtige Dinge ihn riefen.
Eheliche Treue als skurrile Ausnahme. Mal sehen, wo das endet. (Wenn es überhaupt bei einer Moral endet. Bei Diderot ist das ja nicht unbedingt der Fall.) „bis zur Bewusstlosigkeit lieb haben“ ist ein Gedanke, den man mal weiter durchdenken sollte.