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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 52
g. | Dienstag, 15. April 2014, 07:36 | Themenbereich: 'Aufklärung'
MirzozaEnde der Erzählung von den redseligen Kleinoden.
Während Mangogul sich in seinen Gärten mit der Favorite und Selim unterhielt, brachte man ihm die Nachricht von Sulameks Tode. Sulamek war anfangs gegen Erguebzeds Willen des Sultans Tanzmeister gewesen; aber einige Ränkeschmiedinnen, die er gefährliche Sprünge gelehrt hatte, beförderten ihn nach besten Kräften und brachten es endlich dahin, daß er Marcell und anderen vorgezogen wurde, deren Vorgesetzter er nicht zu sein verdiente. Er war ein Kleinigkeitskrämer, sprach die Hofsprache, erzählte ganz artig und wußte mit Kindern zu spielen, verstand aber nichts vom hohen Tanz. Als die Großwesirsstelle erledigt war, brachte er es durch vieles Katzbuckeln dahin, daß er endlich den Groß-Seneschall ausstach, der zwar unermüdlich im Tanz, aber etwas steifbeinig war und häßliche Verbeugungen machte. Unter seiner Ministerschaft trug sich für die Nation nichts Glorreiches zu. Seine Feinde – und welcher Mann von Verdienst hätte deren nicht? – sagten ihm nach, er spiele schlecht Geige, verstehe nichts von der Choreographie, hätte sich von den Pantomimen des Presbyters Johannes zum Narren halten und durch einen Bären von Monoemugi ins Bockshorn jagen lassen, der einmal vor ihm tanzte, habe dem gichtbrüchigen Kaiser von Tombul Millionen bezahlt, damit er nicht tanzen möge, verschwende jährlich mehr als fünfmalhunderttausend Zechinen für Kolophonium und noch weit mehr zur Verfolgung aller Bierfiedler, die andere als seine Menuetten spielten, lasse sich endlich seit fünfzehn Jahren durch die Leier eines dicken Guineers einschläfern, der mit Begleitung dieses Saitenspiels einige Congoische Lieder radebreche. Dagegen habe er freilich auch die Mode der holländischen Lieder eingeführt usw.
Mangogul war ungemein gutmütig. Sulameks Verlust ging ihm nahe, er ordnete für ihn einen Katafalk und eine Leichenrede an. Mit der letzteren ward der Redner Burrububu beauftragt.
An dem Tage der Feier begaben sich die Häupter der Brahminen, der gesamte Diwan und die Sultaninnen, geführt von ihren Verschnittenen, in die große Moschee. Burrububu bewies zwei Stunden lang mit einer bewunderungswürdigen Redegewandtheit, daß Sulamek sich durch vorzügliche Verdienste emporgeschwungen habe; machte Nutzanwendungen über Nutzanwendungen, vergaß Mangogul nicht, noch was er während Sulameks Staatsverwaltung ausgerichtet, und erschöpfte sich in Ausrufen über Ausrufen, als Mirzoza, deren Nerven keine Lügen vertragen konnten, darüber einen Ohnmachtsanfall bekam.
Ihre Bedienten und Frauen eilten ihr zu Hilfe, man setzte sie in ihren Palankin und trug sie sogleich in den Harem zurück. Mangogul, dem man die Gefahr berichtete, eilte zu ihr. Die ganze Apothekerkunst ward aufgeboten. Hofmannstropfen, Englisch Salz, Schauerscher Balsam wurden umsonst versucht. Der Sultan war außer sich, weinte über Mirzoza, fluchte dem Gualonorone, verlor endlich alle Hoffnung oder setzte sie vielmehr nur auf seinen Ring. »Hab' ich dich verloren, Wonne meines Lebens!« rief er, »so muß auch dein Kleinod auf ewig verstummen, wie dein Mund!«
Sogleich befiehlt er allen hinauszugehen; man gehorcht, und nun ist er allein bei der Favorite. Er dreht seinen Ring gegen sie; aber Mirzozas Kleinod hatte, wie es so vielen andern täglich ergeht, in der Kirche Langeweile gehabt und war wahrscheinlich noch schläfrig, denn es murmelte anfangs nur einige unverständliche, undeutlich ausgesprochene Worte. Der Sultan wiederholte den Versuch, und das Kleinod sprach sehr deutlich. »Fern von Ihnen, Mangogul, was soll aus mir werden? Treu bis in die Nacht des Grabes würde ich mich nach Ihnen sehnen, und finden Liebe und Beständigkeit noch Lohn bei den Toten, teurer Fürst, so würde auch ich bei Ihnen ... Ach, ohne Sie wäre Brahmas köstlicher Palast, den er seinen Gläubigen verspricht, für mich ein schrecklicher Aufenthalt.«
Mangogul, vor Freuden hingerissen, bemerkte nicht, daß die Favorite nach und nach aus ihrer Schlafsucht erwachte und die letzten Worte ihres Kleinods hören müsse, wenn er nicht schleunig zurückdrehte, und das geschah auch. »O gnädigster Herr,« sprach sie, »sind das Ihre Schwüre? Haben Sie endlich Ihren ungerechten Argwohn aufgeklärt? Konnte nichts Sie zurückhalten? Nicht der Zustand, in dem ich mich befand, nicht das Unrecht, das Sie mir antaten, nicht das Wort, das Sie mir gaben?«
»Ach, Mirzoza,« antwortete der Sultan, »verwechseln Sie die Ungeduld, worin mich die Verzweiflung über Ihren Verlust allein zu stürzen vermochte, nicht mit schändlicher Neugierde. Nicht darum wollte ich meinen Ring gegen Sie versuchen, sondern als ein Hilfsmittel, das Sie ohne Wortbrüchigkeit meinen Wünschen wiedergibt und Ihnen mein Herz auf ewig zusichert.«
»Ich glaube Ihnen, gnädigster Herr,« antwortete die Favorite; »aber geben Sie dem Genius den Ring zurück, damit sein unglückliches Geschenk nicht länger Hof und Ihr Reich beunruhigt.«
Sogleich erhob Mangogul sein Gebet, und Cucufa erschien. »Allmächtiger Genius,« sprach Mangogul zu ihm, »nimm dein Geschenk zurück und erhalte mir deinen Schutz.« »Fürst,« antwortete der Genius, »teile dein Leben zwischen Liebe und Ruhm. Mirzoza sichert dir die erstere, ich verspreche dir die letztere.«
Bei diesen Worten kniff das kuttenbedeckte Gespenst seine Katze in den Schwanz, drehte sich im Kreise herum und verschwand, wie es gekommen war.
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