Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 9. April 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 50
Suleiman und Zaide


Mangogul ging auf den Scherz der Favorite nicht weiter ein, eilte sogleich hinaus und begab sich zu Zaide. Er fand sie zurückgezogen in ein Zimmerchen vor einem kleinen Tische, auf welchem er Briefe, ein Bildnis und andere Kleinigkeiten zerstreut umherliegen sah, die von ihrem Geliebten kamen, wie man leicht an dem Aufheben erkennen konnte, das sie von den Sachen machte. Sie schrieb. Tränen rannen ihr aus den Augen und benetzten das Papier. Sie drückte das Bildnis mit Inbrunst an die Lippen, öffnete die Briefe, schrieb ein paar Worte, nahm dann wieder das Bild zur Hand, stürzte sich auf die Kleinigkeiten, deren ich erwähnte, und drückte sie an ihre Brust.

Der Sultan war unglaublich verwundert, er hatte außer der Favorite und Zaide nie ein zärtliches Frauenzimmer gesehen. Er glaubte sich von Mirzoza geliebt; aber liebte Zaide den Suleiman nicht noch mehr? Waren diese beiden Liebespaare nicht die einzigen wahrhaft Liebenden in Congo?
Die Tränen, die Zaide schreibend vergoß, waren keine Tränen des Grams. Liebe ließ sie fließen. Und in diesem Augenblick empfand sie nichts, als das köstliche Gefühl, Suleimans Herz mit Gewißheit zu besitzen: »Teurer Suleiman,« rief sie, »wie lieb' ich dich! Wie wert bist du mir! Wie selig bin ich ganz von dir erfüllt! In Augenblicken, wo Zaide nicht so glücklich ist, dich zu sehen, schreibt sie dir wenigstens, wie sie so ganz dir gehöre. Ist sie entfernt von Suleiman, so beschäftigt sie sich einzig und allein mit ihrer Liebe.«

So weit gerade war Zaide in ihren zärtlichen Betrachtungen gekommen, als Mangogul seinen Ring gegen sie drehte. Sogleich vernahm er ein Seufzen ihres Kleinods und die Wiederholung der ersten Worte des Selbstgesprächs seiner Gebieterin: »Teurer Suleiman, wie lieb' ich dich! Wie wert bist du mir! Wie selig bin ich ganz von dir erfüllt!« Zaidens Herz und Kleinod waren zu einstimmig, um eine verschiedene Sprache zu führen. Zaide staunte anfangs; aber sie war so sicher, daß ihr Kleinod nichts sagen würde, was Suleiman nicht mit Vergnügen anhören konnte, daß sie wünschte, er möchte zugegen sein.
Mangogul wiederholte seinen Versuch, und Zaidens Kleinod wiederholte mit sanfter schmachtender Stimme: »Suleiman, teurer Suleiman, wie lieb' ich dich! Wie wert bist du mir!«
»Suleiman,« rief der Sultan, »ist der glücklichste Sterbliche meines Reiches! Ich muß fort von hier, wo der Anblick eines Glückes, größer als das meinige, mir vor Augen tritt und mich betrübt.« Sogleich ging er hinaus und erschien bei der Favorite mit unruhigem, traurigem Gesichte. »Was fehlt Ihnen, Fürst?« fragte sie. »Sie sagen kein Wort von Zaide.« »Zaide,« antwortete Mangogul, »ist ein anbetungswürdiges Weib; sie liebt, wie niemand noch geliebt hat.« »Desto schlimmer für sie,« erwiderte Mirzoza. »Was reden Sie da?« versetzte der Sultan. »Ich sage,« antwortete die Favorite, »daß Kermades einer der albernsten Männer in Congo ist, daß Selbstsucht und Befehl der Eltern diese Heirat zustande gebracht haben, und daß es nie ein ungleicheres Ehepaar als Kermades und Zaide gegeben hat.« »Sie liebt ja auch ihren Mann gar nicht,« sagte Mangogul. »Wen denn?« fragte Mirzoza. »Suleiman,« antwortete Mangogul. »Dann ade Porzellan und Wickelschwanzaffe!« sagte die Favorite. »Ach!« sprach Mangogul leise zu sich selbst, »diese Zaide hat mich gerührt, sie verfolgt mich, sie schwebt mir vor, ich muß sie durchaus wiedersehen!« Mirzoza unterbrach ihn durch einige Fragen, die er sehr einsilbig beantwortete. Er versagt ihr eine Partie Piquet, die sie ihm vorschlug, klagte über Kopfschmerzen, die er nicht hatte, begab sich in sein Gemach, legte sich ohne Nachtessen zu Bette, was ihm im Leben noch nicht widerfahren war, und schlief nicht. Zaidens Reize und Zärtlichkeit, Suleimans Glück quälten ihn die liebe lange Nacht.

Man kann leicht ermessen, daß er am folgenden Morgen nichts Eiligeres zu tun hatte, als zu Zaide zurückzukehren. Er verließ seinen Palast, ohne sich nach der 'Favorite erkundigen zu lassen; das verabsäumte er zum erstenmal. Er fand Zaide in dem Kabinett vom vergangenen Tage. Suleiman war bei ihr; er hielt seiner Geliebten Hände in den seinigen und sah sie unverwandt an. Zaide beugte sich über hin, aus ihren Blicken sprach feurige Leidenschaft. In dieser Lage blieben sie eine Zeitlang, aber endlich gaben beide der Heftigkeit ihrer Begierden nach, stürzten einander in die Arme und hielten sich fest umschlungen. Bis dahin hatte tiefe Stille rings um sie geherrscht jetzt ward sie durch Seufzer unterbrachen, durch das Geräusch ihrer Küsse, durch wenige unartikulierte Laute, die sich ihnen entrangen: »Du liebst mich?« »Ich bete dich an!« »Wirst du mich ewig lieben?« »Mein letzter Atemzug wird Zaide gehören!«

Mangogul, von Schmerz überwältigt, warf sich auf einen Lehnstuhl und bedeckte die Augen mit der Hand. Man kann sich leicht denken, was für Dinge er zu sehen befürchtete, die aber nicht geschahen. Nach einem kurzen Schweigen sprach Zaide: »O teurer, geliebter Freund, warum hab' ich dich nicht immer so gekannt, wie du jetzt bist. Ich hätte dich darum nicht minder geliebt und mir jeden Vorwurf erspart. Aber du weinst, guter Suleiman? Komm, teurer, geliebter Freund, laß mich deine Zähren trocknen! Suleiman, du schlägst die Augen nieder? Was fehlt dir? Sieh mich doch an! Komm, teurer Freund, komm, laß dich trösten! Drücke deine Lippen auf meinen Mund, hauch' mir deine Seele ein, trink' die meinige in dich, versuch' – Ach! nein! nein!« Zaide endigte ihre Worte mit einem heftigen Seufzer und verstummte.

Der gelehrte Afrikaner berichtet, Mangogul sei durch diesen Auftritt sehr erschüttert gewesen, habe auf Suleimans Unzulänglichkeit einige Hoffnung gebaut und Zaide heimlich Anträge machen lassen, die sie zurückwies, ohne sich dessen ihrem Geliebten gegenüber zu rühmen.
Endlich eine liebende Frau.

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