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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 49
g. | Montag, 7. April 2014, 08:44 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Olympia
»Freuen Sie sich, Madam,« sprach Mangogul bei seinem Eintritte zur Favorite. »Ich bringe Ihnen eine angenehme Nachricht. Die Kleinode sind närrische Dinge, die nicht wissen, was sie sagen. Cucufas Ring kann sie zum Reden bringen, aber nicht zur Wahrheit.« »Und wie hat Eure Hoheit sie auf Lügen ertappt?« fragte die Favorite. »Das sollen Sie gleich hören,« antwortete der Sultan. »Selim hat Ihnen seine ganzen Abenteuer versprochen und hielt Wort, daran ist kein Zweifel. Nun hab' ich aber eben ein Kleinod ausgefragt, das ihn einer Bosheit zeiht, die er Ihnen nicht gebeichtet und sicherlich auch nicht begangen hat, und die ihm auch gar nicht ähnlich sieht. Eine hübsche Frau zu tyrannisieren und sie unter Androhung standrechtlicher Erschießung zu brandschatzen – glauben Sie, daß Selim so etwas fertig bringt?«
»Warum nicht, gnädigster Herr?« erwiderte die Favorite. »Selim ist jeder Tücke fähig gewesen, und verschwieg er das Abenteuer, das Sie eben entdeckten, so geschah es vielleicht, weil er sich mit dem Kleinod wieder ausgesöhnt hat, weil sie mitsammen jetzt wieder gut stehen, und weil er glaubte, mir so eine kleine Sünde vorenthalten zu dürfen, ohne deshalb gleich wortbrüchig zu werden.«
»Die beständige Verkehrtheit Ihrer Konjekturen,« antwortete Mangogul, »hätte Sie bereits von der Krankheit heilen sollen, immer wieder welche aufzustellen. Es ist nichts mit alledem, was Sie sich einbilden. Es ist eben eine von Selims ersten Jugendtorheiten. Es handelt sich um eine jener Frauen, deren man sich auf einen Augenblick bedient, und die man nachher nicht behält.«
»Gnädige Frau,« sprach Selim zur Favorite, »ich mag mit mir zu Rate gehen, wie ich will, ich erinnere mich an nichts mehr und habe jetzt ein ganz reines Gewissen.«
»Olympia,« sprach Mangogul. – »Ach! jetzt fällt es mir ein, gnädigster Herr,« antwortete Selim. »Dies Geschichtchen ist so alt, daß es mir leicht entfallen konnte.«
»Olympia,« fing Mangogul wieder an, »Gemahlin des Obereinnehmers von Hasna,« hatte sich in einen jungen Offizier vergafft, einen Hauptmann in Selims Regiment. Ein es Morgens kommt ihr Liebhaber trostlos mit der Nachricht zu ihr, daß alle Militärs Befehl erhalten hätten, abzumarschieren und zu ihren Korps zu gehen. Mein Großvater Kanoglu wollte dieses Jahr den Feldzug früh eröffnen, und einer seiner vortrefflichsten Pläne mißlang nur, weil man seine Befehle nicht geheimhielt. Die Politiker eiferten gegen diesen Plan, die Weiber verfluchten ihn. Beide hatten ihre Ursachen. Die Olympias hab' ich Ihnen gesagt. Diese Frau faßte den Entschluß, Selim zu besuchen, um womöglich die Abreise ihres geliebten Gabalis zu hintertreiben. Selim galt schon für einen gefährlichen Menschen. Olympia glaubte, es sei schicklich, sich begleiten zu lassen, und zwei ihrer Freundinnen, hübsche Frauen wie sie, erboten sich, sie zu begleiten. Selim war in seinem Hause, als sie ankamen. Er empfing Olympia, denn sie erschien allein, mit der ungezwungenen Höflichkeit, die Ihnen an ihm bekannt ist, und erkundigte sich, was ihm die Ehre eines so schönen Besuches verschaffe. »Mein Herr,« sagte Olympia, »ich interessiere mich für Gabalis. Wichtige Angelegenheiten machen seine Anwesenheit in Banza notwendig. Ich komme, Sie um halbjährlichen Urlaub für ihn zu bitten.«
»Halbjährlichen Urlaub, gnädige Frau?« antwortete Selim. »Bedenken Sie nur, was Sie fordern. Die Befehle des Sultans leiden keine Ausnahme. Ich möchte verzweifeln, daß ich mir bei Ihnen kein Verdienst aus einer Gnade machen kann, die mich zugrunde richten würde.« Olympia drang von neuem in ihn. Selim weigerte sich von neuem. »Der Wesir hat mir versprochen, mich bei der nächsten Beförderung zu berücksichtigen. Können Sie verlangen, gnädige Frau, daß ich mich ertränke, um Ihnen gefällig zu sein?« – »Nein, nein, Sie werden nicht ertrinken und können mir doch gefällig sein.« – »Gnädige Frau, ich vermag hier nichts, gehen Sie zum Wesir.« – »An wen weisen Sie mich? Der Mann hat nie etwas für die Damen getan.« – »So gern ich Ihnen auch dienen möchte und so glücklich ich darüber wäre: ich sehe nur einen einzigen Ausweg.« – »Welchen?« fragte Olympia lebhaft. »Ihre Absicht ist,« antwortete Selim, »Gabalis auf sechs Monate lang glücklich zu machen. Ihro Gnaden gewähren mir also vorläufig eine Viertelstunde von dem Vergnügen, das sie ihm bestimmen.« Olympia verstand ihn sehr gut, errötete, stammelte und fing endlich an, sich über die Härte des Vorschlags zu beschweren. »Reden wir nicht weiter davon, gnädige Frau,« antwortete der Oberst mit Kälte, »Gabalis reist, es ist notwendig, daß der Dienst des Fürsten geschehe. Etwas hätte ich auf mich nehmen können, aber Sie lassen gar nicht mit sich reden. Wenn Gabalis also reist, Madam, so ist das Ihr eigener Wille.« »Meiner, o nein!« rief Olympia heftig, »er bleibe! fertigen Sie schnell seinen Urlaub aus!« Die wesentlichen Präliminar-Artikel des Traktats wurden auf einem Sofa ratifiziert, und die Dame glaubte schon, ihren Gabalis festzuhalten, als es dem Verräter, den Sie vor sich sehen, einfiel, sich zu erinnern, daß er zwei Damen in ihrer Begleitung gesehen habe, die im Vorzimmer geblieben wären. Und er fragte, welche Bewandtnis es mit denen habe. »Sie sind meine besten Freundinnen,« antwortete Olympia. »So zweifle ich nicht,« sagte Selim, »daß es auch Gabalis' Freundinnen sind. In dieser Voraussetzung werden Sie sich auch wohl gefallen lassen, ein Dritteil der Rechte abzutragen, die mir unserer Abrede nach zukommen. Ja, das ist nicht mehr als billig. Ich überlasse Ihrer Gnaden die Sorge, sie dazu zu vermögen.« »Sie sind wirklich wunderlich, Herr Oberst,« antwortete Olympia. »Ich beteure Ihnen, diese Damen machen keinen Anspruch auf Gabalis. Aber um sie und mich aus der Verlegenheit zu reißen, will ich, wenn Sie meine Zahlung gutheißen, den Wechsel einzulösen suchen, den Sie auf beide ziehen.« Selim nahm das Anerbieten an. Olympia machte ihren Worten Ehre. »Dies, Madam, ist die Geschichte, die Selim Ihnen zu erzählen vergaß.«
»Das verzeih ich ihm,« sagte die Favorite. »Olympias Bekanntschaft ist so angenehm nicht, daß ich mit ihm zürnen sollte, weil er sie überging. Ich weiß nicht, wo Sie immer solche Frauenzimmer ausgraben? Wahrlich, Fürst, es sieht mir ganz so aus, als ob Sie keine Luft hätten, Ihr Schloß zu verlieren.«
»Und mir,« sagte der Sultan, »sieht es so aus, als ob Sie Ihre Meinung seit diesen letzten Tagen sehr geändert hätten. Erinnern Sie sich gefälligst, welchen Versuch meines Ringes ich Ihnen zuerst vorschlug, und Sie werden erkennen, daß es nicht von mir abhing, lieber zu verlieren.« »Ja,« erwiderte die Sultanin, »ich weiß, Sie haben mir geschworen, mein Kleinod nicht zur Sprache zu bringen; und von dem Augenblick an haben Sie sich nur an berüchtigte Frauenzimmer gewandt, an eine Aminte, eine Zobeide, eine Zuleika, deren Ruf fast schon entschieden war.«
»Ich gestehe,« sagte Mangogul, »es wäre lächerlich gewesen, auf diese Kleinode zu rechnen: aber wer keine Jungfern hat, muß wohl mit Witwen tanzen. Ich habe Ihnen oft gesagt und wiederhole es: gute Gesellschaft findet sich unter Kleinoden seltener, als Sie glauben; und wollen Sie nicht durch sich selbst gewinnen ...«
»Nein,« unterbrach ihn Mirzoza mit Heftigkeit, »lieber will ich in meinem Leben kein Schloß besitzen, als es dahin kommen lassen. Mein Kleinod sollte reden? Pfui! das wäre höchst unschicklich. Kurz, Fürst, Sie wissen, was ich gesagt habe, ich wiederhole meine Drohung im vollen Ernst!«
»So beschweren Sie sich denn nicht mehr über meine Versuche, oder weisen Sie uns wenigstens die Person nach, an die wir uns wenden sollen; denn ich möchte am liebsten verzweifeln, daß das nicht aufhört. Liederliche Kleinode und nichts als liederliche Kleinode und immer wieder liederliche Kleinode!«
»Ich habe das größte Vertrauen zu Aglaens Kleinod,« antwortete Mirzoza. »Ich erwarte mit Ungeduld das Ende der vierzehn Tage, die Sie verlangten.«
»Sie sind gestern abgelaufen, Madam,« erwiderte Mangogul, »und während Selim Ihnen Geschichten von dem alten Hofe erzählte, belehrte mich Aglaens Kleinod, daß Celebis böse Laune und Alemansors. Standhaftigkeit seine Gebieterin für Ihre Zwecke unbrauchbar machten.«
»Was sagen Sie, Fürst?« rief die Favorite. »Die Wahrheit,« erwiderte der Sultan. »Ich werde Ihnen die Geschichte ein andermal zum Besten geben. Inzwischen aber lassen Sie wohl Ihre üble Laune an jemand anders aus.«
»Aglae, die tugendhafte Aglae, ist also endlich doch überführt!« sprach die Sultanin erstaunt. »Wahrlich, das begreif' ich nicht.«
»Da sind Sie nun ganz und gar kopflos,« versetzte Mangogul, »und wissen nicht mehr ein noch aus.«
»Nicht das,« antwortete die Favorite, »aber ich gestehe Ihnen, ich hielt sehr viel von Aglae.« »Denken Sie nicht weiter daran,« fuhr Mangogul fort; »sagen Sie uns nur, ob das die einzige anständige Frau war, die Sie kannten.«
»Nein, Fürst, es gibt noch hundert andere,« erwiderte Mirzoza, »und zwar sehr liebenswürdige Frauen, die ich Ihnen nennen will, für die ich bürge wie für mich selbst. Zum Beispiel ... zum Beispiel ...«
Mirzoza verstummte jäh, ohne einen einzigen Namen genannt zu haben. Selim konnte sich nicht enthalten, zu lächeln, und der Sultan mußte sogar laut auflachen über die Verlegenheit der Favorite, die so viel tugendhafte Damen kannte und sich auf keine einzige besinnen konnte.
Ärgerlich wandte sich Mirzoza gegen Selim und sprach: »Helfen Sie mir doch, Selim, Sie haben eine ausgebreitete Bekanntschaft. Fürst,« setzte sie gegen den Sultan hinzu, »wenden Sie sich doch an ... an ... an, zum Beispiel ... So helfen Sie mir doch, Selim.« »An Mirzoza,« sagte Selim. »Das ist sehr wenig ritterlich von Ihnen,« versetzte die Favorite. »Ich fürchte zwar die Prüfung nicht, aber ich habe eine Abneigung dagegen. Geschwind nennen Sie mir eine andere, wenn ich Ihnen verzeihen soll.«
»Man könnte zusehen,« sagte Selim, »ob Zaide ihr Ideal, weswegen sie sonst alle Liebhaber verwarf, in Wirklichkeit gefunden hat.«
»Zaide,« versetzte Mangogul, »ich gestehe Ihnen, gegen die Frau könnt' ich wohl verlieren.« »Es ist vielleicht die einzige,« setzte die Favorite hinzu, »deren guten Namen die spröde Arsinoe und der Geck Jonlki verschont haben.«
»Das ist stark,« sagte Mangogul, »aber ein Versuch mit meinem Ring ist doch ein noch besserer Beweis. Gehen wir direkt zu ihrem Kleinod. Dieser Orakelspruch ist zuverlässiger als der des Kalchas.«
»Ei, gnädigster Herr,« sprach die Favorite lächelnd, »Sie haben ja Ihren Nathan im Kopf trotz einem Schauspieler.«
Ob es doch noch klappt, eine Vertreterin der Sittsamkeit aufzutreiben?
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