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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 46
g. | Montag, 17. März 2014, 07:05 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Cydalise
Mangogul kehrte zur Favorite zurück, wo sich Selim vor ihm eingefunden hatte. »Nun, Fürst,« sagte Mirzoza, »sind Ihnen Cypriens Reisen gut bekommen?« »Weder gut noch schlecht,« antwortete der Sultan, »ich verstehe sie nicht.« »Warum nicht?« fragte die Favorite. »Weil ihr Kleinod wie eine Polyglotte alle Sprachen spricht,« antwortete der Sultan, »nur die meinige nicht. Es ist ein ziemlich frecher Erzähler, aber einen trefflichen Dolmetscher könnt' es abgeben.« »Wie?« erwiderte Mirzoza. »Haben Sie denn von seinem ganzen Bericht nichts verstanden?« »Nur so viel, Madam,« antwortete Mangogul, »daß Reisen für die Schamhaftigkeit der Weiber noch nachteiliger sind als für die Religion der Männer; und daß es wenig verdienstlich ist, mehrere Sprachen zu verstehen. Man kann Lateinisch und Griechisch, Italienisch, Englisch und Kongoisch vollkommen verstehen und nicht klüger sein als ein Kleinod. Das ist auch Ihre Meinung, Madam? und Selims? So beginne er denn seine Geschichte. Aber um Himmels willen nichts mehr von Reisen! Die machen mir tödlich Langeweile.« Selim versprach dem Sultan, Einheit des Orts zu beobachten, und hub an:
»Ich war ungefähr dreißig Jahre alt; mein Vater war vor kurzem gestorben. Ich hatte mich verheiratet, um mein Geschlecht nicht ausgehen zu lassen, und lebte mit meiner Frau, wie sich's gehört. Wir waren voll Achtung gegeneinander, gefällig, höflich, wenig vertraut, aber sehr verbindlich. Fürst Erguebzed hatte den Thron bestiegen. Lange vor seiner Regierung genoß ich seiner Gewogenheit, er hat sie mir bis in seinen Tod erhalten, und ich habe diesen Beweis seines Wohlwollens durch Eifer und Treue zu rechtfertigen gesucht. Der Posten des Generalinspektors seines Heeres war erledigt; ich erhielt ihn und mußte seinetwegen oft die Grenze bereisen.«
»Schon wieder reisen?« rief der Sultan. »Wenn Sie noch ein einziges Mal reisen, so schlaf' ich bis morgen. Merken Sie sich das!«
»Fürst,« fuhr Selim fort, »auf einer dieser Rundfahrten macht' ich die Bekanntschaft mit der Gemahlin eines Obersten der Spahis, Ostaluk. Der Mann war tapfer, ein guter Offizier, aber ein wenig bequemer Gatte, eifersüchtig wie ein Tiger, und mit gutem Grunde eifersüchtig, denn er war abscheulich häßlich.
Er hatte Cydalise seit kurzem geheiratet. Sie war jung, lebhaft, hübsch. Sie gehörte zu jenen seltenen Frauenzimmern, denen man beim ersten Anblick etwas mehr als Höflichkeit bezeigt, von denen man sich ungern trennt, deren man sich hundertmal erinnert, bis man sie wiedersieht.«
Cydalise dachte logisch und drückte sich angenehm aus. Ihre Unterhaltung war anziehend, man ward nicht müde, sie zu sehen, man ward noch weit weniger müde, ihr zuzuhören. Diese Eigenschaften gaben ihr ein Recht, starken Eindruck auf alle Herren zu machen. Auch ich sollte das erfahren. Ich schätzte sie hoch, bald empfand ich eine zärtliche Neigung für sie, und mein ganzes Betragen nahm schließlich die Form einer innigen Leidenschaft an. Die Leichtigkeit meiner vorhergehenden Triumphe hatte mich ein wenig verzogen. Als ich Cydalisens Eroberung unternahm, bildete ich mir ein, sie würde nur kurze Zeit widerstehen und sich durch die Aufforderung des Herrn Generalinspektors so geehrt finden, daß sie nur eine Verteidigung aus Anstandsgründen mir entgegensetzen würde. Also können Sie denken, wie erstaunt ich über ihre Antwort auf meine Erklärung war: »Edler Herr,« sagte sie, »wär' ich auch so von mir eingenommen, zu glauben, daß Ihnen etwas an mir gefallen könne, so beginge ich doch eine große Torheit, wenn ich auf Reden achtete, wodurch Sie tausend andre vor mir hintergangen haben. Was ist Liebe ohne Achtung? Sehr wenig, und Sie kennen mich nicht genug, um mich zu achten. Soviel Geist und Scharfsinn man auch besitze, so hat man doch nicht in zwei Tagen den Charakter eines Frauenzimmers hinlänglich genug ergründet, um sich ihre Liebe zu verdienen. Der Herr Generalinspektor sucht sich zu unterhalten, er hat recht. Cydalise hat auch recht, daß Sie niemand gefällig sein mag.«
Ich mochte schwören, soviel ich wollte, daß ich wahre Leidenschaft für sie empfände, daß mein Glück in ihren Händen wäre, daß ihre Gleichgültigkeit mein künftiges Leben vergiften würde. »Worte,« sagte sie »nichts als Worte. Denken Sie nicht mehr an mich, oder halten Sie mich nicht für so unbesonnen, daß ich abgenutzten Beteuerungen glauben könnte. Was Sie mir da sagen, sagt jedermann, ohne es so zu meinen, und hört jedermann, ohne es zu glauben.«
Hätte Cydalise mir nur gefallen, so würden ihre Sprödigkeiten mich beleidigt haben, aber ich liebte sie, und so betrübten sie mich. Ich kehrte an den Hof zurück, ihr Bildnis folgte mir dahin. Die Abwesenheit, anstatt die Leidenschaft zu tilgen, die ich zu ihr gefaßt hatte, fachte sie nur noch mehr an.
So sehr war ich von Cydalise eingenommen, daß ich es mir hundertmal vornahm, ihr die Ämter und den Rang aufzuopfern, die mich an den Hof fesselten; nur die Ungewißheit des Erfolges hielt mich davon ab.
»Da es mir unmöglich war, dahin zu fliegen, wo ich sie verlassen hatte, geriet ich auf den Einfall, sie zu mir hin zu locken. Ich bediente mich des Vertrauens, womit Erguebzed mich beehrte: ich pries ihn Ostaluks Verdienste und Tapferkeit. Er ward zum Leutnant der Spahis bei der Leibwache ernannt. Dieser Posten fesselte ihn an die Person des Fürsten. Ostaluks erschien am Hofe und Cydalise mit ihm, die alsbald die herrschende Schönheit ward.«
»Sie haben wohlgetan, Ihre Stelle zu behalten und Ihre Cydalise an den Hof zu berufen,« sagte der Sultan, »denn ich schwöre bei Brahma, ich hätte Sie ruhig in die Provinz ziehen lassen.«
»Man beäugelte, bewunderte, belagerte sie,« fuhr Selim fort, »aber alles umsonst. Nur ich genoß des Vorrechts, sie alle Tage zu sehen. Je näher ich sie kennen lernte, desto mehr Anmut und Vorzüge entdeckte ich an ihr, desto kopfloser ward ich in sie verliebt. Es fiel mir ein, das frische Andenken meiner unzähligen Liebeshändel sei mir vielleicht bei ihr nachteilig. Dieses auszulöschen, sie von der Aufrichtigkeit meiner Liebe zu überzeugen, verbannte ich mich aus der Gesellschaft und sah keine Dame sonst, als die ich von ungefähr bei ihr antraf. Dieses Betragen schien Eindruck auf sie zu machen und ihre anfängliche Strenge ein wenig herabzustimmen. Ich verdoppelte meine Bemühungen, ich bat um Liebe, man gewährte mir Achtung. Cydalise fing an, mich auszuzeichnen, ich hatte teil an ihrem Vertrauen, sie zog mich oft bei Familienangelegenheiten zu Rate, aber über Herzensangelegenheiten sprach sie kein Wort. Redete ich von Gefühlen, so sprach sie mir von Grundsätzen, und ich war untröstlich. Dieser peinliche Zustand hatte lange gedauert, als ich den Entschluß faßte, damit ein Ende zu machen und ein für allemal zu erfahren, woran ich wäre.« »Wie fingen Sie das an?« fragte Mirzoza. »Das werden Sie gleich hören, Madam,« antwortete Mangogul. Und Selim fuhr fort:
»Ich sagte Euer Gnaden, daß ich Cydalise täglich sah. Von nun an sah ich sie etwas weniger, dann wurden meine Besuche noch seltener, endlich kam ich fast gar nicht mehr zu ihr. Wenn ich sie bisweilen unter vier Augen sah, sprach ich ihr so wenig von Liebe vor, als hätt' ich nie den geringsten Funken davon gespürt. Diese Veränderung befremdete sie. Sie argwöhnte, ich hätte eine heimliche Verpflichtung, und eines Tages, da ich ihr die galante Geschichte des Hofes mitteilte,« sagte sie mit einem zerstreuten Gesicht: »Selim, Sie erzählen mir nichts von sich selbst. Sie erzählen wunderbar von anderer Leute Glück, aber mit dem Ihrigen sind Sie sehr zurückhaltend.« »Gnädige Frau,« antwortete ich, »das kommt wahrscheinlich daher, weil ich nicht glücklich bin oder weil ich glaubte, es schicke sich besser, zu schweigen.« »O ja,« unterbrach sie mich, »es schickt sich gar wohl, daß Sie mir heute Dinge verhehlen, die morgen die ganze Welt weiß.« »Das muß ich mir gefallen lassen, gnädige Frau,« versetzte ich, »wenn sie nur niemand von mir erfährt.« »Wahrlich,« erwiderte sie, »dieses Geheimtun steht Ihnen sehr gut. Weiß man denn nicht, daß Sie auf die blonde Missis, die kleine Zibeline, die braune Sefere Absichten haben?« »Auf wen Sie wollen, gnädige Frau,« fügte ich kühl hinzu. »Wahrhaftig,« sagte sie, »ich glaube gern, daß das nicht die einzigen sind. Seit den zwei Monaten, die Sie sich nur aus Gnade und Barmherzigkeit zeigen, sind Sie gewiß nicht untätig geblieben, und mit solchen Damen geht's geschwind.« »Ich untätig bleiben?« sagte ich, »das hätte mich zur Verzweiflung gebracht. Mein Herz ist geschaffen, um zu lieben, vielleicht sogar, um ein wenig geliebt zu werden, und ich gestehe Ihnen auch, ich bin es. Aber fragen Sie mich nicht weiter. Vielleicht sagt' ich schon zuviel.«
»Selim,« antwortete sie ernsthaft, »ich habe keine Geheimnisse Ihnen gegenüber, Sie sollten auch keine mir gegenüber haben. Wie weit sind Sie gekommen?« – »Beinahe bis zum Schluß des Romans.« – »Und mit wem?« fragte sie eifrig. – »Kennen Sie Marteza?« – »Ja, gewiß; es ist eine sehr liebenswürdige Frau.« – »Nun wohl, nachdem ich alles vergeblich aufbot, Ihnen zu gefallen, hab' ich meine Wünsche an die gerichtet. Man hatte seit einem halben Jahre Sehnsucht nach mir. Zwei Zusammenkünfte bahnten mir den Weg, die dritte wird mein Glück vollkommen machen, und Marteza erwartet mich heute zum Nachtessen. Sie ist unterhaltend, ungezwungen, ein wenig ironisch, aber übrigens die gutherzigste Seele von der Welt. Man steht sich besser bei solchen närrischen Dingen, als bei den zugeknöpften Herrschaften, die ...« »Aber mein Herr,« unterbrach mich Cydalise mit niedergeschlagenen Augen, »so sehr ich Ihnen zu Ihrer Wahl Glück wünsche, darf ich wohl bemerken, daß Marteza nicht ganz neu ist und schon vor Ihnen Liebhaber hatte?« ... »Was liegt daran, gnädige Frau?« war meine Antwort; »wenn Marteza mich aufrichtig liebt, so werde ich mich für den ersten halten. Aber die verabredete Stunde naht, erlauben Sie ...« »Noch ein Wort, mein Herr. Sind Sie auch gewiß, daß Marteza Sie liebt? ...« »Ich glaube es.« – »Und Sie lieben Marteza wieder?« fragte Cydalise. – »Gnädige Frau,« war meine Antwort, »Sie selbst haben mich der Marteza in die Arme geworfen. Das dürfte Ihnen genug sagen ...« – Ich wollte herausgehen, aber Cydalise ergriff mich beim Dolman und kehrte mir dann schnell den Rücken. »Befehlen Madam noch etwas? Haben Sie mir noch etwas aufzutragen?« »Nein, mein Herr. Wie? Sind Sie denn noch da? Ich glaubte, Sie wären längst fort.« – »So will ich eilen, daß ich fortkomme.« – »Selim!« – »Cydalise!« – »Sie gehn wirklich fort?« – »Ja, gnädige Frau.« – »O Selim, wem opfern Sie mich? Ist Cydalisens Achtung Ihnen nicht mehr wert, als Martezens Gunst?« – »Ohne Zweifel, gnädige Frau,« versetzte ich, »wenn auch ich nur Achtung für Sie empfunden hätte. Aber ich liebte Sie ...« – »Das ist nicht wahr!« rief sie mit Heftigkeit. »Hätten Sie mich geliebt, Sie hätten meine wirklichen Gefühle erkannt; Sie hätten geahnt, Sie hätten sich geschmeichelt, Ihre Beständigkeit werde endlich meinen Stolz besiegen. Aber Sie sind ermüdet, Sie haben mich aufgegeben, vielleicht in dem Augenblick aufgegeben, wo ...« Cydalise hielt inne, ein Seufzer entrang sich ihr, ihre Augen wurden naß. »Reden Sie,« sagte ich, »vollenden Sie, Cydalise. Wenn nun trotz Ihrer Strenge, die mich bedrückt, meine Zärtlichkeit noch fortdauerte, so könnten Sie« – »Ich kann nichts! Sie lieben mich nicht mehr, und Marteza erwartet Sie.« – »Und wenn nun Marteza mir gleichgültig wäre und wenn mir Cydalise teurer wäre als jemals, was würden Sie dann tun?« – »Welche Torheit, auf solche bloßen Voraussetzungen hin lange Erklärungen ...« – »Cydalise, ich beschwöre Sie, antworten Sie mir so, als ob es keine bloßen Voraussetzungen wären. Angenommen, Cydalise sei noch immer die liebenswürdigste Frau der Welt in meinen Augen, und ich hätte nie die mindeste Absicht auf Marteza gehabt. Noch einmal: was würden Sie dann tun?« – »Was ich immer getan habe, Sie Undankbarer!« antwortete nun endlich Cydalise. »Ich würde Sie lieben!« – »Und Selim betet Sie an!« rief ich, »warf mich zu ihren Füßen, küßte ihre Hände und benetzte sie mit Freudenzähren. Cydalise war sprachlos. Diese unverhoffte Wandlung brachte sie aus der Fassung. Ich nutzte ihre Verwirrung, und unsere Versöhnung ward durch Beweise einer Zärtlichkeit besiegelt, denen sie sich nicht zu versagen vermochte.«
»Und was sagte der gute Ostaluk dazu?« sprach Mangogul. »Ohne Zweifel erlaubte er seiner teuren Ehehälfte, dem Manne ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen, durch den er Leutnant der Leibwache war?«
»Fürst,« antwortete Selim, »Ostaluk war dankbar, solange man mich nicht erhörte. Sobald ich glücklich war, wurde er unbequem, ungestüm und unausstehlich gegen mich, brutal gegen seine Frau. Er begnügte sich nicht, uns persönlich zu stören, er ließ uns belauschen; wir wurden verraten und Ostaluk, der seiner angeblichen Schande gewiß war, hatte die Keckheit, mich zum Zweikampf herauszufordern. Wir schlugen uns auf der großen Aue, ich brachte ihm zwei Wunden bei und zwang ihn, mir sein Leben zu verdanken.
Während er von seinen Wunden genas, verließ ich seine Frau keinen Augenblick. Aber der erste Gebrauch, den er von seiner Gesundheit machte, war, uns zu trennen und Cydalise zu mißhandeln. Sie schilderte mir die ganze Traurigkeit ihrer Lage, ich schlug ihr vor, sie zu entführen, sie willigte ein; und als der Eifersüchtige von einer Jagd zurückkam, auf die er den Sultan begleitet hatte, fand er zu seinem Erstaunen, er sei Witwer geworden. Aber Ostaluk brach gegen den Urheber der Entführung nicht in unnütze Klagen aus, sondern sann augenblicklich auf Rache.
Ich hatte Cydalise in einem Landhaus verborgen, zwei Stunden von Banza, und um die zweite Nacht stahl ich mich aus der Stadt, um nach Cisara zu gehen. Unterdessen setzte Ostaluk einen Preis auf den Kopf seiner Ungetreuen, bestach meine Bedienten mit schwerem Gelde und ward in meinen Lustgarten eingelassen. An jenem Abend schöpfte ich dort gerade frische Luft mit Cydalise. Wir hatten uns tief in einen dunklen Gang zurückgezogen, und eben wollt' ich sie mit den zärtlichsten Liebkosungen umfangen, als eine unsichtbare Hand ihr vor meinen Augen den Dolch in die Brust stieß. Es war der grausame Ostaluk. Mich bedrohte das nämliche Schicksal, aber ich kam Ostaluk zuvor, zog meinen Dolch, und Cydalise war gerächt. Ich warf mich über die teure Frau; noch klopfte ihr das Herz; ich ließ sie eiligst ins Haus tragen, aber sie verschied, ehe sie dahin kam, meine Lippen fingen ihren letzten Atemzug auf.
Als ich Cydalisens Glieder in meinen Armen erstarren fühlte, schrie ich laut, meine Leute liefen herzu und entrissen mich dem grauenvollen Aufenthalt. Ich kehrte nach Banza zurück und, verzweifelt über Cydalisens Tod, verschloß ich mich in mein Haus, indem ich mir die grausamsten Vorwürfe machte. Ich liebte sie wirklich, sie liebte mich innig wieder, und ich hatte Zeit genug, den großen Verlust zu fassen, den ich erlitten hatte, und ihn zu beweinen.«
»Aber endlich fanden Sie Trost?« fragte die Favorite. »Ich hielt es lange für unmöglich,« erwiderte Selim; »machte aber später die Erfahrung, daß kein Kummer ewig dauert.«
»Man soll mir nur nichts mehr von den Männern erzählen,« sprach Mirzoza. »So sind sie alle! Das heißt mit anderen Worten, Herr Selim: die arme Cydalise, deren Geschichte so rührend ist, die Sie so sehr bedauerten, war sehr dumm, daß sie auf Ihre Schwüre baute. Und während sie Brahma jetzt vielleicht für ihre Leichtgläubigkeit strenge büßen läßt, verbringen Sie Ihre Zeit aufs angenehmste in den Armen einer andern!«
»Ei, gnädige Frau,« erwiderte der Sultan, »beruhigen Sie sich. Selim liebt noch, Cydalise wird gerächt werden.« »Ihre Hoheit könnten falsch berichtet sein,« antwortete Selim. »Meine Geschichte mit Cydalise hat mir für mein ganzes Leben beweisen müssen, daß die wahre Liebe unglücklich macht.« »Das hat sie freilich,« unterbrach ihn Mirzoza, »dennoch wett' ich, Ihren Beweis gründen zum Trotz, Sie sind jetzt viel heftiger in eine andere verliebt.«
»Viel heftiger – das wag' ich nicht zu behaupten,« erwiderte Selim. »Seit fünf Jahren bin ich aber mit dem Herzen einer reizenden Frau zugetan. Es hat mir viel Mühe gekostet, Erhörung zu finden, denn man war immer so tugendhaft gewesen ...« »Tugendhaft!« rief der Sultan. »Bravo, Freund! es macht mir immer viel Vergnügen, wenn man mir von einer tugendhaften Dame am Hofe erzählt.« »Selim,« sagte die Favorite, »fahren Sie nur in Ihrer Geschichte fort.« »Und glauben Sie als guter Muselmann nur getrost an die Treue Ihrer Geliebten,« setzte der Sultan hinzu. »Ach, Fürst,« erwiederte Selim lebhaft, »Fulvia ist mir treu!« »Treu oder nicht treu,« versetzte Mangogul, »was tut das zu Ihrem Glück? Sie glauben es; das genügt.« »Jetzt also lieben Sie Fulvia?« fragte die Favorite. »Ja, gnädige Frau,« antwortete Selim. »Um so schlimmer, mein Lieber,« fügte Mangogul hinzu: »in die setz' ich gar kein Vertrauen. Sie ist beständig von Brahminen belagert und, die Brahminen sind schreckliche Leute. Dann find' ich auch, sie hat kleine chinesische Augen, eine Stumpfnase und sieht sehr vergnügungssüchtig aus. Unter uns, wie steht's damit?« »Gnädigster Herr,« antwortete Selim, »ich glaube, sie haßt das Vergnügen nicht.« »Nun also,« erwiderte der Sultan, »solches Verlangen überwältigt alles, das müssen Sie besser wissen als ich, oder Sie sind ...« »Ihre Hoheit irren sich,« nahm die Favorite das Wort, »man kann außerordentlich gescheit sein und das nicht wissen. Ich wette ...« »In einem fort dieses Wetten,« unterbrach sie der Sultan, »Sie machen mich ungeduldig; solche Frauen sind halt einmal unverbesserlich. Gewinnen Sie erst Ihr Schloß, Madam, und dann wetten Sie von neuem.«
»Gnädige Frau?« fragte Selim die Favorite, »könnte Ihnen Fulvia nicht vielleicht zu etwas nützlich sein?« »Wie das?« fragte Mirzoza. »Ich habe bemerkt,« antwortete der Hofmann, »daß die Kleinode fast immer nur in Gegenwart Seiner Hoheit gesprochen haben, und ich bilde mir ein, der Genius Cucufa, der für Kanoglu, des Sultans Großvater, so befremdliche Wunder bewirkte, möge gar wohl seinem Enkel die Gabe erteilt haben, sie reden zu lassen. Aber Fulvias Kleinod hat, soviel ich weiß, noch nicht den Mund geöffnet. Gibt es kein Mittel, es zu befragen, Ihnen das Schloß zu verschaffen und mich von der Treue meiner Geliebten zu überzeugen?« »Allerdings,« sprach der Sultan. »Wie denken Sie darüber, Madam?« – »O! ich mische mich nicht in einen so kitzligen Handel. Selim ist zu sehr mein Freund, als daß mich die Aussicht auf ein Schloß bewegen sollte, das Glück seines Lebens aufs Spiel zu setzen.« – »Sie wissen nicht, was Sie sagen,« erwiderte der Sultan. »Fulvia ist treu. Dafür legt Selim die Hand ins Feuer. Er hat's gesagt, er nimmt sein Wort nicht zurück.« »Nein, gnädigster Herr,« antwortete Selim, »und wenn mich Ihre Hoheit zu Fulvia bescheiden, so bleib' ich gewiß nicht aus.« »Überlegen Sie den Vorschlag wohl!« versetzte die Favorite. »Selim, guter Selim, Sie gehen sehr rasch zu Werke, und bei all Ihrer Liebenswürdigkeit ...« – »Beruhigen Sie sich, gnädige Frau. Der Würfel ist gefallen: ich werde Fulvia hören. Das Schlimmste, was mir begegnen kann, ist der Verlust einer Ungetreuen.« »Über deren Verlust Sie sich zu Tode grämen werden,« setzte die Favorite hinzu. »Was für Geschichten!« sagte Mangogul. »Halten Sie Selim für so schwachsinnig? Er hat die zärtliche Cydalise verloren und ist frisch und gesund: warum sollte er sterben, wenn er Fulvias Untreue erkennt? Wenn ihm nur ein solcher Tod droht, so verbürg' ich ihm ewiges Leben. Selim, auf morgen bei Fulvia, verstehen Sie mich? Ich werde Ihnen die Stunde ansagen lassen.« Selim verbeugte sich, Mangogul ging hinaus, die Favorite fuhr fort, dem alten Hofmann vorzustellen, welch ein gefährliches Spiel er spiele. Selim dankte ihr für diesen Beweis ihres Wohlwollens, und alle legten sich schlafen in Erwartung großer Dinge.
Liebe, Eifersucht, Tod, Treue und Intrigen bei Hofe.
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