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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 44
g. | Mittwoch, 12. März 2014, 05:54 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Wieder Selim
Mangogul ging, um von der Redoute auszuruhen. Mirzoza war gar nicht aufgelegt, zu schlafen, ließ Selim rufen und forderte ihn auf, die Geschichte seiner Liebschaften fortzusetzen. Selim gehorchte.
»Gnädige Frau, die Liebeshändel nahmen nicht meine ganze Zeit weg. Augenblicke, die ich dem Vergnügen entzog, widmete ich ernsteren Beschäftigungen und, die Abenteuer, denen ich nachging, verhinderten mich nicht, die Kriegsbaukunst, das Reiten, das Fechten, das Tanzen zu erlernen und Musik zu treiben. Auch beobachtete ich die Sitten und Gebräuche der Europäer und studierte ihre Staatswissenschaft und ihre Kriegskunst. Als ich nach Congo zurückkam, stellte man mich dem kaiserlichen Großvater des Sultans vor, der mir einen ehrenvollen Posten in seinem Heere anvertraute. Ich erschien am Hofe; bald war ich der beständige Begleiter des Prinzen Erguebzed, und folglich nahm ich auch teil an Abenteuern mit hübschen Frauen. Ich lernte Frauenzimmer von jeder Nation, von jedem Alter, von jedem Stande kennen und fand wenig grausame darunter, sei es, daß mein Rang sie blendete, oder daß sie mich gern plaudern hörten, oder endlich, daß meine Gestalt für mich sprach. Ich besaß damals zwei Eigenschaften, mit denen man es weit in der Liebe bringt; ich war dreist und von mir eingenommen.
Anfangs ging ich nur mit Frauenzimmern von Stande um. Ich traf sie abends in Gesellschaft am Spieltisch der Manimonbanda. Ich brachte die Nacht mit ihnen zu, und am Morgen darauf kannten wir uns fast nicht mehr. Diese Damen haben zwei Beschäftigungen auf der Welt: nämlich, sich Liebhaber zu verschaffen, sollten sie sie auch ihren besten Freundinnen wegnehmen und sodann sie wieder los zu werden. Aus Furcht, sie möchten einmal unversorgt sein, während sie eine Intrige anzetteln, schauen sie gleich nach zwei oder drei Liebhabern aus. Sie haben, ich weiß nicht wieviel, kleine Künste, um den einzufangen, auf den sie ihr Augenmerk gerichtet haben, und halten hunderterlei Vorwände in Bereitschaft, um den los zu werden, den sie besitzen. So war es von jeher, so wird es immer sein. Ich will keine Namen nennen, aber ich habe alle Damen gekannt, die nur an Erguebzeds Hofe für jung und schön galten und alle diese Verhältnisse wurden innerhalb sechs Monaten angeknüpft, gelöst, wieder aufgenommen und vergessen.
Da ich dieser Welt überdrüssig war, begab ich mich zu den Antipoden. Ich sah Bürgerinnen, die, falsch und auf ihre Schönheit stolz, alle nur das Wort Ehre im Munde führten, beinahe immer von wilden brutalen Ehemännern oder von sogenannten plattfüßigen Vettern umlagert waren, die den lieben langen Tag vor ihren teuren Mühmchen die Leidenschaftlichen spielten und mir sehr mißfielen. Man konnte diese Weiber keinen Augenblick allein haben. Diese Bestien kamen immer dazwischen, störten jede Zusammenkunft und mischten sich bei jeder möglichen Gelegenheit ins Gespräch. Doch überwand ich diese Schwierigkeiten und brachte fünf oder sechs dieser Zierpuppen so weit, als ich wollte, ehe ich sie sitzen ließ. Was mir an ihrem Umgang Spaß machte, war, daß sie mit aller Gewalt empfindsam sein wollten, so daß ich mich auch empfindsam stellen mußte und Zeug von ihnen zu hören bekam, worüber ich mich fast totlachte. Auch forderten sie viel Aufmerksamkeiten und Sorgfalt. Alle Augenblicke sollt' ich gegen sie gefehlt haben. Sie predigten eine so einwandfreie Liebe, daß man bald davon genug hatte. Aber das Schlimmste war, daß sie immer meinen Namen im Munde führten, und daß ich zuweilen genötigt war, mich mit ihnen zu zeigen und alles Lächerliche einer Philisterliebe auf mich zu nehmen. Das ward mir endlich zu toll, und ich rettete mich eines Tages aus den Kramläden und der Rue Saint Denis, um in meinem Leben nicht wieder hinzukommen.
Damals wurden die kleinen heimlichen Häuschen Mode. Ich mietete mir eines in der morgenländischen Vorstadt und hielt mir nach und nach einige Mädchen darin, die man sieht und bald nicht mehr sieht, mit denen man plaudert, denen man nichts mehr zu sagen hat und die man zum Teufel schickt, wenn man ihrer satt ist. Dahin lud ich meine Freunde und Spielerinnen von der Oper, dort gab ich kleine Abendgesellschaften, die Prinz Erguebzed selbst zuweilen mit seiner Gegenwart beehrte. Ach! gnädige Frau, ich hatte köstlichen Wein, herrliche Schnäpse und den besten Koch in Congo.
Aber nichts hat mich mehr belustigt als ein Streich, den ich in einer entlegenen Provinz ausführte, wo mein Regiment in Quartier lag. Ich verließ Banza, um es zu mustern. Das war das einzige Geschäft, das mich aus der Stadt entfernte, und meine Abwesenheit würde nicht lange gedauert haben, wenn ich nicht einem närrischen Einfall nachgelaufen wäre. Es gab ein Kloster zu Baruthi, welches wunderschöne Mädchen enthielt. Ich war jung und hatte noch keinen Bart, ich ließ mir beikommen, mich dort als Witwe einzuschleichen, die eine Zuflucht gegen die Nachstellungen der Welt suchte. Man machte mir ein Frauenkleid, ich zog es an, und so trat ich vor das Gitter der Nonnen. Sie nahmen mich liebreich auf, trösteten mich über den Verlust meines Gatten, bestimmten mein Kostgeld, und ich blieb bei ihnen.
Das Gemach, das man mir einräumte, stieß an den Schlafsaal der Novizen. Es waren ihrer viele, mehrenteils junge und außerordentlich frische. Ich kam ihnen mit Höflichkeiten zuvor und ward bald ihre Freundin. In weniger als acht Tagen lehrte man mich die Verfassung der kleinen Republik von allen Seiten kennen; schilderte mir die Charaktere, erzählte mir Anekdoten, vertraute sich mir in jeder Rücksicht, und ich bemerkte, daß wir Weltkinder uns auf üble Nachreden und Verleumdungen nicht so gut verstanden wie sie. Ich hielt streng auf die Klosterregel; ich nahm eine scheinheilige Miene und einen sanften Ton an, und man sagte sich ins Ohr, es werde ein großes Glück für das Kloster sein, wenn ich mich dort einkleiden ließe.
Kaum glaubte ich meinen guten Ruf im Hause befestigt, als ich mich an ein junges Mädchen machte, das eben den ersten Schleier genommen hatte. Es war eine herrliche Brünette, sie nannte mich Mütterchen, ich nannte sie meinen kleinen Engel. Sie gab mir unschuldige Küsse, ich gab ihr zärtliche Küsse zurück. Die Jugend ist wißbegierig. Zirzifile sprach alle Augenblicke mit mir vom Heiraten und von den Freuden, die ein Mann gäbe. Sie fragte mich, wie es darum stände? Ich vermehrte ihre Neugier auf geschickte Weise und von Fragen zu Fragen führte ich sie endlich zur Beherzigung der Lehren, die ich ihr gab. Das war nicht die einzige Novize, die ich unterrichtete. Auch einige junge Nonnen kamen in meine Zelle, um sich zu erbauen. Ich wußte die Augenblicke, die Stunden, die Zusammenkünfte so gut zu verlegen, daß keine der anderen im Wege war. Kurz, was soll ich Ihro Gnaden sagen? Die fromme Witwe erwarb sich eine zahlreiche Nachkommenschaft. Als aber das Ärgernis ausbrach, worüber man lange heimlich geseufzt hatte, als der versammelte Rat der Ältesten den Klosterarzt berief, dacht' ich auf meinen Rückzug. In einer Nacht, während das ganze Haus im Schlaf lag, kletterte ich über die Gartenmauer und verschwand. Ich begab mich nach den Bädern von Piombino, wohin der Arzt das halbe Jungfernstift gesandt hatte, und vollendete dort in Uniform das Werk, was ich in Witwentracht begonnen hatte. Das ist eine Tatsache, gnädige Frau, deren sich das ganze Reich erinnert, wovon aber Sie allein den Urheber kennen.«
»Den Rest meiner Jugend,« fuhr Selim fort, »verbracht' ich mit ähnlichen Vergnügungen. Immer fand ich Weiber aller Art, selten Heimlichkeit, viel Schwüre und keine Aufrichtigkeit.« – »So haben Sie also nie geliebt?« fragte die Favorite. »Ach, was dacht' ich damals an Liebe?« sagte Selim. »Ich suchte nichts als Genuß, und die, welche einem dazu verhelfen ...« »Hat man aber Genuß ohne Liebe?« unterbrach ihn die Favorite. »Was heißt Genuß, wenn das Herz stumm ist?« »Ei, gnädige Frau,« versetzte Selim, »ist es denn das Herz, das im achtzehnten oder zwanzigsten Jahre spricht?«
»Und was nun ist das Resultat aller dieser Erfahrungen? Was halten Sie von den Weibern?«
»Daß die meisten keinen Charakter haben,« antwortete Selim. »Drei Dinge wirken mächtig auf sie: Eigennutz, Vergnügen und Eitelkeit. Vielleicht gibt es keine, die nicht von einer dieser Leidenschaften beherrscht wird; die aber alle drei in sich vereinigen, sind Ungeheuer.«
»Das Vergnügen mag noch hingehen,« sprach Mangogul, der in diesem Augenblick hereintrat. »Es ist zwar kein Verlaß auf die Weiber, aber man muß sie doch entschuldigen. Ist das Blut bis zu einem gewissen Grade erhitzt, so trägt es wie ein flüchtiges Pferd seinen Reiter über Stock und Block, und fast alle Weiber sitzen rittlings auf einem solchen Roß.« »Darum,« sagte Selim, »nennt vielleicht die Herzogin Menega den Ritter Kaidar ihren Oberstallmeister.«
»Aber ist es möglich,« fragte die Sultanin den Hofmann, »daß Sie nie die geringste Herzensaffäre hatten? Sind Sie nur darum aufrichtig, um ein Geschlecht zu entehren, das Sie glücklich machte, wenn Sie zu seinem Vergnügen beitrugen? Wie? unter einer so großen Menge Frauenzimmer nicht eine, die geliebt sein wollte, die geliebt zu werden verdiente? Das ist unbegreiflich.«
»Ach, gnädige Frau,« antwortete Selim,, »ich fühle, weil es mir so leicht wird, Ihnen zu gehorchen, daß die Jahre die Macht einer liebenswürdigen Frau über mein Herz nicht geschwächt haben. Ja, gnädige Frau, auch ich habe geliebt. Sie wollen alles wissen, ich will alles sagen, Sie mögen entscheiden, ob ich nicht mit Ehren in der Rolle eines Liebhabers gut bestanden habe.«
»Kommen in diesem Teile Ihrer Geschichte Reisen vor?« fragte der Sultan. »Nein, Fürst,« antwortete Selim. »Desto besser,« versetzte Mangogul, »denn ich fühle mich gar nicht aufgelegt, zu schlafen.«
»Mir aber wird Selim einen Augenblick auszuruhen gestatten,« erwiderte die Favorite.
»Er kann auch schlafen gehen,« sagte der Sultan. »Und während Sie schlafen, will ich Cypria ausfragen.« »Aber, Fürst,« versetzte Mirzoza, »Ihre Hoheit bedenken nicht, daß dieses Kleinod Sie in unendliche Reisen verwickeln wird.«
Hier meldet der gelehrte Afrikaner, der Sultan, dem Mirzozens Bemerkung einleuchtete, habe sich mit einem starken Gegenmittel wider den Schlaf versehen. Er setzt hinzu, daß Mangoguls Arzt, der zugleich sein Freund war, ihm das Rezept dazu mitgeteilt habe und daß er es als Vorrede vor sein Werk gesetzt hätte. Doch leider sind uns von dieser Vorrede nur die drei letzten Zeilen erhalten geblieben, die ich hier mitteilen will:
Recipe von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
von Marianne und der Bauer. Roman von . . . . . vier Seiten
von Irrungen des Herzens ein Blatt
von Die Beichten fünfundzwanzig und eine halbe Zeile.
Nach den Damen von Stand, versucht er sich an bürgerlichen Frauen, die „predigten eine so einwandfreie Liebe, daß man bald davon genug hatte.“
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