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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 21
g. | Montag, 7. Oktober 2013, 07:37 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Von verlornen und wiedergefundnen DingenDie Macht der Natur.
(Anhang zu Panicirollus gelehrtem Werk und zu den Abhandlungen der Akademie der Altertumsforscher)
„Mangogul kehrte zu seinem Palast zurück und dachte über die Torheiten nach, worin die Weiber verfallen, als er sich, entweder aus eigner Zerstreuung, oder aus einem Versehen seines Ringes, in dem Säulengange des prachtvollen Gebäudes befand, das Thelis mit der reichen Ausbeute ihrer Liebhaber schmückte. Er benutzte die Gelegenheit, ihr Kleinod auszufragen.
Thelis war die Gemahlin des Emir Sambuco, dessen Vorfahren Guinea beherrschten. Sambuco war in Congo angesehen, er hatte Erguebzeds Feinde fünf-oder sechsmal besiegt. Er war ein eben so geschickter Staatsmann als Feldherr und brachte verschiedene ihm aufgetragene Unterhandlungen von Wichtigkeit mit großen Ehren zustande. Bei seiner Wiederkunft von Loango sah er Thelis und liebte sie. Damals war er dicht an fünfzig Jahren, Thelis aber höchstens fünfundzwanzig. Sie besaß mehr Anmut als Schönheit; die Weiber fanden sie liebenswürdig, die Männer beteten sie an. Mächtige Freier hatten um sie geworben: aber entweder war ihr Plan schon gemacht, oder der Unterschied des Vermögens zwischen ihr und ihren Werbern war zu groß: alle bekamen einen Korb. Sambuco sah sie, legte unermeßliche Reichtümer zu ihren Füßen, Namen, einen Ruhm und einen Rang, der nur von dem eines Fürsten übertroffen wurde, und ward erhört.
Thelis blieb oder schien tugendhaft sechs lange Wochen nach der Hochzeit. Aber ist ein Kleinod zur Wollust geboren, so vermag es nur selten sich selbst zu bändigen; und ein fünfzigjähriger Gemahl mag in jeder andern Rücksicht ein Held sein, er ist toll, wenn er diesen Feind zu besiegen hofft. Thelis betrug sich freilich mit vieler Vorsicht, doch blieben ihre ersten Verirrungen nicht unbekannt. Also schrieb man ihr auch in der Folge mehr zu, als man erfuhr, und Mangogul, neugierig, die Wahrheit zu erfahren, eilte aus dem Vorhof ihres Palastes in ihr Wohnzimmer.
Es war gerade mitten im Sommer, die Hitze sehr groß, und Thelis hatte sich nach aufgehobener Tafel auf ein Ruhebett gestreckt in einem entlegenen Gemach, das mit Spiegeln und Gemälden geschmückt war. Sie schlummerte; noch ruhte ihre Hand auf einer Sammlung persischer Märchen, die sie eingeschläfert hatten.
Mangogul betrachtete sie eine Zeitlang, gestand sich, daß sie reizend sei und drehte seinen Ring gegen sie.
»Es ist mir noch so im Gedächtnis, als ob es jetzt geschähe,« sagte Thelidens Kleinod sogleich: »Neun Liebesproben in vier Stunden! Welch ein Genuß! Göttlicher Zermunzaid! So verfährt der alte frostige Sambuco nicht! Teurer Zermunzaid! Ich kannte die wahre Freude, das höchste Gut der Menschen nicht. Du hast es mich kennen gelehrt.«
Mangogul wünschte die näheren Umstände des Umganges Thelidens mit Zermunzaid zu erfahren. Das Kleinod hielt sich nur an das, was einem Kleinod das wichtigste ist, und schlüpfte darüber weg. Mangogul rieb ein Weilchen den Stein seines Ringes gegen sein Gewand, bis er glänzend ward, und kehrte ihn aufs neue gegen Thelis. Bald empfand das Kleinod seine Kraft, begriff besser, was man eigentlich von ihm verlangte, und nahm mehr den Ton eines Geschichtschreibers an:
»Sambuco stand an der Spitze des Heeres zu Monoemugi, ich folgte ihm ins Feld. Zermunzaid war sein Adjutant; der Feldherr beehrte ihn mit seinem besondern Vertrauen und übergab uns seinem Geleit. Der eifrige Zermunzaid wich nicht von seinem Posten; er schien ihm zu angenehm, um ihn einem andern abzutreten; und die Furcht, ihn zu verlieren, war seine einzige Furcht während des ganzen Krieges.
Im Winterquartier bekam ich neue Gäste. Kassil, Zekia, Almamun, Jesub, Selim, Mansora, Nereskim: alles Offiziere, die Zermunzaid geführt hatte, aber keiner war so viel wert als er. Der leichtgläubige Sambuco verließ sich in Ansehung der Tugend seiner Frau auf sie selbst und auf Zermunzaids Vorsorge. Die unermeßlichen einzelnen Vorkehrungen des Krieges, der große Plan, den er zu Ehren von Congo vorbereiten wollte, machten ihm so viel zu schaffen, daß er nicht Zeit hatte, den Verdacht zu fassen, daß Zermunzaid ihn verrate oder Thelis ihm untreu sei.
Der Krieg dauerte fort, die Heere rückten wieder ins Feld, und wir stiegen wieder in unsre Sänften. Da die nur sehr langsam vorwärts gingen, so verloren wir unmerklich den Kern der Armee aus dem Gesicht und blieben beim Nachtrab. Zermunzaid führte ihn. Dieser tapfre Junge, den der Anblick der größten Gefahr nie vom Wege des Ruhms entfernen konnte, ließ sich durch die Lockungen der Liebe verleiten. Er überließ einem untergeordneten Offizier die Beobachtung des Feindes, der uns beunruhigte, und stieg in unsern Wagen. Aber kaum war er drinnen, als wir Waffengeklirr und verwirrtes Geschrei vernahmen. Zermunzaid ließ seine Arbeit unvollendet und wollte aussteigen, aber er ward zu Boden gestreckt, und wir blieben in der Gewalt des Siegers.
So verschlang ich die Ehre und die Verdienste eines Offiziers, der von seiner Tapferkeit und seiner Tüchtigkeit die erste Stelle, die höchsten Kriegsämter erwarten durfte, wenn er nie die Gattin seines Generals gekannt hätte. Mehr als dreitausend Menschen blieben bei der Gelegenheit auf dem Platz. So viel gute Untertanen haben wir dem Staat entwendet.«
Man bedenke, wie Mangogul über diese Rede erstaunen mußte! Er hatte Zermunzaids Leichenpredigt mit angehört und erkannte ihn an dieser Schilderung nicht wieder. Erguebzed, sein Vater, hatte den Verlust dieses Offiziers bedauert. Alle Zeitungen, die man las, verschwendeten das höchste Lob an seinen glänzenden Rückzug und schrieben seine Niederlage und seinen Tod der feindlichen Übermacht zu, die sechsmal stärker gewesen sei als er. Ganz Congo beklagte einen Mann, der seine Pflicht so gut erfüllt hätte. Seine Frau bekam ein Gnadengehalt, sein ältester Sohn das Regiment seines Vaters und der jüngste die Anwartschaft auf eine Domherrnstelle.
»Das ist abscheulich!« rief Mangogul leise. »Die eheliche Treue gebrochen, den Staat verraten, die Mitbürger aufgeopfert, alles das um ein Kleinod! Und der Frevel bleibt unentdeckt und wird sogar noch wie eine Tugend belohnt!«
Thelidens Kleinod hatte nur geschwiegen, um Atem zu schöpfen. Jetzt fuhr es fort: »So war ich dem Feinde auf Gnade und Ungnade ergeben. Ein Dragoner-Regiment war bereit, auf uns einzudringen. Thelis schien darüber in Verzweiflung und wünschte doch nichts sehnlicher als das. Aber die Schönheit der Beute streute Zwietracht unter die Räuber. Man zog die Schwerter, und dreißig bis vierzig Menschen wurden im Augenblick umgebracht. Der Befehlshaber vernahm das Getümmel, eilte herzu, besänftigte die Wütenden und wies uns zu unsrer Sicherheit ein Zelt an, wo wir uns kaum umsehen konnten, als er schon hereintrat, den Lohn seines Dienstes zu fordern. Die Überwundenen sind unglücklich! rief Thelis, und warf sich auf ein Bett, wo sie die ganze Nacht hindurch ihr Unglück empfand.
Am Tage darauf waren wir am Ufer des Niger. Ein Schiff erwartete dort meine Gebieterin und mich, damit wir dem Kaiser von Benin vorgestellt würden. Die Fahrt dauerte vierundzwanzig Stunden. Der Schiffskapitän bot Thelis seinen Beistand an, ward zugelassen, und ich machte die Erfahrung, daß der Seedienst unendlich rascher geht als der Landdienst.
Wir kamen vor den Kaiser von Benin. Er war jung, feurig und wollüstig. Thelis eroberte auch ihn. Aber die Eroberungen ihres Gemahls jagten ihm Furcht ein. Er bat um Frieden und brachte sich dadurch um drei Provinzen und mein Lösegeld.
Andre Zeiten – andre Sorgen. Sambuco erfuhr, ich weiß nicht wodurch, was an dem Unglück des vorigen Feldzuges schuld gewesen sei. In dem nächstfolgenden gab er mich einem seiner Freunde in Verwahrung, der ein Haupt der Brahminen war. Der Mann Gottes wehrte sich nicht lange; er wich Thelidens Reizen aus, und in weniger als sechs Monaten verschlang ich seine unermeßlichen Einkünfte, drei Teiche und zwei hochstämmige Wälder.«
»Gott steh mir bei!« rief Mangogul. »Drei Teiche und zwei Wälder! Das Kleinod hat eine gesegnete Verdauung.« »Wir können mehr vertragen,« erwiderte das Kleinod. »Es ward Friede, und Thelis begleitete ihren Gemahl auf seiner Gesandtschaft nach Monomotapa. Sie spielte und verlor vielleicht hunderttausend Zechinen an einem Tage, die ich in einer Stunde wiedergewann. Ein Minister, dessen Zeit nicht ganz und gar von den Angelegenheiten seines Herrn ausgefüllt wurde, kam mir unter die Zähne, und ich verzehrte ihm in drei bis vier Monaten ein schönes Landgut, ein Schloß mit allen Möbeln, einen Park und einen Staatswagen mit einem Zuge von sechs Schecken. Eine vier Minuten lange Gunst, gehörig aufgeschoben, erwarb uns Feste, Geld und Geschmeide. Sambuco war entweder blind oder klug und störte uns nicht.
Ich mag hier nicht anführen, wie viel Grafschaften, Rittergüter, Lehnsrechte, Wappenschilder usw. vor mir verschwunden sind. Mein Sekretär kann Ihnen sagen, was daraus geworden ist. Ich habe die Krongüter von Biafara sehr beschnitten und besitze eine ganze Provinz von Beleguanza. Als Erguebzed alt ward, machte er mir den Vorschlag ...« – Hier drehte Mangogul seinen Ring zurück und ließ den Strudel verstummen. Aus Ehrfurcht für das Gedächtnis seines Vaters wollte er nichts hören, was den Glanz der großen Eigenschaften, die er an ihm kannte, verdunkeln würde.
Bei der Rückkunft in seinen Harem unterhielt er die Favorite von den Nervenkranken und vom Versuch seines Ringes an Thelis. »Sie schenken dieser Frau Ihren vertraulichen Umgang,« sprach er, »aber wahrscheinlich kennen Sie sie nicht so gut wie ich.« »Ich verstehe Sie, gnädigster Herr,« antwortete die Sultanin. »Ihr Kleinod ist so einfältig gewesen, Ihnen ihre Abenteuer mit dem General Mikokof, den Emir Feridur, dem Senator Marsufa und dem Oberbrahminen Ramadanutio zu beichten. Man weiß überdies, daß sie sich den jungen Alamir hält, und daß es dem alten Sambuco so gut bekannt ist als Ihnen, wenn er gleich dazu schweigt.«
»Sie erraten's nicht,« erwiderte der Sultan, »ich hab aus ihrem Kleinod alles herausgeholt.« »Hatte es Ihnen etwas weggenommen?« fragte Mirzoza. »Mir nicht,« antwortete der Sultan, »aber meinen Untertanen, den Großen meines Reichs und benachbarten Fürsten: ihre Länder, Provinzen, Schlösser, Teiche, Wälder, Edelsteine und Staatswagen mit sechs Schecken.« – »Und obendrein ihren guten Namen und ihre Tugenden,« setzte Mirzoza hinzu. »Ich weiß nicht, welchen Vorteil Ihnen Ihr Ring bringen wird, aber mit jedem neuen Versuch desselben wird mir mein Geschlecht verhaßter: die selbst nicht ausgenommen, denen ich Achtung schuldig zu sein glaubte. Ich bin gegen sie so aufgebracht, daß ich selbst Ihre Hoheit bitte, mich einige Augenblicke allein zu lassen.« Mangogul wußte, daß der Favorite jeder Zwang zuwider sei, küßte dreimal ihr rechtes Ohr und verließ sie.
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