Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 16. Juli 2014
Aufklärerinnen
Da ich noch auf absehbare Zeit mit Wieland und Diderot beschäftigt sein werde, kann ich das hier nicht weiter vertiefen:

Aufklärerinnen
  1. Charlotte Aïssé
    Hört sich interessant an, über Wikipedia hinaus habe ich noch nichts finden können. Wahrscheinlich muss man in französischen Quellen (wenn man ausreichend Französisch kann) weitergraben.
  2. Madeleine-Sophie Arnould
  3. Sophie Lalive de Bellegarde
  4. Julie Bondeli
  5. Gabrielle Émilie Le Tonnelier de Breteuil, Marquise du Châtelet-Laumont
  6. Marie de Vichy-Chamrond
  7. Suzanne Curchod
  8. Marie Anne Doublet
  9. Caroline Auguste Fischer (Ihre Erzählung "Justine" soll interessant sein)
  10. Louise Marie Madeleine Fontaine
  11. Claire de Duras
  12. Marie Justine Benoîte Duronceray
  13. Louise Florence Pétronille Lalive, marquise d’Épinay
  14. Marie Thérèse Geoffrin
  15. Luise Gottsched
  16. Olympe de Gouges
  17. Françoise d'Issembourg d'Happoncourt de Graffigny
  18. Noëlle-Catherine Grand
  19. Amalia Holst
  20. Therese Huber
  21. Gräfin Caroline Amalie von Keyserling
  22. Jeanne Julie de Lespinasse
  23. Anne-Catherine de Ligniville Helvétius
  24. Anne-Thérèse de Marguenat de Courcelles
  25. Catherine Sawbridge Macaulay
  26. Maria Sibylla Merian (?)
  27. Elżbieta Izabela Lubomirska
  28. Elise Reimarus
  29. Sophie von La Roche (und)
  30. Jeanne-Marie Roland de La Platièr
  31. Françoise Eléonore Dejean de Manville, comtesse de Sabran
  32. Anna Maria Rüttimann-Meyer von Schauensee
  33. Claudine Alexandrine Guérin, Marquise de Tencin
  34. Johanna Charlotte Unzer
  35. Rahel Varnhagen von Ense
  36. Louise-Henriette Volland
  37. Mary Wollstonecraft

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Dienstag, 15. April 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 52
Mirzoza


Während Mangogul sich in seinen Gärten mit der Favorite und Selim unterhielt, brachte man ihm die Nachricht von Sulameks Tode. Sulamek war anfangs gegen Erguebzeds Willen des Sultans Tanzmeister gewesen; aber einige Ränkeschmiedinnen, die er gefährliche Sprünge gelehrt hatte, beförderten ihn nach besten Kräften und brachten es endlich dahin, daß er Marcell und anderen vorgezogen wurde, deren Vorgesetzter er nicht zu sein verdiente. Er war ein Kleinigkeitskrämer, sprach die Hofsprache, erzählte ganz artig und wußte mit Kindern zu spielen, verstand aber nichts vom hohen Tanz. Als die Großwesirsstelle erledigt war, brachte er es durch vieles Katzbuckeln dahin, daß er endlich den Groß-Seneschall ausstach, der zwar unermüdlich im Tanz, aber etwas steifbeinig war und häßliche Verbeugungen machte. Unter seiner Ministerschaft trug sich für die Nation nichts Glorreiches zu. Seine Feinde – und welcher Mann von Verdienst hätte deren nicht? – sagten ihm nach, er spiele schlecht Geige, verstehe nichts von der Choreographie, hätte sich von den Pantomimen des Presbyters Johannes zum Narren halten und durch einen Bären von Monoemugi ins Bockshorn jagen lassen, der einmal vor ihm tanzte, habe dem gichtbrüchigen Kaiser von Tombul Millionen bezahlt, damit er nicht tanzen möge, verschwende jährlich mehr als fünfmalhunderttausend Zechinen für Kolophonium und noch weit mehr zur Verfolgung aller Bierfiedler, die andere als seine Menuetten spielten, lasse sich endlich seit fünfzehn Jahren durch die Leier eines dicken Guineers einschläfern, der mit Begleitung dieses Saitenspiels einige Congoische Lieder radebreche. Dagegen habe er freilich auch die Mode der holländischen Lieder eingeführt usw.
Mangogul war ungemein gutmütig. Sulameks Verlust ging ihm nahe, er ordnete für ihn einen Katafalk und eine Leichenrede an. Mit der letzteren ward der Redner Burrububu beauftragt.
An dem Tage der Feier begaben sich die Häupter der Brahminen, der gesamte Diwan und die Sultaninnen, geführt von ihren Verschnittenen, in die große Moschee. Burrububu bewies zwei Stunden lang mit einer bewunderungswürdigen Redegewandtheit, daß Sulamek sich durch vorzügliche Verdienste emporgeschwungen habe; machte Nutzanwendungen über Nutzanwendungen, vergaß Mangogul nicht, noch was er während Sulameks Staatsverwaltung ausgerichtet, und erschöpfte sich in Ausrufen über Ausrufen, als Mirzoza, deren Nerven keine Lügen vertragen konnten, darüber einen Ohnmachtsanfall bekam.
Ihre Bedienten und Frauen eilten ihr zu Hilfe, man setzte sie in ihren Palankin und trug sie sogleich in den Harem zurück. Mangogul, dem man die Gefahr berichtete, eilte zu ihr. Die ganze Apothekerkunst ward aufgeboten. Hofmannstropfen, Englisch Salz, Schauerscher Balsam wurden umsonst versucht. Der Sultan war außer sich, weinte über Mirzoza, fluchte dem Gualonorone, verlor endlich alle Hoffnung oder setzte sie vielmehr nur auf seinen Ring. »Hab' ich dich verloren, Wonne meines Lebens!« rief er, »so muß auch dein Kleinod auf ewig verstummen, wie dein Mund!«
Sogleich befiehlt er allen hinauszugehen; man gehorcht, und nun ist er allein bei der Favorite. Er dreht seinen Ring gegen sie; aber Mirzozas Kleinod hatte, wie es so vielen andern täglich ergeht, in der Kirche Langeweile gehabt und war wahrscheinlich noch schläfrig, denn es murmelte anfangs nur einige unverständliche, undeutlich ausgesprochene Worte. Der Sultan wiederholte den Versuch, und das Kleinod sprach sehr deutlich. »Fern von Ihnen, Mangogul, was soll aus mir werden? Treu bis in die Nacht des Grabes würde ich mich nach Ihnen sehnen, und finden Liebe und Beständigkeit noch Lohn bei den Toten, teurer Fürst, so würde auch ich bei Ihnen ... Ach, ohne Sie wäre Brahmas köstlicher Palast, den er seinen Gläubigen verspricht, für mich ein schrecklicher Aufenthalt.«
Mangogul, vor Freuden hingerissen, bemerkte nicht, daß die Favorite nach und nach aus ihrer Schlafsucht erwachte und die letzten Worte ihres Kleinods hören müsse, wenn er nicht schleunig zurückdrehte, und das geschah auch. »O gnädigster Herr,« sprach sie, »sind das Ihre Schwüre? Haben Sie endlich Ihren ungerechten Argwohn aufgeklärt? Konnte nichts Sie zurückhalten? Nicht der Zustand, in dem ich mich befand, nicht das Unrecht, das Sie mir antaten, nicht das Wort, das Sie mir gaben?«
»Ach, Mirzoza,« antwortete der Sultan, »verwechseln Sie die Ungeduld, worin mich die Verzweiflung über Ihren Verlust allein zu stürzen vermochte, nicht mit schändlicher Neugierde. Nicht darum wollte ich meinen Ring gegen Sie versuchen, sondern als ein Hilfsmittel, das Sie ohne Wortbrüchigkeit meinen Wünschen wiedergibt und Ihnen mein Herz auf ewig zusichert.«
»Ich glaube Ihnen, gnädigster Herr,« antwortete die Favorite; »aber geben Sie dem Genius den Ring zurück, damit sein unglückliches Geschenk nicht länger Hof und Ihr Reich beunruhigt.«
Sogleich erhob Mangogul sein Gebet, und Cucufa erschien. »Allmächtiger Genius,« sprach Mangogul zu ihm, »nimm dein Geschenk zurück und erhalte mir deinen Schutz.« »Fürst,« antwortete der Genius, »teile dein Leben zwischen Liebe und Ruhm. Mirzoza sichert dir die erstere, ich verspreche dir die letztere.«
Bei diesen Worten kniff das kuttenbedeckte Gespenst seine Katze in den Schwanz, drehte sich im Kreise herum und verschwand, wie es gekommen war.
Ende der Erzählung von den redseligen Kleinoden.

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Freitag, 11. April 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 51
Platonische Liebe


»Aber ist denn Zaide einzig in ihrer Art? Mirzoza ist wenigstens ebenso reizend als sie, von ihrer Zärtlichkeit habe ich tausend Proben: ich will geliebt sein, ich bin es, und wer sagt mir, daß Suleiman mehr geliebt wird als ich? Ich war ein Narr, einen andern um sein Glück zu beneiden. Nein, niemand unter der Sonne ist glücklicher als Mangogul!« So fingen die Vorstellungen an, die Mangogul sich selbst machte. Ihre Fortsetzung hat der Geschichtschreiber unterdrückt; er begnügte sich, uns zu melden, daß der Sultan mehr darauf achtete, als auf die Vorstellungen seiner Minister, und daß Zaide ihm nicht wieder in den Sinn kam.


An einem Abend, als er sehr zufrieden mit seiner Geliebten oder mit sich selbst war, schlug er vor, Selim rufen zu lassen und sich ein wenig im Gebüsch des großherrlichen Gartens zu verlieren. Hier waren bedeckte Gänge, wo man ohne Zeugen mancherlei sagen und tun konnte. Auf dem Wege dahin lenkte Mangogul das Gespräch auf den Zweck, warum man liebt. Mirzoza, zu hohen Grundsätzen gestimmt und für Ideen eingenommen, die sicherlich weder zu ihrem Range, noch zu ihrer Schönheit, noch zu ihrer Jugend paßten, behauptete: man liebe, oft um zu lieben; es gäbe Verbindungen, auf Übereinstimmung der Gemüter gegründet, durch Achtung aufrechterhalten, durch Vertrauen befestigt, die eine lange und beständige Dauer hätten, ohne daß der Liebhaber auf die höchste Gunst Anspruch mache, oder die Geliebte in Versuchung gerate, sie ihm zu gewähren.
»Da sieht man, Madam,« sagte der Sultan, »wie die Romane Sie verdorben haben. Doch gibt es freilich bis zur Dummheit ehrerbietige Helden und tugendhafte Prinzessinnen, aber Sie vergessen, daß solche Wesen nur im Gehirn der Dichter vorhanden sind. Fragen Sie Selim, der besser als jemand den Katechismus Cytherens aufsagen kann, was die Liebe ist. Ich wette, er antwortet Ihnen, die Liebe sei nichts als ...«
»Wollen Sie etwa wetten,« unterbrach ihn die Sultanin, »daß die Zartheit der Empfindungen nur ein Hirngespinst sei, und daß es ohne Hoffnung auf Genuß kein Fünkchen Liebe auf der Welt gebe? Wahrlich, dann müßten Sie eine sehr schlechte Meinung vom menschlichen Herzen haben.«
»Das tu ich,« versetzte Mangogul; »unsere Tugenden sind eben so eigennützig, als unsere Laster. Der Tapfere setzt sich Gefahren aus, weil er den Ruhm liebt; der Feige liebt die Ruhe und das Leben, der Liebhaber will genießen.«
Selim ergriff die Partei des Sultans und setzte hinzu, daß, wenn zwei Dinge nicht wären, so würde die Liebe aus der menschlichen Gesellschaft verbannt werden und nie wieder zum Vorschein kommen.
»Was sind das für zwei Dinge?« fragte die Favorite. »Er will sagen,« antwortete Mangoguil, »wenn Sie und ich und die ganze übrige Welt das verlieren könnten, was Tanzai und Neadarne im Traume wiedererhielten.«
»Wie?« unterbrach ihn Mirzoza. »Sie glauben, daß es ohne diese elenden Dinge keine Achtung und kein Vertrauen unter zwei Personen von verschiedenem Geschlecht gebe? Ohne sie sollte eine Frau von Talent, Geist und Anmut keinen Eindruck machen können? Ohne sie werde man einen schönen, liebenswürdigen Mann, einen Mann von Genie, von vortrefflichem Charakter nicht mehr anhören wollen?«
»Gewiß nicht, Madam,« versetzte Mangogul; »denn was sollte er sagen, wenn er Ihnen gefällt?«
»Tausend allerliebste Dinge,« antwortete Mirzoza, »die man immer gern hört.«
»Bedenken Sie, Madam,« sagte Selim, »daß derlei Dinge alle Tage ohne Liebe gesagt werden. Nein, Madam, nein, ich habe überzeugende Beweise: ohne einen wohlorganisierten Körper keine Liebe. Agenor, der schönste Junge im Congo und der geistvollste Mann am Hofe, könnte mir, wäre ich ein Frauenzimmer, noch so viel sein wohlgebautes Bein zeigen und seine großen blauen Augen auf mich werfen, die feinsten Schmeicheleien an mich verschwenden und mir jeden seiner Vorzüge zur Geltung bringen, ich würde ihm nur eine Frage vorlegen, und könnte er mir die nicht prompt beantworten, so hätte ich alle mögliche Achtung für ihn, nur keine Liebe.«
»Das ist nüchtern,« setzte der Sultan hinzu, »und Sie werden mir gestehen, diese geheimnisvolle Frage ist in der Liebe nützlich und nötig. Sie sollten sich nur zu Ihrer Belehrung die Unterhaltung eines schönen Geistes von Banza mit einem Schulmeister erzählen lassen. Sie würden dann sogleich begreifen, warum der schöne Geist, der Ihren Satz ebenfalls behauptete, endlich gestehen mußte, daß er unrecht habe, und daß sein Gegner wie ein Kleinod spreche. Selim kann Ihnen das am besten sagen, von ihm weiß ich es.«


Die Favorite vermutete, ein Geschichtchen, das Mangogul nicht erzählen wolle, müsse sehr anstößig sein, und sie ging in eine Laube, ohne Selim danach zu fragen. Das war ein Glück für ihn. Denn bei all seinem Witz hätte er entweder die Neugierde übel befriedigt oder ihr Schamgefühl außerordentlich beleidigt. Um sie aber zu entschädigen und sie vollends von der Geschichte des Schulmeisters abzulenken, erzählte er ihr die folgende:
»In einem großen Lande, an den Quellen des Nils, lebte ein Jüngling, schön wie der Liebesgott. Noch war er nicht achtzehn Jahre alt, als alle Mädchen bereits sich sein Herz streitig machten und alle Weiber ihn als Liebsten gern gehabt hätten. Geboren mit einem zärtlichen Herzen, liebte er, sobald er imstande war, zu lieben.«
Eines Tages befand er sich im Tempel beim Fest der großen Pagode, vor der er nach hergebrachter Weise, wie es das Gesetz befiehlt, siebzehnmal die Knie beugen wollte. Aber die Schöne, die er anbetete, ging vorbei und warf einen lächelnden Blick auf ihn, der ihn so in Verwirrung brachte, daß er das Gleichgewicht verlor, mit der Nase auf die Erde stürzte, der ganzen Gemeinde durch seinen Fall Ärgernis gab, seine Kniebeugungen zu zählen vergaß und bei der sechzehnten aufhörte.
Die große Pagode zürnte ob der Sünde und des Ärgernisses und strafte ihn grausam. Hilas, so hieß er, der arme Hilas, ward plötzlich von heftigen Begierden entzündet, aber glattweg des Mittels beraubt, ihnen zu genügen. Verwundert und traurig zugleich ob eines solchen Verlustes, befragte er deswegen das Orakel der großen Pagode. Sie nieste und antwortete: ›Du sollst nicht eher genesen, bis dich ein Weib in ihre Arme schließt, die dein Unglück kennt und dich deswegen nicht minder liebt.‹


Selbsteingenommenheit ist gern die Begleiterin der Jugend und Schönheit. Hilas bildete sich ein, sein Geist und sein angenehmes Wesen würde ihm bald ein zartsinniges Herz gewinnen, das zufrieden mit dem, was ihm blieb, ihn um seiner selbst willen lieben und so ihm bald wieder zurückgeben werde, was er verloren hätte. Zuerst wandte er sich an die unschuldige Ursache seines Unglücks. Es war ein junges, lebhaftes, wollüstiges, Liebe heischendes Mädchen. Hilas betete sie an und erhielt von ihr ein Stelldichein bewilligt, wo sie den armen Jungen von Liebkosungen zu Liebkosungen dahin führte, wohin er niemals gelangen konnte. Er quälte sich rechtschaffen und suchte in den Armen der Geliebten die Erfüllung des Orakelspruchs; nichts geschah. Sie ward es überdrüssig, zu warten, brachte sich schnell wieder in Ordnung und verließ ihn. Das Schlimmste bei dem Abenteuer war noch, daß die kleine Närrin es einer Freundin anvertraute, die es aus Verschwiegenheit nur drei oder vier andern Freundinnen weitererzählte, die ein so öffentliches Geheimnis daraus machten, daß Hilas, zwei Tage zuvor noch Hahn im Korbe bei allen Weibern, nun von ihnen verachtet ward, mit Fingern gezeigt und als eine Mißgeburt angesehen wurde.


Also in seinem Vaterlande verschrien, faßte der unglückliche Hilas den Entschluß, zu reisen und in der Ferne Heilung von seinem Übel zu suchen. Er begab sich unerkannt und ohne Gefolge an den Hof des Kaisers von Abessinien. Anfangs verliebte man sich in den jungen Fremdling, man riß sich um ihn. Aber der kluge Hilas vermied Verbindlichkeiten, bei denen er ebensosehr seine Rechnung nicht zu finden fürchtete, als er überzeugt war, daß die Weiber, die ihm nachstellten, sie bei ihm nicht finden würden. Aber bewundern Sie den Scharfsinn Ihres Geschlechts! ›Ein so junger, so kluger, so schöner Mann,‹ sagte man. ›Das wäre doch ein Wunder!‹ und es fehlte wenig, so hätte man trotz aller in ihm vereinigten Vorzüge sein Gebrechen erraten und aus Furcht, ihm alles zuzugestehen, was ein vollkommener Mann haben kann, ihm gerade das Einzige vorenthalten, was ihm abging.
Nachdem Hilas eine Zeitlang die Töchter des Landes besehen hatte, fiel seine Wahl auf eine junge Frau, die, ich weiß nicht aus welcher Grille, von der feineren Liebelei zur hohen Andacht übergegangen war. Er schmeichelte sich mehr und mehr in ihr Vertrauen ein, nahm ihre Grundsätze an, ahmte ihr Betragen nach, begleitete sie Arm in Arm in die Gotteshäuser und unterhielt sich so oft mit ihr über die Eitelkeit irdischer Vergnügungen, daß er mit der Erinnerung unmerklich die Lust daran bei ihr wieder erweckte. Seit mehr als einem Monat besuchte er nun die Moscheen, hörte Predigten und pflegte Kranke, als er sein Genesungsheim unternahm; allein alles vergeblich. Seine fromme Freundin wußte zwar, wie es im Himmel zugeht, doch vergaß sie darüber nicht, wie man auf Erden beschaffen sein muß, und der arme Junge verlor in einem einzigen Augenblick die ganze Frucht seiner guten Werke. Ein Trost blieb ihm freilich: man beobachtete unverbrüchliches Schweigen über diesen Vorfall. Ein Wort hätte sein Übel unheilbar gemacht, aber dieses Wort ward nicht gesprochen, und Hilas bandelte jetzt mit einigen andern frommen Seelen an, die er, eine nach der andern, für das spezifische Heilmittel hielt, das ihm das Orakel verordnet hatte, und die ihm nicht den Zauber lösten, weil sie nur das an ihm liebten, was er nicht mehr besaß. Ihre Gewohnheit, die Dinge dieser Welt zu vergeistigen, half ihm nichts. Sie schmachteten zwar nach Empfindung, aber nach der Empfindung des Genusses. »Sie lieben mich also nicht?« fragte Hilas betrübt. »Wissen Sie denn nicht, mein Herr,« war die Gegenfrage, »daß man erst erkennen muß, bevor man liebt? Und können Sie leugnen, daß Sie bei Ihrem Unglück durchaus nicht liebenswert sind, wenn man Sie kennt?«
Er ging seufzend von ihnen: »Die reine Liebe, von der man soviel spricht, ist nirgends zu finden. Die Zartheit der Empfindungen, worauf alle Männer und alle Frauen so erpicht sind, ist ein bloßes Hirngespinst. Das Orakel hat mich angeführt, und ich habe Zeit meines Lebens genug davon.«
Auf seinem Wege fand er solche Frauen, die nur Herzensbeziehungen suchen und denen ein kecker Mann wie der Tod verhaßt ist. Sie empfahlen ihm so ernstlich, nichts Irdisches und Grobes in seine Absichten einzumischen, daß er davon viel für seine Genesung erhoffte. Er glaubte ihnen aufs Wort und verwunderte sich gewaltig, daß es trotz der erhabenen Gespräche, in die sie ihn verwickelten, mit ihm dennoch beim Alten blieb. »Vielleicht wird meine Genesung nicht durch bloße Gespräche bewirkt,« sagte er zu sich selbst und lauerte auf eine Gelegenheit, sich in die Lage zu setzen, die das Orakel etwa erforderte. Sie kam. Eine junge Platonikerin, die über alles gern spazieren ging, führte ihn in ein abgelegenes Hölzchen. Hier war sie fern von allen Spähern, als ihr eine Ohnmacht ankam. Hilas warf sich über sie, tat, was er konnte, um ihr Erleichterung zu verschaffen, aber alle seine Anstrengung war umsonst. Die ohnmächtige Schöne merkte das so gut als er. »Ach, mein Herr,« sagte sie, indem sie sich seinen Armen entwand. »Was sind Sie für ein Mann! Ich gehe nie wieder mit Ihnen an einsame Orte, wo einem schlimm werden kann und man hundertmal sterben mag, ehe Hilfe kommt.«
»Andere erfuhren seinen Zustand, beklagten ihn, schwuren, der Zärtlichkeit, die sie für ihn empfänden, täte das keinen Abbruch, und sahen ihn niemals wieder.
Der unglückliche Hilas erregte mit dem schönsten Gesicht der Welt und den zartesten Empfindungen die Unzufriedenheit sehr vieler Frauen.«
»Weil er ein Gimpel war,« fiel der Sultan ein. »Warum wandte er sich nicht an eine Vestalin, wie es ihrer so viele in unsern Klöstern gibt? Die hätten einen Narren an ihm gefressen und er wäre unfehlbar durchs Gitter hindurch geheilt worden.«
»Gnädigster Herr,« versetzte Selim, »die Chronik erzählt, er habe auch dieses Mittel versucht und erfahren, daß man nirgends umsonst lieben will.« »So verzweifl' ich an seiner Genesung,« erwiderte der Sultan. »Er verzweifelte auch daran, wie Ihre Hoheit,« fuhr Selim fort, »ward es überdrüssig, Versuche zu wiederholen, die zu nichts führten, und begab sich in eine Einöde, nachdem ihm eine unzählige Menge Frauenzimmer ihr Wort darauf gegeben hatten, daß er ein unbrauchbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft wäre.«
Schon manchen lieben Tag irrte er so in der Wüste umher, als aus der Ferne Seufzer an sein Ohr drangen. Er horchte auf, das Seufzen dauerte fort, er ging dem Schalle nach und fand ein junges Mädchen, schön wie die Sterne, das Haupt auf die Hand gestützt, die Augen in Tränen gebadet und den übrigen Körper in einer traurigen nachdenklichen Stellung. »Was suchen Sie hier, mein Fräulein?« sagt er zu ihr, »ist denn diese Wüste für Sie geschaffen?« »Ja,« antwortete sie betrübt, »hier kann man wenigstens ganz nach seiner Bequemlichkeit traurig sein.« »Und worüber sind Sie betrübt?« – »Ach!« – »Reden Sie, Fräulein; was haben Sie?« – »Nichts.« – »Wie denn nichts?« – »Ganz und gar nichts, und das eben ist mein Kummer. Vor zwei Jahren war ich so unglücklich, eine Pagode zu beleidigen, die mir alles nahm. Es war freilich so wenig, daß das kein großer Beweis ihrer Macht ist. Seit dieser Zeit fliehen mich alle Männer und werden mich fliehen, hat die Pagode gesagt, bis sich einer findet, der mein Unglück kennt und sich doch mit mir befreundet und mich liebt, wie ich bin.«
»Was hör' ich?« rief Hilas. »Der Unglückliche, den Sie jetzt zu Ihren Füßen sehen, hat gleichfalls nichts, und das ist ebenfalls seine Krankheit! Er war vor einiger Zeit so unglücklich, eine Pagode zu beleidigen, die ihm alles nahm, was er besaß, und ohne Ruhmredigkeit: das war etwas. Seit der Zeit fliehen ihn alle Weiber und werden ihn fliehen, sagt die Pagode, bis er eine findet, die sein Unglück kennt und sich doch mit ihm befreundet und ihn liebt, wie er ist.«
»Ist das möglich?« fragte das junge Mädchen. »Was Sie mir sagten, ist es die Wahrheit?« fragte Hilas. »Sehen Sie selbst,« antwortete das Mädchen. »Sehen Sie selbst,« antwortete Hilas.
»Sie überzeugten sich gegenseitig, so daß kein Zweifel mehr sein konnte, daß sie beide Gegenstand des himmlischen Zorns waren. Ihr gemeinschaftliches Unglück vereinigte sie. Iphis, so hieß das Mädchen, war für Hilas gemacht, Hilas für Iphis. Sie liebten sich platonisch, wie Sie sich leicht denken können, denn sie konnten sich nicht anders lieben. Aber sogleich nahm auch der Zauber ein Ende; sie stießen jeder einen Freudenschrei aus, und die platonische Liebe verschwand.
Sie blieben mehrere Monate hindurch in der Wüste beisammen und nahmen sich Zeit, sich ihrer Veränderung zu vergewissern. Iphis war vollkommen genesen. Und was nun Hilas betrifft, so sagt der Gewährsmann, daß ihm ein Rückfall drohte.«
Tja, platonische Liebe gibt es nur unter Platonikern und nur für sehr kurze Zeit.

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Mittwoch, 9. April 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 50
Suleiman und Zaide


Mangogul ging auf den Scherz der Favorite nicht weiter ein, eilte sogleich hinaus und begab sich zu Zaide. Er fand sie zurückgezogen in ein Zimmerchen vor einem kleinen Tische, auf welchem er Briefe, ein Bildnis und andere Kleinigkeiten zerstreut umherliegen sah, die von ihrem Geliebten kamen, wie man leicht an dem Aufheben erkennen konnte, das sie von den Sachen machte. Sie schrieb. Tränen rannen ihr aus den Augen und benetzten das Papier. Sie drückte das Bildnis mit Inbrunst an die Lippen, öffnete die Briefe, schrieb ein paar Worte, nahm dann wieder das Bild zur Hand, stürzte sich auf die Kleinigkeiten, deren ich erwähnte, und drückte sie an ihre Brust.

Der Sultan war unglaublich verwundert, er hatte außer der Favorite und Zaide nie ein zärtliches Frauenzimmer gesehen. Er glaubte sich von Mirzoza geliebt; aber liebte Zaide den Suleiman nicht noch mehr? Waren diese beiden Liebespaare nicht die einzigen wahrhaft Liebenden in Congo?
Die Tränen, die Zaide schreibend vergoß, waren keine Tränen des Grams. Liebe ließ sie fließen. Und in diesem Augenblick empfand sie nichts, als das köstliche Gefühl, Suleimans Herz mit Gewißheit zu besitzen: »Teurer Suleiman,« rief sie, »wie lieb' ich dich! Wie wert bist du mir! Wie selig bin ich ganz von dir erfüllt! In Augenblicken, wo Zaide nicht so glücklich ist, dich zu sehen, schreibt sie dir wenigstens, wie sie so ganz dir gehöre. Ist sie entfernt von Suleiman, so beschäftigt sie sich einzig und allein mit ihrer Liebe.«

So weit gerade war Zaide in ihren zärtlichen Betrachtungen gekommen, als Mangogul seinen Ring gegen sie drehte. Sogleich vernahm er ein Seufzen ihres Kleinods und die Wiederholung der ersten Worte des Selbstgesprächs seiner Gebieterin: »Teurer Suleiman, wie lieb' ich dich! Wie wert bist du mir! Wie selig bin ich ganz von dir erfüllt!« Zaidens Herz und Kleinod waren zu einstimmig, um eine verschiedene Sprache zu führen. Zaide staunte anfangs; aber sie war so sicher, daß ihr Kleinod nichts sagen würde, was Suleiman nicht mit Vergnügen anhören konnte, daß sie wünschte, er möchte zugegen sein.
Mangogul wiederholte seinen Versuch, und Zaidens Kleinod wiederholte mit sanfter schmachtender Stimme: »Suleiman, teurer Suleiman, wie lieb' ich dich! Wie wert bist du mir!«
»Suleiman,« rief der Sultan, »ist der glücklichste Sterbliche meines Reiches! Ich muß fort von hier, wo der Anblick eines Glückes, größer als das meinige, mir vor Augen tritt und mich betrübt.« Sogleich ging er hinaus und erschien bei der Favorite mit unruhigem, traurigem Gesichte. »Was fehlt Ihnen, Fürst?« fragte sie. »Sie sagen kein Wort von Zaide.« »Zaide,« antwortete Mangogul, »ist ein anbetungswürdiges Weib; sie liebt, wie niemand noch geliebt hat.« »Desto schlimmer für sie,« erwiderte Mirzoza. »Was reden Sie da?« versetzte der Sultan. »Ich sage,« antwortete die Favorite, »daß Kermades einer der albernsten Männer in Congo ist, daß Selbstsucht und Befehl der Eltern diese Heirat zustande gebracht haben, und daß es nie ein ungleicheres Ehepaar als Kermades und Zaide gegeben hat.« »Sie liebt ja auch ihren Mann gar nicht,« sagte Mangogul. »Wen denn?« fragte Mirzoza. »Suleiman,« antwortete Mangogul. »Dann ade Porzellan und Wickelschwanzaffe!« sagte die Favorite. »Ach!« sprach Mangogul leise zu sich selbst, »diese Zaide hat mich gerührt, sie verfolgt mich, sie schwebt mir vor, ich muß sie durchaus wiedersehen!« Mirzoza unterbrach ihn durch einige Fragen, die er sehr einsilbig beantwortete. Er versagt ihr eine Partie Piquet, die sie ihm vorschlug, klagte über Kopfschmerzen, die er nicht hatte, begab sich in sein Gemach, legte sich ohne Nachtessen zu Bette, was ihm im Leben noch nicht widerfahren war, und schlief nicht. Zaidens Reize und Zärtlichkeit, Suleimans Glück quälten ihn die liebe lange Nacht.

Man kann leicht ermessen, daß er am folgenden Morgen nichts Eiligeres zu tun hatte, als zu Zaide zurückzukehren. Er verließ seinen Palast, ohne sich nach der 'Favorite erkundigen zu lassen; das verabsäumte er zum erstenmal. Er fand Zaide in dem Kabinett vom vergangenen Tage. Suleiman war bei ihr; er hielt seiner Geliebten Hände in den seinigen und sah sie unverwandt an. Zaide beugte sich über hin, aus ihren Blicken sprach feurige Leidenschaft. In dieser Lage blieben sie eine Zeitlang, aber endlich gaben beide der Heftigkeit ihrer Begierden nach, stürzten einander in die Arme und hielten sich fest umschlungen. Bis dahin hatte tiefe Stille rings um sie geherrscht jetzt ward sie durch Seufzer unterbrachen, durch das Geräusch ihrer Küsse, durch wenige unartikulierte Laute, die sich ihnen entrangen: »Du liebst mich?« »Ich bete dich an!« »Wirst du mich ewig lieben?« »Mein letzter Atemzug wird Zaide gehören!«

Mangogul, von Schmerz überwältigt, warf sich auf einen Lehnstuhl und bedeckte die Augen mit der Hand. Man kann sich leicht denken, was für Dinge er zu sehen befürchtete, die aber nicht geschahen. Nach einem kurzen Schweigen sprach Zaide: »O teurer, geliebter Freund, warum hab' ich dich nicht immer so gekannt, wie du jetzt bist. Ich hätte dich darum nicht minder geliebt und mir jeden Vorwurf erspart. Aber du weinst, guter Suleiman? Komm, teurer, geliebter Freund, laß mich deine Zähren trocknen! Suleiman, du schlägst die Augen nieder? Was fehlt dir? Sieh mich doch an! Komm, teurer Freund, komm, laß dich trösten! Drücke deine Lippen auf meinen Mund, hauch' mir deine Seele ein, trink' die meinige in dich, versuch' – Ach! nein! nein!« Zaide endigte ihre Worte mit einem heftigen Seufzer und verstummte.

Der gelehrte Afrikaner berichtet, Mangogul sei durch diesen Auftritt sehr erschüttert gewesen, habe auf Suleimans Unzulänglichkeit einige Hoffnung gebaut und Zaide heimlich Anträge machen lassen, die sie zurückwies, ohne sich dessen ihrem Geliebten gegenüber zu rühmen.
Endlich eine liebende Frau.

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Montag, 7. April 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 49
Olympia


»Freuen Sie sich, Madam,« sprach Mangogul bei seinem Eintritte zur Favorite. »Ich bringe Ihnen eine angenehme Nachricht. Die Kleinode sind närrische Dinge, die nicht wissen, was sie sagen. Cucufas Ring kann sie zum Reden bringen, aber nicht zur Wahrheit.« »Und wie hat Eure Hoheit sie auf Lügen ertappt?« fragte die Favorite. »Das sollen Sie gleich hören,« antwortete der Sultan. »Selim hat Ihnen seine ganzen Abenteuer versprochen und hielt Wort, daran ist kein Zweifel. Nun hab' ich aber eben ein Kleinod ausgefragt, das ihn einer Bosheit zeiht, die er Ihnen nicht gebeichtet und sicherlich auch nicht begangen hat, und die ihm auch gar nicht ähnlich sieht. Eine hübsche Frau zu tyrannisieren und sie unter Androhung standrechtlicher Erschießung zu brandschatzen – glauben Sie, daß Selim so etwas fertig bringt?«

»Warum nicht, gnädigster Herr?« erwiderte die Favorite. »Selim ist jeder Tücke fähig gewesen, und verschwieg er das Abenteuer, das Sie eben entdeckten, so geschah es vielleicht, weil er sich mit dem Kleinod wieder ausgesöhnt hat, weil sie mitsammen jetzt wieder gut stehen, und weil er glaubte, mir so eine kleine Sünde vorenthalten zu dürfen, ohne deshalb gleich wortbrüchig zu werden.«
»Die beständige Verkehrtheit Ihrer Konjekturen,« antwortete Mangogul, »hätte Sie bereits von der Krankheit heilen sollen, immer wieder welche aufzustellen. Es ist nichts mit alledem, was Sie sich einbilden. Es ist eben eine von Selims ersten Jugendtorheiten. Es handelt sich um eine jener Frauen, deren man sich auf einen Augenblick bedient, und die man nachher nicht behält.«
»Gnädige Frau,« sprach Selim zur Favorite, »ich mag mit mir zu Rate gehen, wie ich will, ich erinnere mich an nichts mehr und habe jetzt ein ganz reines Gewissen.«
»Olympia,« sprach Mangogul. – »Ach! jetzt fällt es mir ein, gnädigster Herr,« antwortete Selim. »Dies Geschichtchen ist so alt, daß es mir leicht entfallen konnte.«
»Olympia,« fing Mangogul wieder an, »Gemahlin des Obereinnehmers von Hasna,« hatte sich in einen jungen Offizier vergafft, einen Hauptmann in Selims Regiment. Ein es Morgens kommt ihr Liebhaber trostlos mit der Nachricht zu ihr, daß alle Militärs Befehl erhalten hätten, abzumarschieren und zu ihren Korps zu gehen. Mein Großvater Kanoglu wollte dieses Jahr den Feldzug früh eröffnen, und einer seiner vortrefflichsten Pläne mißlang nur, weil man seine Befehle nicht geheimhielt. Die Politiker eiferten gegen diesen Plan, die Weiber verfluchten ihn. Beide hatten ihre Ursachen. Die Olympias hab' ich Ihnen gesagt. Diese Frau faßte den Entschluß, Selim zu besuchen, um womöglich die Abreise ihres geliebten Gabalis zu hintertreiben. Selim galt schon für einen gefährlichen Menschen. Olympia glaubte, es sei schicklich, sich begleiten zu lassen, und zwei ihrer Freundinnen, hübsche Frauen wie sie, erboten sich, sie zu begleiten. Selim war in seinem Hause, als sie ankamen. Er empfing Olympia, denn sie erschien allein, mit der ungezwungenen Höflichkeit, die Ihnen an ihm bekannt ist, und erkundigte sich, was ihm die Ehre eines so schönen Besuches verschaffe. »Mein Herr,« sagte Olympia, »ich interessiere mich für Gabalis. Wichtige Angelegenheiten machen seine Anwesenheit in Banza notwendig. Ich komme, Sie um halbjährlichen Urlaub für ihn zu bitten.«
»Halbjährlichen Urlaub, gnädige Frau?« antwortete Selim. »Bedenken Sie nur, was Sie fordern. Die Befehle des Sultans leiden keine Ausnahme. Ich möchte verzweifeln, daß ich mir bei Ihnen kein Verdienst aus einer Gnade machen kann, die mich zugrunde richten würde.« Olympia drang von neuem in ihn. Selim weigerte sich von neuem. »Der Wesir hat mir versprochen, mich bei der nächsten Beförderung zu berücksichtigen. Können Sie verlangen, gnädige Frau, daß ich mich ertränke, um Ihnen gefällig zu sein?« – »Nein, nein, Sie werden nicht ertrinken und können mir doch gefällig sein.« – »Gnädige Frau, ich vermag hier nichts, gehen Sie zum Wesir.« – »An wen weisen Sie mich? Der Mann hat nie etwas für die Damen getan.« – »So gern ich Ihnen auch dienen möchte und so glücklich ich darüber wäre: ich sehe nur einen einzigen Ausweg.« – »Welchen?« fragte Olympia lebhaft. »Ihre Absicht ist,« antwortete Selim, »Gabalis auf sechs Monate lang glücklich zu machen. Ihro Gnaden gewähren mir also vorläufig eine Viertelstunde von dem Vergnügen, das sie ihm bestimmen.« Olympia verstand ihn sehr gut, errötete, stammelte und fing endlich an, sich über die Härte des Vorschlags zu beschweren. »Reden wir nicht weiter davon, gnädige Frau,« antwortete der Oberst mit Kälte, »Gabalis reist, es ist notwendig, daß der Dienst des Fürsten geschehe. Etwas hätte ich auf mich nehmen können, aber Sie lassen gar nicht mit sich reden. Wenn Gabalis also reist, Madam, so ist das Ihr eigener Wille.« »Meiner, o nein!« rief Olympia heftig, »er bleibe! fertigen Sie schnell seinen Urlaub aus!« Die wesentlichen Präliminar-Artikel des Traktats wurden auf einem Sofa ratifiziert, und die Dame glaubte schon, ihren Gabalis festzuhalten, als es dem Verräter, den Sie vor sich sehen, einfiel, sich zu erinnern, daß er zwei Damen in ihrer Begleitung gesehen habe, die im Vorzimmer geblieben wären. Und er fragte, welche Bewandtnis es mit denen habe. »Sie sind meine besten Freundinnen,« antwortete Olympia. »So zweifle ich nicht,« sagte Selim, »daß es auch Gabalis' Freundinnen sind. In dieser Voraussetzung werden Sie sich auch wohl gefallen lassen, ein Dritteil der Rechte abzutragen, die mir unserer Abrede nach zukommen. Ja, das ist nicht mehr als billig. Ich überlasse Ihrer Gnaden die Sorge, sie dazu zu vermögen.« »Sie sind wirklich wunderlich, Herr Oberst,« antwortete Olympia. »Ich beteure Ihnen, diese Damen machen keinen Anspruch auf Gabalis. Aber um sie und mich aus der Verlegenheit zu reißen, will ich, wenn Sie meine Zahlung gutheißen, den Wechsel einzulösen suchen, den Sie auf beide ziehen.« Selim nahm das Anerbieten an. Olympia machte ihren Worten Ehre. »Dies, Madam, ist die Geschichte, die Selim Ihnen zu erzählen vergaß.«
»Das verzeih ich ihm,« sagte die Favorite. »Olympias Bekanntschaft ist so angenehm nicht, daß ich mit ihm zürnen sollte, weil er sie überging. Ich weiß nicht, wo Sie immer solche Frauenzimmer ausgraben? Wahrlich, Fürst, es sieht mir ganz so aus, als ob Sie keine Luft hätten, Ihr Schloß zu verlieren.«
»Und mir,« sagte der Sultan, »sieht es so aus, als ob Sie Ihre Meinung seit diesen letzten Tagen sehr geändert hätten. Erinnern Sie sich gefälligst, welchen Versuch meines Ringes ich Ihnen zuerst vorschlug, und Sie werden erkennen, daß es nicht von mir abhing, lieber zu verlieren.« »Ja,« erwiderte die Sultanin, »ich weiß, Sie haben mir geschworen, mein Kleinod nicht zur Sprache zu bringen; und von dem Augenblick an haben Sie sich nur an berüchtigte Frauenzimmer gewandt, an eine Aminte, eine Zobeide, eine Zuleika, deren Ruf fast schon entschieden war.«
»Ich gestehe,« sagte Mangogul, »es wäre lächerlich gewesen, auf diese Kleinode zu rechnen: aber wer keine Jungfern hat, muß wohl mit Witwen tanzen. Ich habe Ihnen oft gesagt und wiederhole es: gute Gesellschaft findet sich unter Kleinoden seltener, als Sie glauben; und wollen Sie nicht durch sich selbst gewinnen ...«
»Nein,« unterbrach ihn Mirzoza mit Heftigkeit, »lieber will ich in meinem Leben kein Schloß besitzen, als es dahin kommen lassen. Mein Kleinod sollte reden? Pfui! das wäre höchst unschicklich. Kurz, Fürst, Sie wissen, was ich gesagt habe, ich wiederhole meine Drohung im vollen Ernst!«
»So beschweren Sie sich denn nicht mehr über meine Versuche, oder weisen Sie uns wenigstens die Person nach, an die wir uns wenden sollen; denn ich möchte am liebsten verzweifeln, daß das nicht aufhört. Liederliche Kleinode und nichts als liederliche Kleinode und immer wieder liederliche Kleinode!«
»Ich habe das größte Vertrauen zu Aglaens Kleinod,« antwortete Mirzoza. »Ich erwarte mit Ungeduld das Ende der vierzehn Tage, die Sie verlangten.«
»Sie sind gestern abgelaufen, Madam,« erwiderte Mangogul, »und während Selim Ihnen Geschichten von dem alten Hofe erzählte, belehrte mich Aglaens Kleinod, daß Celebis böse Laune und Alemansors. Standhaftigkeit seine Gebieterin für Ihre Zwecke unbrauchbar machten.«
»Was sagen Sie, Fürst?« rief die Favorite. »Die Wahrheit,« erwiderte der Sultan. »Ich werde Ihnen die Geschichte ein andermal zum Besten geben. Inzwischen aber lassen Sie wohl Ihre üble Laune an jemand anders aus.«
»Aglae, die tugendhafte Aglae, ist also endlich doch überführt!« sprach die Sultanin erstaunt. »Wahrlich, das begreif' ich nicht.«
»Da sind Sie nun ganz und gar kopflos,« versetzte Mangogul, »und wissen nicht mehr ein noch aus.«
»Nicht das,« antwortete die Favorite, »aber ich gestehe Ihnen, ich hielt sehr viel von Aglae.« »Denken Sie nicht weiter daran,« fuhr Mangogul fort; »sagen Sie uns nur, ob das die einzige anständige Frau war, die Sie kannten.«
»Nein, Fürst, es gibt noch hundert andere,« erwiderte Mirzoza, »und zwar sehr liebenswürdige Frauen, die ich Ihnen nennen will, für die ich bürge wie für mich selbst. Zum Beispiel ... zum Beispiel ...«
Mirzoza verstummte jäh, ohne einen einzigen Namen genannt zu haben. Selim konnte sich nicht enthalten, zu lächeln, und der Sultan mußte sogar laut auflachen über die Verlegenheit der Favorite, die so viel tugendhafte Damen kannte und sich auf keine einzige besinnen konnte.
Ärgerlich wandte sich Mirzoza gegen Selim und sprach: »Helfen Sie mir doch, Selim, Sie haben eine ausgebreitete Bekanntschaft. Fürst,« setzte sie gegen den Sultan hinzu, »wenden Sie sich doch an ... an ... an, zum Beispiel ... So helfen Sie mir doch, Selim.« »An Mirzoza,« sagte Selim. »Das ist sehr wenig ritterlich von Ihnen,« versetzte die Favorite. »Ich fürchte zwar die Prüfung nicht, aber ich habe eine Abneigung dagegen. Geschwind nennen Sie mir eine andere, wenn ich Ihnen verzeihen soll.«
»Man könnte zusehen,« sagte Selim, »ob Zaide ihr Ideal, weswegen sie sonst alle Liebhaber verwarf, in Wirklichkeit gefunden hat.«
»Zaide,« versetzte Mangogul, »ich gestehe Ihnen, gegen die Frau könnt' ich wohl verlieren.« »Es ist vielleicht die einzige,« setzte die Favorite hinzu, »deren guten Namen die spröde Arsinoe und der Geck Jonlki verschont haben.«
»Das ist stark,« sagte Mangogul, »aber ein Versuch mit meinem Ring ist doch ein noch besserer Beweis. Gehen wir direkt zu ihrem Kleinod. Dieser Orakelspruch ist zuverlässiger als der des Kalchas.«
»Ei, gnädigster Herr,« sprach die Favorite lächelnd, »Sie haben ja Ihren Nathan im Kopf trotz einem Schauspieler.«

Ob es doch noch klappt, eine Vertreterin der Sittsamkeit aufzutreiben?

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Freitag, 21. März 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 48
Wunder der Vorzeit


Die Favorite war sehr jung. Gegen das Ende der Regierung Erguebzeds geboren, hatte sie fast gar keine Vorstellung von dem Hofe Kanoglus. Ein beiläufig hingeworfenes Wort erweckte ihre Neugierde für die Wunder, welche der Genius Cucufa dem guten Fürsten zuliebe gewirkt hatte, und niemand konnte sie besser darüber unterrichten als Selim: er war Zeuge jener Begebenheiten gewesen, er hatte teil daran genommen und kannte die Geschichte der Vorzeit aus dem Grunde. Als sie eines Tages allein mit ihm war, brachte Mirzoza das Gespräch auf dieses Kapitel und fragte ihn, ob denn die Regierung Kanoglus, von der man so viel Aufhebens mache, erstaunenswürdigere Zeichen gesehen habe, als die, welche jetzt die Aufmerksamkeit ganz Congos erregten.

»Ich habe gar kein Interesse daran, gnädige Frau,« antwortete Selim, »die alte Zeit der des jetzt regierenden Fürsten vorzuziehen. Es geschehen große Dinge, sie sind aber vielleicht nur Vorläufer derjenigen, wodurch Mangogul künftig berühmt werden wird; ich bin schon zu bejahrt, als daß ich mir schmeicheln dürfte, das zu erleben.« »Sie irren sich,« erwiderte Mirzoza, »Sie haben den Beinamen ›Der Ewige‹ erworben und werden ihn auch verdienen. Aber erzählen Sie mir, was Sie sahen.«
»Gnädige Frau,« fuhr Selim fort, »Kanoglu's Regierung dauerte lange, unsere Dichter nennen sie das goldene Zeitalter. Dieser Name gebührt ihr in mancher Rücksicht. Sie zeichnete sich durch Glück und Siege aus, aber ihre Vorzüge waren auch mit Nachteilen vermischt, welche beweisen, daß dieses Gold zuweilen von schlechtem Gehalt war. Der Hof, der dem übrigen Lande den Ton angibt, war sehr verbuhlt. Der Sultan hatte Mätressen, die Großen suchten eine Ehre darin, ihm nachzuahmen, und unmerklich tat es auch das ganze Volk. Die Pracht der Kleider, der Wohnungsausstattungen, der Bedienten war maßlos. Man gestaltete den Aufwand bei den Mahlzeiten zu einer Kunst. Man spielte hoch, machte Schulden, bezahlte nicht und verschwendete, solange man Geld und Kredit besaß. Man erließ gegen die Schwelgerei schöne Verordnungen, die aber nicht in Kraft traten. Man nahm Städte ein, eroberte Provinzen, begann Palastbauten und erschöpfte das Reich an Blut und Gut. Die Völker sangen Siegeslieder und starben vor Hunger. Die Großen besaßen prächtige Schlösser, herrliche Gärten, und ihre Ländereien blieben brach liegen. Hundert Kriegsschiffe machten uns zu Herren des Meeres und zum Schrecken unserer Nachbarn, aber ein guter Kopf berechnete aufs Haar, was dem Staate der Unterhalt dieser Schiffsgerippe kostete und trotz der Gegenvorstellungen der andern Minister ward befohlen, sie zum Freudenfeuer zu verbrennen. Der königliche Schatz war ein ungeheurer leerer Kasten, den diese elende Wirtschaft nicht anfüllte; und Gold und Silber wurden so rar, daß die Münzhäuser eines schönen Morgens in Papiermühlen verwandelt wurden. Um unser Glück zu vervollkommnen, ließ sich Kanoglu von Fanatikern bereden, es sei von höchster Wichtigkeit, daß alle seine Untertanen ihm ähnlich sähen, blaue Augen, Entennasen und einen roten Schnurrbart hätten wie er. Er verjagte mehr als zwei Millionen aus Congo, weil sie nicht diese Uniform trugen, oder weil sie sich weigerten, sich ihm ähnlich zu machen. Das, Madam, ist jene gute alte Zeit, das ist jenes goldene Zeitalter, das Sie täglich zurückwünschen hören. Aber lassen Sie die Faselhänse schwatzen und glauben Sie, auch wir haben unsere Turennes und unsere Colberts; und die gegenwärtige Zeit ist im großen und ganzen besser als die vergangene. Sind Mangoguls Untertanen glücklicher als Kanoglus, so ist Seiner Hoheit Regierung glorreicher als die seines Großvaters; denn das Glück der Untertanen ist der eigentliche Maßstab der Fürstengröße. Doch jetzt wollen wir wieder auf Seltsamkeiten unter der Regierung Kanoglus zurückkommen. Zuerst ein Wort über den Ursprung der Hampelmänner.«
»Selim, das erlaß ich Ihnen,« sagte die Favorite, »die Geschichte kenne ich auswendig. Gehen Sie darüber weg.« »Darf ich fragen, gnädige Frau,« sprach Selim, »woher Sie sie haben?« »Aus gedruckten Büchern,« antwortete Mirzoza. »Jawohl, gnädige Frau,« erwiderte Selim, »von Leuten, die selber nichts davon wußten. Ich kann mich ärgern, wenn ich sehe, daß armselige Schmierer, die dem Fürsten niemals nahe kamen, als etwa bei seinem Einzuge in die Residenz oder bei einer anderen Feierlichkeit, sich einfallen lassen, Geschichte zu machen ...« »Gnädige Frau,« fuhr Selim fort, »wir hatten die Nacht auf einem Maskenballe im großen Saal des Serails verbracht, als uns der Genius Cucufa, der erklärte Schutzheilige des regierenden Hauses, erschien und uns befahl, zu Bette zu gehen und vierundzwanzig Stunden hintereinander weg zu schlafen. Man gehorchte, und als die Zeit um war, fand sich der Serail in eine große prächtige Galerie voller Hampelmänner verwandelt. Am äußersten Ende saß Kanoglu auf seinem Thron. Ein langer abgenutzter Faden hing ihm zwischen den Beinen herunter. Eine alte verlebte Hexe zog unaufhörlich daran und bewegte mit einer Handbewegung eine unzählbare Menge untergeordneten Hampelmänner, welche an feinen, kaum sichtbaren Fäden hingen, die aus Kanoglus Fingern und Fußzehen herauskamen. Sie zog, und sogleich fertigte und siegelte der Seneschall verderbliche Edikte, oder hielt zu Ehren der Hexe eine Lobrede, die sein Schreiber ihm ins Ohr raunte. Der Kriegsminister versandte an das Heer Streichhölzer, der Oberaufseher der Finanzen erbaute Häuser und ließ die Soldaten Hungers sterben. Ebenso die andern Hampelmänner.
Bewegten sich einige Hampelmänner nicht nach Wunsch, hoben sie ihre Arme nicht hoch genug, beugten sie ihre Knie nicht tief genug, so zerriß die Zauberin ihre Verbindungsfäden mit einem Handgriff, und sie erstarrten. Ich entsinne mich noch immer zweier tapferen Emirs, die sich ihren Unwillen zuzogen und zeitlebens einen gelähmten Arm behielten.


Die Fäden, die nach allen Seiten hin von Kanoglus Körper ausgingen, reichten in unermeßliche Weiten und setzten aus dem innersten Congo bis an die Grenze von Monoemugi Heere von Hampelmännern in Bewegung oder in Stillstand. Ein Ziehen an dem Faden und eine Stadt wurde belagert, man legte Laufgräben an, schoß eine Bresche, und der Feind mußte kapitulieren. Aber siehe da: ein zweites Zupfen an dem Faden, und das Artilleriefeuer wurde schwächer, der Angriff weniger kräftig, man kam dem belagerten Platze zu Hilfe, die Generale wurden uneinig untereinander, man griff uns an, überrumpelte uns und schlug uns völlig in die Flucht.
Diese üblen Nachrichten betrübten Kanoglu niemals; er erfuhr sie erst dann, wenn seine Untertanen sie bereits vergessen hatten, und die Hexe ließ sie ihm nur durch Hampelmänner melden, die alle einen Faden an ihrer Zungenspitze hatten und bei der Strafe des Stummwerdens nichts sagen durften, als was ihr gefiel. Ein andermal machte uns jungen Tollköpfen ein Abenteuer viel Vergnügen, das frommen Seelen zu großem Ärgernis gereichte. Die Frauenzimmer begannen Purzelbäume zu schießen und auf dem Kopfe zu gehen, die Beine in die Luft, die Hände in ihre Pantoffeln steckend.


Anfangs störte das alle Bekanntschaften, und man mußte erst die neuen Gesichter studieren. Viele wurden vernachlässigt, die man nicht mehr liebenswürdig fand, als sie sich zeigten, und andere, um die sich kein Mensch gekümmert hatte, gewannen unendlich bei näherer Bekanntschaft. Unter- und Oberröcke fielen über die Augen, man lief Gefahr, sich zu verirren oder fehlzutreten, daher verkürzte man die einen und schnitt die anderen aus. So entstand die Mode der kurzen Unterröcke und ausgeschnittenen Kleider. Als sich die Frauenzimmer wieder auf die Füße stellten, behielten sie die Tracht bei, wie sie war, und wenn man sich die Unterröcke unserer Damen genauer ansieht, so wird man leicht gewahr, daß sie nicht gemacht sind, um getragen zu werden, wie man sie heutzutage trägt. Jede Mode, die nur einen Zweck hat, wird schnell vergehen. Um zu dauern, muß sie mindestens zweierlei Absichten entsprechen. Man erfand zur selbigen Zeit das Geheimnis, den Busen herabzuschnüren; und man benutzt es jetzt, um ihn heraufzuschnüren.


Die Betschwestern, erstaunt darüber, daß sie den Kopf unten und die Beine oben hatten, bedeckten sich anfangs mit den Händen. Aber über diese Vorsicht verloren sie das Gleichgewicht und stolperten gröblich. Auf einen Wink der Brahminen banden sie sich in der Folge die Röcke an den Beinen mit kleinen schwarzen Bändchen fest. Die Damen von Welt fanden diesen Ausweg lächerlich und verbreiteten, das verhindere das Atemholen und verursache Nervenschwäche. Dieses Wunder hatte glückliche Folgen: es verursachte viele Hochzeiten oder dergleichen und eine Menge Bekehrungen. Alle Weiber, deren Backen häßlich waren, stürzten sich kopfüber in die Andacht und trugen schwarze Bändchen. Vier Missionsgesellschaften der Brahminen hätten nicht soviel ausgerichtet.


Kaum hatten wir diese Prüfung überstanden, als wir eine andere, zwar nicht so allgemeine, aber nicht minder lehrreiche zu beobachten hatten. Alle jungen Mädchen vom dreizehnten bis zum achtzehnten, neunzehnten, zwanzigsten Jahre und darüber standen eines schönen Morgens auf, und ihr Mittelfinger stak – raten Sie wo, gnädige Frau?« sagte Selim zur Favorite. »Weder im Munde, noch im Ohr, noch, nach türkischer Art, sonstwo. Man erriet ihre Krankheit und griff eiligst zu Gegenmitteln, Seit der Zeit sind wir gewöhnt, unsern Mädchen Männer zu geben, wenn wir ihnen Puppen geben sollten.


Ein anderer Segen der guten alten Zeit: Kanoglus Hof wimmelte von Stutzern; ich hatte die Ehre, zu ihnen zu gehören. Als ich sie eines Tages von den jungen Herren in Frankreich unterhielt, ward ich gewahr, daß uns unsere Schultern über den Kopf wuchsen. Dabei aber blieb es nicht, wir drehten uns alle auf dem Absatz herum.« »Und was war daran Merkwürdiges?« fragte die Favorite. »Nichts, gnädige Frau,« antwortete Selim, »als daß die erste Verwandlung die Entstehung der hohen Schultern veranlaßte, die in Ihrer Kindheit so Mode waren, und die zweite die der Lästerer, deren Reich wohl noch besteht. Man begann damals wie heute ein Gespräch mit jemand, das man, sich umdrehend, zu einem Zweiten gewendet, fortsetzte und mit einem Dritten beendete, für den das halb unverständlich, halb beleidigend war.


Ein andermal wurden wir alle zu gleicher Zeit kurzsichtig. Man mußte zu Bion seine Zuflucht nehmen. Der Spitzbube verkaufte uns Augengläser, das Stück zu zehn Zechinen, und wir fuhren fort, sie zu gebrauchen, selbst als wir unser Gesicht wiedererhielten. Das, gnädige Frau, ist der Ursprung der Operngläser.

Ich weiß nicht, was die galanten Damen damals dem Genius Cucufa taten, aber er rächte sich auf eine grausame Weise. Nachdem sie ein Jahr lang ihre Nächte beim Tanz, Spiel und Schmaus und ihre Tage auf Spazierfahrten oder im Arme ihrer Liebhaber verbracht hatten, waren sie zu ihrem Erstaunen auf einmal alle häßlich. Eine war schwarz wie ein Maulwurf, eine andere kupferrot, die blaß und mager, jene gelb und runzlig. Nun galt es, diesen verderblichen Zauber verhehlen, und unsere Chemiker entdeckten die weiße und rote Schminke, Salben, Wasser, Venustücher, Jungfernmilch, Schönpflästerchen und tausend andere Mittel, deren sie sich bedienten, um nicht mehr häßlich zu sein, sondern scheußlich zu werden. Cucufas Fluch dauerte fort, aber Erguebzed, der gern schöne Weiber sah, ward ihr Fürsprecher. Nun tat der Genius, was er vermochte, aber die Kraft seines Zaubers war so mächtig, daß er ihn nicht ganz wieder aufheben konnte; und so blieben die Frauenzimmer am Hofe, wie Ihro Gnaden sie noch erblicken.«
»War es ebenso mit dem anderen Zauber?« fragte Mirzoza. »Nein, Madam,« antwortete Selim. »Der nahm früher oder später ein Ende. Die hohen Schultern senkten sich nach und nach, man ward wieder gerade, und aus Furcht, bucklig zu erscheinen, trug man die Nase hoch und nahm eine gezierte Stellung an. Nun fuhr man fort, sich herumzudrehen, und tut es noch jetzt. Fangen Sie ein ernsthaftes oder vernünftiges Gespräch in Gegenwart eines jungen hübschen Herrn an, und husch – werden Sie sehen, daß er Sie verläßt, sich wirbelnd umdreht und jemand eine Parodie vorsummt, der ihn fragt, was er Neues von der Armee wisse oder wie er sich befinde? Auch tuschelt er ihm wohl ins Ohr, daß er gestern abend mit der Rabon, einem entzückenden Mädchen, soupiert habe; es sei wieder ein neuer Roman erschienen, er habe einige Seiten davon gelesen: ein schöner Roman, wirklich ein ausgezeichneter Roman und – husch! dreht er sich zu einer Dame, fragt sie, ob sie die neue Oper schon gehört habe, und sagt, daß die Daugeville hinreißend war.«


Mirzoza fand diese Torheit ganz belustigend und fragte Selim, ob er sie auch mitgemacht hätte. »Aber wie denn, Madam,« versetzte der alte Höfling, »wie hätte ich mir erlauben dürfen, sie nicht mitzumachen, ohne für den Bewohner einer andern Welt zu gelten? Ich machte einen hohen Rücken, richtete mich wieder auf, spreizte mich, äugelte durchs Glas, ich drehte mich auf dem Absatz herum, schwatzte wie jeder andere, und all mein Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, alle diese Verkehrtheiten zuerst mitzumachen und ja nicht zuletzt aufzugeben.« So sprach Selim, als Mangogul erschien. Der gelehrte Afrikaner berichtet nicht, wo der während dieses Kapitels sich befand, noch womit er sich beschäftigte. Wahrscheinlich ist es dem Fürsten von Congo verstattet, gleichgültige Handlungen zu begehen, zuweilen unbedeutende Sachen zu sprechen und den übrigen Menschen zu gleichen, deren größte Lebenszeit mit Nichtigkeiten hingebracht wird oder mit Dingen, die man nicht zu erfahren braucht.
Eine satirische Kulturgeschichte der Fürstenhöfe.


Im Vergleich mit der Prüderie des 19. Jahrhunderts ziemlich unverblümt: „Alle jungen Mädchen vom dreizehnten bis zum achtzehnten, neunzehnten, zwanzigsten Jahre und darüber standen eines schönen Morgens auf, und ihr Mittelfinger stak – raten Sie wo, gnädige Frau?“

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Mittwoch, 19. März 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 47
Fulvia


Der gelehrte Afrikaner, der die Charakterschilderung Selims irgendwo versprochen hatte, läßt sich einfallen, sie hier zu entwerfen. Ich ehre die Werke des Altertums zu sehr, um zu behaupten, daß dieser Entwurf anderswo schicklicher hätte angebracht werden können. »Es gibt,« sagt er, »gewisse Leute, denen ihr Verdienst jede Tür eröffnet; die durch die Anmut ihrer Gestalt und durch Lebhaftigkeit ihres Geistes in ihrer Jugend die Lieblinge vieler Frauen sind; und deren Alter geehrt wird, weil sie durch die Kunst, ihre Pflicht mit ihrem Vergnügen zu vereinbaren, ihr mittleres Alter durch dem Vaterlande geleistete Dienste verschönten. Mit einem Worte: es gibt Leute, die zu jeder Zeit die Freude der Gesellschaft sind, und Selim gehörte zu ihnen. Er war freilich schon sechzig Jahre alt und hatte die Bahn des Vergnügens früh betreten, aber eine robuste Gesundheit und Schonung bewahrten ihn vor Hinfälligkeit. Edles Ansehen, ungezwungener Anstand, verführerische Sprache, große, auf lange Erfahrung gegründete Weltkenntnis und die Gewohnheit, mit Frauenzimmern umzugehen, ließen ihn bei Hofe für einen Mann gelten, dem jeder gern geglichen hätte, dem man aber nicht erfolgreich nachahmen könnte, weil man auch die Talente und den Geist von der Natur erhalten haben müsse, wodurch er sich auszeichnete.«
»Jetzt frag' ich,« fährt der gelehrte Afrikaner fort, »ob dieser Mann recht hatte, sich über seine Geliebte zu beunruhigen und seine Nacht zu verbringen, als ob er seinen Verstand verloren hätte? Denn es ist Tatsache, daß er, je mehr er Fulvia liebte, desto mehr fürchtete, sie untreu zu finden. ›In welches Labyrinth hab' ich mich führen lassen?‹ sprach er zu sich selbst, ›und warum?‹ Was hilft es mir, daß die Favorite ein Schloß gewinnt? und in welche Lage stürze ich mich, wenn sie es verliert? Aber warum sollte sie es verlieren? Bin ich nicht Fulvias Zärtlichkeit sicher? Ach! ich besitze sie ganz, und spricht ihr Kleinod, so ist es nur von mir! Aber wenn es zum Verräter würde? Nein, nein, das hätt' ich schon früher geahnt; ich würde Unregelmäßigkeiten bemerkt haben; man hätte sich in fünf Jahren doch einmal vergessen. Die Prüfung bleibt freilich immer gefährlich; doch ist es nicht mehr Zeit, zurückzutreten. Ich habe den Becher an meine Lippen gesetzt, ich muß ihn leeren, sollte ich auch dabei den ganzen Trank verschütten. Vielleicht ist mir auch das Orakel günstig. Aber, ach, was darf ich erwarten? Warum sollten andere eine Tugend vergeblich angegriffen haben, die ich besiegte? Vergib, teure Fulvia, ich beleidige dich durch diesen Argwohn und ich vergesse, was es mich kostete, dich zu über winden. Mir leuchtet ein Strahl von Hoffnung, ich schmeichle mir, das Kleinod wird hartnäckig stumm bleiben!«
Selim war in dieser Gemütsbewegung, als man ihm von seiten des Großherrn ein Briefchen überreichte, worauf nur diese Worte standen: »Seien Sie heute abend auf den Schlag halb zwölf am verabredeten Orte!« Selim nahm die Feder und schrieb zitternd: »Fürst, ich werde gehorchen!«
Selim brachte den übrigen Tag wie die vergangene Nacht schwankend zwischen Furcht und Hoffnung zu. Nichts ist so gewiß, als daß die Liebhaber Ahnungen haben. Ist ihre Geliebte ungetreu, so ergreift sie ein gewisser Schauder, ungefähr wie die Tiere, wenn schlechtes Wetter eintritt. Der argwöhnische Liebhaber gleicht einem Kater, dem bei Nebelluft die Ohren jucken. Die Tiere und die Liebhaber haben auch das miteinander gemein, daß sich diese Ahnung bei Haustieren verliert und beim Liebhaber abstumpft, wenn er Ehemann wird.
Die Stunden schienen Selim sehr langsam fortzuschleichen, er sah hundertmal nach der Uhr, endlich kam der entscheidende Augenblick, und der Hofmann begab sich zu seiner Geliebten. Es war spät, ihn aber ließ man zu jeder Stunde vor, und so ward ihm Fulvias Gemach geöffnet. »Ich erwartete Sie nicht mehr,« sprach sie zu ihm, »und mußte mich mit Kopfschmerzen niederlegen, die ich meiner Ungeduld über Sie zu danken habe.« »Gnädige Frau,« antwortete Selim, »Pflichten des Standes und sogar Geschäfte haben mich bis jetzt an den Großherrn gleichsam gefesselt und mir, seit ich Sie nicht mehr sah, keinen Augenblick für mich gelassen.« »Darüber,« erwiderte Fulvia, »hab' ich vieles ausgestanden. Wissen Sie, daß ich in zwei langen Tagen nichts von Ihnen gewahr ward?« »Es ist Ihnen ja bekannt,« erwiderte Selim, »wozu mein Rang mich verpflichtet, wie sicher uns auch die Gunst der Großen scheinen mag ...« »Wie das?« unterbrach ihn Fulvia, »ist der Sultan kühl gegen Sie geworden? Sollte er Ihre Dienste vergessen haben? Sie antworten mir nicht, Selim? Sie sind zerstreut? O wenn Sie mich lieben, was liegt Ihnen an der Gunst oder Ungunst des Fürsten? Nicht in seinen Augen, sondern in den meinen liegt ja Ihr Glück, und in meinen Armen sollen Sie es suchen.«
Selim hörte seiner Geliebten aufmerksam zu, beobachtete ihr Gesicht und erforschte in ihren Bewegungen jenen Ausdruck von Wahrheit, der nicht betrügt und dem es unmöglich ist, zu heucheln. Unmöglich nämlich für uns Männer. Denn Fulvia heuchelte so vortrefflich, daß Selim anfing, sich Vorwürfe darüber zu machen, wie er sie verkannt habe. Da trat Mangogul herein. Fulvia schwieg sogleich, Selim seufzte, und das Kleinod sprach: »Meine gnädige Frau mag zu allen Pagoden von Congo wallfahrten, sie wird nie Kinder bekommen, und ich, die ich ihr Kleinod bin, weiß auch sehr wohl warum.«
Bei diesem Eingange ward Selim totenblaß. Er wollte aufstehen, aber seine zitternden Knie versagten ihm den Dienst, und er fiel auf seinen Lehnstuhl zurück. Der Sultan näherte sich ihm unsichtbar und sagte ihm ins Ohr: »Haben Sie genug?« »Ach, gnädiger Herr,« rief Selim betrübt, »warum bin ich dem Rat der Sultanin und der Ahnung meines Herzens nicht gefolgt? Mein Glück verschwindet. Ich hab' alles verloren. Bleibt ihr Kleinod jetzt stumm, so sterb ich, spricht es, so bin ich tot. Doch es spreche nur. Ich mache mich auf eine schreckliche Enthüllung gefaßt, aber ich fürchte sie weniger, als ich den Zustand hasse, worin ich mich gegenwärtig befinde.«
Unterdessen war Fulvias erste Bewegung gewesen, die Hand auf ihr Kleinod zu legen und ihm den Mund zuzuhalten. Was es bis dahin gesprochen, vertrug eine vorteilhafte Deutung, aber sie scheute, was noch kommen würde. Schon war sie seines Stillschweigens wegen etwas beruhigt, als der Sultan, durch Selim aufgefordert, seinen Ring drehte. Fulvia war daher genötigt, ihre Finger wegzunehmen und das Kleinod fuhr fort:
»Ich kann nicht empfangen, man ermüdet mich zu sehr. Der Besuch so vieler heiligen Leute vereitelt alle meine Absichten, und die gnädige Frau bekommt keine Kinder. Würde ich nur von Selim gefeiert, so möcht' ich vielleicht fruchtbar werden, aber ich bin ja wie eine Galeerensklavin. Heute ist es der, morgen jener, und immer wird gerudert. Welchen Mann Fulvia zuletzt sieht, von dem glaubt sie immer, der Himmel habe ihn ausersehen, ihr Geschlecht zu verewigen. Vor dieser Laune ist niemand sicher. Wie beschwerlich ist es doch, Kleinod bei einer adligen Dame zu sein, die keine Erben hat? Seit zehn Jahren bin ich Leuten preisgegeben, die nicht wert waren, die Augen zu mir emporzuheben.«
Jetzt glaubte Mangogul, Selim habe genug gehört, um von seiner Fassungslosigkeit geheilt zu werden, er schenkte ihm das übrige, drehte seinen Ring zurück, ging fort und überließ Fulvia den Vorwürfen ihres Liebhabers.
Anfangs blieb der unglückliche Selim wie versteinert; bald aber gab ihm die Wut Kraft und Sprache wieder. Er warf einen verächtlichen Blick auf die Ungetreue und sagte: »Undankbare! Treulose! liebte ich Sie noch, so würde ich mich rächen, aber Sie sind meines Zornes ebenso unwürdig, als Sie es meinen Zärtlichkeiten waren. Pfui über Sie, daß Sie einen Mann wie mich, einen Selim, in einen Topf werfen mit solchen Knechten!« »Wahrhaftig,« unterbrach ihn trotzig Fulvia im Tone einer entlarvten Dirne, »es steht Ihnen fein, von einer Kleinigkeit so viel Aufhebens zu machen! Sie sollten mir lieber Dank wissen, daß ich Ihnen Dinge verhehlt habe, deren Kunde Sie in Verzweiflung stürzen konnte. Sie ereifern sich und werden wütend, als ob ich Sie beleidigt hätte. Mit welchem Rechte, mein Herr, verdienen Sie denn, Seton, Rikel, Molli, Tachmas, den liebenswürdigsten Kavalieren des Hofes, vorgezogen zu werden, denen man sich nicht einmal die Mühe gibt, zu verbergen, daß man Seitensprünge macht? Ein Mann wie Sie, Selim, ist ein erschöpfter, hinfälliger Mann und seit Ewigkeit außerstande, eine hübsche Frau zu fesseln, wenn sie nicht sehr einfältig ist. Gestehen Sie also, daß Ihr Hochmut übel angebracht und Ihr Zorn anmaßend ist. Sind Sie übrigens mißvergnügt, so überlassen Sie Ihre Stelle andern, die sie besser ausfüllen werden.« »Das tu ich von ganzem Herzen,« versetzte Selim voller Empörung und verließ dieses Weib, fest entschlossen, es niemals wiederzusehen.
Er kehrte in seine Wohnung zurück und schloß sich einige Tage dort ein, weniger verdrießlich im Grunde über seinen Verlust, als über seinen langen Irrtum. Nicht sein Herz litt, sondern seine Eitelkeit. Er scheute die Vorwürfe der Favorite und die Spötteleien des Sultans, darum vermied er beide.
Fast war er entschlossen, dem Hofe zu entsagen, sich in einer Einsamkeit zu vergraben und als Philosoph das Leben zu beschließen, dessen größten Teil er im Gewande des Hofmanns verloren hatte. Aber Mirzoza erriet seine Gedanken, unternahm es, ihn zu trösten, ließ ihn in den Harem rufen und sprach zu ihm: »Sie verlassen mich also, Freund Selim? Sie bestrafen nicht Fulvia für ihre Untreue, Sie bestrafen mich. Uns allen tut Ihr Abenteuer leid, wir geben zu, es ist ärgerlich, aber liegt Ihnen irgend etwas an der Gnade des Sultans und an meiner Freundschaft, so fahren Sie fort, unsere Gesellschaft zu beleben, und vergessen diese Fulvia, die eines Mannes wie Sie niemals würdig war.«
»Gnädige Frau,« antwortete Selim, »mein Alter erinnert mich, daß es Zeit ist, mich zurückzuziehen. Ich habe genug von der Welt gesehen. Vor vier Tagen hätt' ich mich noch rühmen können, sie zu kennen, aber der Streich Fulvias verwirrt mich. Alle Frauenzimmer sind unerklärlich, alle würd' ich hassen, gehörten Sie nicht auch zu einem Geschlecht, von dem Sie jeglichen Reiz besitzen. Gebe Brahma, daß Sie nie seine Fehler annehmen! Leben Sie wohl, gnädige Frau, ich will mich in der Einsamkeit mit nützlichen Betrachtungen beschäftigen. Das Andenken der Gnade, mit welcher Sie und mein Herr mich beehrten, folgt mir dahin, und wenn mein Herz noch einen Wunsch hegt, so wird er Ihrem Glück und seiner Ehre gelten.«
»Selim,« antwortete die Favorite, »Sie machen Ihren Unwillen zum Ratgeber. Sie fürchten, sich lächerlich zu machen. Dem sind Sie weit mehr ausgesetzt, wenn Sie den Hof verlassen, als wenn Sie dableiben. Haben Sie so viel Philosophie, wie Sie wollen, aber es ist jetzt nicht die Zeit, Gebrauch davon zu machen: man wird in Ihrer Entfernung von der Welt nur Ärger und Verdruß sehen. Sie sind nicht gemacht, sich in eine Wüste zu verbannen, und der Sultan ...«
Mangoguls Ankunft unterbrach die Favorite, sie legte ihm Selims Absicht vor. »Er ist nicht gescheit,« sagte der Fürst. »Hat ihm denn das Betragen der elenden Fulvia ganz den Kopf verrückt?« Dann wandte er sich gegen Selim: »Daraus wird nichts, guter Freund! Sie bleiben, ich bedarf Ihres Rats und unsere Freundin Ihrer Gesellschaft. Das Wohl meines Reichs und Mirzozas Zufriedenheit verlangen dieses Opfer von Ihnen. Sie werden es nicht abschlagen.«
Die Gesinnungen Mangoguls und der Favorite rührten Selim, er verbeugte sich ehrfurchtsvoll, blieb am Hofe und ward geliebt, wertgehalten, gesucht und ausgezeichnet durch die Gunst, die der Sultan und Mirzoza ihm erzeigten.


Man sollte über die Tugend der Angebeteten nicht zu viel wissen wollen.

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Montag, 17. März 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 46

Cydalise



Mangogul kehrte zur Favorite zurück, wo sich Selim vor ihm eingefunden hatte. »Nun, Fürst,« sagte Mirzoza, »sind Ihnen Cypriens Reisen gut bekommen?« »Weder gut noch schlecht,« antwortete der Sultan, »ich verstehe sie nicht.« »Warum nicht?« fragte die Favorite. »Weil ihr Kleinod wie eine Polyglotte alle Sprachen spricht,« antwortete der Sultan, »nur die meinige nicht. Es ist ein ziemlich frecher Erzähler, aber einen trefflichen Dolmetscher könnt' es abgeben.« »Wie?« erwiderte Mirzoza. »Haben Sie denn von seinem ganzen Bericht nichts verstanden?« »Nur so viel, Madam,« antwortete Mangogul, »daß Reisen für die Schamhaftigkeit der Weiber noch nachteiliger sind als für die Religion der Männer; und daß es wenig verdienstlich ist, mehrere Sprachen zu verstehen. Man kann Lateinisch und Griechisch, Italienisch, Englisch und Kongoisch vollkommen verstehen und nicht klüger sein als ein Kleinod. Das ist auch Ihre Meinung, Madam? und Selims? So beginne er denn seine Geschichte. Aber um Himmels willen nichts mehr von Reisen! Die machen mir tödlich Langeweile.« Selim versprach dem Sultan, Einheit des Orts zu beobachten, und hub an:

»Ich war ungefähr dreißig Jahre alt; mein Vater war vor kurzem gestorben. Ich hatte mich verheiratet, um mein Geschlecht nicht ausgehen zu lassen, und lebte mit meiner Frau, wie sich's gehört. Wir waren voll Achtung gegeneinander, gefällig, höflich, wenig vertraut, aber sehr verbindlich. Fürst Erguebzed hatte den Thron bestiegen. Lange vor seiner Regierung genoß ich seiner Gewogenheit, er hat sie mir bis in seinen Tod erhalten, und ich habe diesen Beweis seines Wohlwollens durch Eifer und Treue zu rechtfertigen gesucht. Der Posten des Generalinspektors seines Heeres war erledigt; ich erhielt ihn und mußte seinetwegen oft die Grenze bereisen.«

»Schon wieder reisen?« rief der Sultan. »Wenn Sie noch ein einziges Mal reisen, so schlaf' ich bis morgen. Merken Sie sich das!«

»Fürst,« fuhr Selim fort, »auf einer dieser Rundfahrten macht' ich die Bekanntschaft mit der Gemahlin eines Obersten der Spahis, Ostaluk. Der Mann war tapfer, ein guter Offizier, aber ein wenig bequemer Gatte, eifersüchtig wie ein Tiger, und mit gutem Grunde eifersüchtig, denn er war abscheulich häßlich.

Er hatte Cydalise seit kurzem geheiratet. Sie war jung, lebhaft, hübsch. Sie gehörte zu jenen seltenen Frauenzimmern, denen man beim ersten Anblick etwas mehr als Höflichkeit bezeigt, von denen man sich ungern trennt, deren man sich hundertmal erinnert, bis man sie wiedersieht.«

Cydalise dachte logisch und drückte sich angenehm aus. Ihre Unterhaltung war anziehend, man ward nicht müde, sie zu sehen, man ward noch weit weniger müde, ihr zuzuhören. Diese Eigenschaften gaben ihr ein Recht, starken Eindruck auf alle Herren zu machen. Auch ich sollte das erfahren. Ich schätzte sie hoch, bald empfand ich eine zärtliche Neigung für sie, und mein ganzes Betragen nahm schließlich die Form einer innigen Leidenschaft an. Die Leichtigkeit meiner vorhergehenden Triumphe hatte mich ein wenig verzogen. Als ich Cydalisens Eroberung unternahm, bildete ich mir ein, sie würde nur kurze Zeit widerstehen und sich durch die Aufforderung des Herrn Generalinspektors so geehrt finden, daß sie nur eine Verteidigung aus Anstandsgründen mir entgegensetzen würde. Also können Sie denken, wie erstaunt ich über ihre Antwort auf meine Erklärung war: »Edler Herr,« sagte sie, »wär' ich auch so von mir eingenommen, zu glauben, daß Ihnen etwas an mir gefallen könne, so beginge ich doch eine große Torheit, wenn ich auf Reden achtete, wodurch Sie tausend andre vor mir hintergangen haben. Was ist Liebe ohne Achtung? Sehr wenig, und Sie kennen mich nicht genug, um mich zu achten. Soviel Geist und Scharfsinn man auch besitze, so hat man doch nicht in zwei Tagen den Charakter eines Frauenzimmers hinlänglich genug ergründet, um sich ihre Liebe zu verdienen. Der Herr Generalinspektor sucht sich zu unterhalten, er hat recht. Cydalise hat auch recht, daß Sie niemand gefällig sein mag.«

Ich mochte schwören, soviel ich wollte, daß ich wahre Leidenschaft für sie empfände, daß mein Glück in ihren Händen wäre, daß ihre Gleichgültigkeit mein künftiges Leben vergiften würde. »Worte,« sagte sie »nichts als Worte. Denken Sie nicht mehr an mich, oder halten Sie mich nicht für so unbesonnen, daß ich abgenutzten Beteuerungen glauben könnte. Was Sie mir da sagen, sagt jedermann, ohne es so zu meinen, und hört jedermann, ohne es zu glauben.«

Hätte Cydalise mir nur gefallen, so würden ihre Sprödigkeiten mich beleidigt haben, aber ich liebte sie, und so betrübten sie mich. Ich kehrte an den Hof zurück, ihr Bildnis folgte mir dahin. Die Abwesenheit, anstatt die Leidenschaft zu tilgen, die ich zu ihr gefaßt hatte, fachte sie nur noch mehr an.

So sehr war ich von Cydalise eingenommen, daß ich es mir hundertmal vornahm, ihr die Ämter und den Rang aufzuopfern, die mich an den Hof fesselten; nur die Ungewißheit des Erfolges hielt mich davon ab.

»Da es mir unmöglich war, dahin zu fliegen, wo ich sie verlassen hatte, geriet ich auf den Einfall, sie zu mir hin zu locken. Ich bediente mich des Vertrauens, womit Erguebzed mich beehrte: ich pries ihn Ostaluks Verdienste und Tapferkeit. Er ward zum Leutnant der Spahis bei der Leibwache ernannt. Dieser Posten fesselte ihn an die Person des Fürsten. Ostaluks erschien am Hofe und Cydalise mit ihm, die alsbald die herrschende Schönheit ward.«

»Sie haben wohlgetan, Ihre Stelle zu behalten und Ihre Cydalise an den Hof zu berufen,« sagte der Sultan, »denn ich schwöre bei Brahma, ich hätte Sie ruhig in die Provinz ziehen lassen.«

»Man beäugelte, bewunderte, belagerte sie,« fuhr Selim fort, »aber alles umsonst. Nur ich genoß des Vorrechts, sie alle Tage zu sehen. Je näher ich sie kennen lernte, desto mehr Anmut und Vorzüge entdeckte ich an ihr, desto kopfloser ward ich in sie verliebt. Es fiel mir ein, das frische Andenken meiner unzähligen Liebeshändel sei mir vielleicht bei ihr nachteilig. Dieses auszulöschen, sie von der Aufrichtigkeit meiner Liebe zu überzeugen, verbannte ich mich aus der Gesellschaft und sah keine Dame sonst, als die ich von ungefähr bei ihr antraf. Dieses Betragen schien Eindruck auf sie zu machen und ihre anfängliche Strenge ein wenig herabzustimmen. Ich verdoppelte meine Bemühungen, ich bat um Liebe, man gewährte mir Achtung. Cydalise fing an, mich auszuzeichnen, ich hatte teil an ihrem Vertrauen, sie zog mich oft bei Familienangelegenheiten zu Rate, aber über Herzensangelegenheiten sprach sie kein Wort. Redete ich von Gefühlen, so sprach sie mir von Grundsätzen, und ich war untröstlich. Dieser peinliche Zustand hatte lange gedauert, als ich den Entschluß faßte, damit ein Ende zu machen und ein für allemal zu erfahren, woran ich wäre.« »Wie fingen Sie das an?« fragte Mirzoza. »Das werden Sie gleich hören, Madam,« antwortete Mangogul. Und Selim fuhr fort:

»Ich sagte Euer Gnaden, daß ich Cydalise täglich sah. Von nun an sah ich sie etwas weniger, dann wurden meine Besuche noch seltener, endlich kam ich fast gar nicht mehr zu ihr. Wenn ich sie bisweilen unter vier Augen sah, sprach ich ihr so wenig von Liebe vor, als hätt' ich nie den geringsten Funken davon gespürt. Diese Veränderung befremdete sie. Sie argwöhnte, ich hätte eine heimliche Verpflichtung, und eines Tages, da ich ihr die galante Geschichte des Hofes mitteilte,« sagte sie mit einem zerstreuten Gesicht: »Selim, Sie erzählen mir nichts von sich selbst. Sie erzählen wunderbar von anderer Leute Glück, aber mit dem Ihrigen sind Sie sehr zurückhaltend.« »Gnädige Frau,« antwortete ich, »das kommt wahrscheinlich daher, weil ich nicht glücklich bin oder weil ich glaubte, es schicke sich besser, zu schweigen.« »O ja,« unterbrach sie mich, »es schickt sich gar wohl, daß Sie mir heute Dinge verhehlen, die morgen die ganze Welt weiß.« »Das muß ich mir gefallen lassen, gnädige Frau,« versetzte ich, »wenn sie nur niemand von mir erfährt.« »Wahrlich,« erwiderte sie, »dieses Geheimtun steht Ihnen sehr gut. Weiß man denn nicht, daß Sie auf die blonde Missis, die kleine Zibeline, die braune Sefere Absichten haben?« »Auf wen Sie wollen, gnädige Frau,« fügte ich kühl hinzu. »Wahrhaftig,« sagte sie, »ich glaube gern, daß das nicht die einzigen sind. Seit den zwei Monaten, die Sie sich nur aus Gnade und Barmherzigkeit zeigen, sind Sie gewiß nicht untätig geblieben, und mit solchen Damen geht's geschwind.« »Ich untätig bleiben?« sagte ich, »das hätte mich zur Verzweiflung gebracht. Mein Herz ist geschaffen, um zu lieben, vielleicht sogar, um ein wenig geliebt zu werden, und ich gestehe Ihnen auch, ich bin es. Aber fragen Sie mich nicht weiter. Vielleicht sagt' ich schon zuviel.«

»Selim,« antwortete sie ernsthaft, »ich habe keine Geheimnisse Ihnen gegenüber, Sie sollten auch keine mir gegenüber haben. Wie weit sind Sie gekommen?« – »Beinahe bis zum Schluß des Romans.« – »Und mit wem?« fragte sie eifrig. – »Kennen Sie Marteza?« – »Ja, gewiß; es ist eine sehr liebenswürdige Frau.« – »Nun wohl, nachdem ich alles vergeblich aufbot, Ihnen zu gefallen, hab' ich meine Wünsche an die gerichtet. Man hatte seit einem halben Jahre Sehnsucht nach mir. Zwei Zusammenkünfte bahnten mir den Weg, die dritte wird mein Glück vollkommen machen, und Marteza erwartet mich heute zum Nachtessen. Sie ist unterhaltend, ungezwungen, ein wenig ironisch, aber übrigens die gutherzigste Seele von der Welt. Man steht sich besser bei solchen närrischen Dingen, als bei den zugeknöpften Herrschaften, die ...« »Aber mein Herr,« unterbrach mich Cydalise mit niedergeschlagenen Augen, »so sehr ich Ihnen zu Ihrer Wahl Glück wünsche, darf ich wohl bemerken, daß Marteza nicht ganz neu ist und schon vor Ihnen Liebhaber hatte?« ... »Was liegt daran, gnädige Frau?« war meine Antwort; »wenn Marteza mich aufrichtig liebt, so werde ich mich für den ersten halten. Aber die verabredete Stunde naht, erlauben Sie ...« »Noch ein Wort, mein Herr. Sind Sie auch gewiß, daß Marteza Sie liebt? ...« »Ich glaube es.« – »Und Sie lieben Marteza wieder?« fragte Cydalise. – »Gnädige Frau,« war meine Antwort, »Sie selbst haben mich der Marteza in die Arme geworfen. Das dürfte Ihnen genug sagen ...« – Ich wollte herausgehen, aber Cydalise ergriff mich beim Dolman und kehrte mir dann schnell den Rücken. »Befehlen Madam noch etwas? Haben Sie mir noch etwas aufzutragen?« »Nein, mein Herr. Wie? Sind Sie denn noch da? Ich glaubte, Sie wären längst fort.« – »So will ich eilen, daß ich fortkomme.« – »Selim!« – »Cydalise!« – »Sie gehn wirklich fort?« – »Ja, gnädige Frau.« – »O Selim, wem opfern Sie mich? Ist Cydalisens Achtung Ihnen nicht mehr wert, als Martezens Gunst?« – »Ohne Zweifel, gnädige Frau,« versetzte ich, »wenn auch ich nur Achtung für Sie empfunden hätte. Aber ich liebte Sie ...« – »Das ist nicht wahr!« rief sie mit Heftigkeit. »Hätten Sie mich geliebt, Sie hätten meine wirklichen Gefühle erkannt; Sie hätten geahnt, Sie hätten sich geschmeichelt, Ihre Beständigkeit werde endlich meinen Stolz besiegen. Aber Sie sind ermüdet, Sie haben mich aufgegeben, vielleicht in dem Augenblick aufgegeben, wo ...« Cydalise hielt inne, ein Seufzer entrang sich ihr, ihre Augen wurden naß. »Reden Sie,« sagte ich, »vollenden Sie, Cydalise. Wenn nun trotz Ihrer Strenge, die mich bedrückt, meine Zärtlichkeit noch fortdauerte, so könnten Sie« – »Ich kann nichts! Sie lieben mich nicht mehr, und Marteza erwartet Sie.« – »Und wenn nun Marteza mir gleichgültig wäre und wenn mir Cydalise teurer wäre als jemals, was würden Sie dann tun?« – »Welche Torheit, auf solche bloßen Voraussetzungen hin lange Erklärungen ...« – »Cydalise, ich beschwöre Sie, antworten Sie mir so, als ob es keine bloßen Voraussetzungen wären. Angenommen, Cydalise sei noch immer die liebenswürdigste Frau der Welt in meinen Augen, und ich hätte nie die mindeste Absicht auf Marteza gehabt. Noch einmal: was würden Sie dann tun?« – »Was ich immer getan habe, Sie Undankbarer!« antwortete nun endlich Cydalise. »Ich würde Sie lieben!« – »Und Selim betet Sie an!« rief ich, »warf mich zu ihren Füßen, küßte ihre Hände und benetzte sie mit Freudenzähren. Cydalise war sprachlos. Diese unverhoffte Wandlung brachte sie aus der Fassung. Ich nutzte ihre Verwirrung, und unsere Versöhnung ward durch Beweise einer Zärtlichkeit besiegelt, denen sie sich nicht zu versagen vermochte.«

»Und was sagte der gute Ostaluk dazu?« sprach Mangogul. »Ohne Zweifel erlaubte er seiner teuren Ehehälfte, dem Manne ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen, durch den er Leutnant der Leibwache war?«

»Fürst,« antwortete Selim, »Ostaluk war dankbar, solange man mich nicht erhörte. Sobald ich glücklich war, wurde er unbequem, ungestüm und unausstehlich gegen mich, brutal gegen seine Frau. Er begnügte sich nicht, uns persönlich zu stören, er ließ uns belauschen; wir wurden verraten und Ostaluk, der seiner angeblichen Schande gewiß war, hatte die Keckheit, mich zum Zweikampf herauszufordern. Wir schlugen uns auf der großen Aue, ich brachte ihm zwei Wunden bei und zwang ihn, mir sein Leben zu verdanken.

Während er von seinen Wunden genas, verließ ich seine Frau keinen Augenblick. Aber der erste Gebrauch, den er von seiner Gesundheit machte, war, uns zu trennen und Cydalise zu mißhandeln. Sie schilderte mir die ganze Traurigkeit ihrer Lage, ich schlug ihr vor, sie zu entführen, sie willigte ein; und als der Eifersüchtige von einer Jagd zurückkam, auf die er den Sultan begleitet hatte, fand er zu seinem Erstaunen, er sei Witwer geworden. Aber Ostaluk brach gegen den Urheber der Entführung nicht in unnütze Klagen aus, sondern sann augenblicklich auf Rache.

Ich hatte Cydalise in einem Landhaus verborgen, zwei Stunden von Banza, und um die zweite Nacht stahl ich mich aus der Stadt, um nach Cisara zu gehen. Unterdessen setzte Ostaluk einen Preis auf den Kopf seiner Ungetreuen, bestach meine Bedienten mit schwerem Gelde und ward in meinen Lustgarten eingelassen. An jenem Abend schöpfte ich dort gerade frische Luft mit Cydalise. Wir hatten uns tief in einen dunklen Gang zurückgezogen, und eben wollt' ich sie mit den zärtlichsten Liebkosungen umfangen, als eine unsichtbare Hand ihr vor meinen Augen den Dolch in die Brust stieß. Es war der grausame Ostaluk. Mich bedrohte das nämliche Schicksal, aber ich kam Ostaluk zuvor, zog meinen Dolch, und Cydalise war gerächt. Ich warf mich über die teure Frau; noch klopfte ihr das Herz; ich ließ sie eiligst ins Haus tragen, aber sie verschied, ehe sie dahin kam, meine Lippen fingen ihren letzten Atemzug auf.

Als ich Cydalisens Glieder in meinen Armen erstarren fühlte, schrie ich laut, meine Leute liefen herzu und entrissen mich dem grauenvollen Aufenthalt. Ich kehrte nach Banza zurück und, verzweifelt über Cydalisens Tod, verschloß ich mich in mein Haus, indem ich mir die grausamsten Vorwürfe machte. Ich liebte sie wirklich, sie liebte mich innig wieder, und ich hatte Zeit genug, den großen Verlust zu fassen, den ich erlitten hatte, und ihn zu beweinen.«

»Aber endlich fanden Sie Trost?« fragte die Favorite. »Ich hielt es lange für unmöglich,« erwiderte Selim; »machte aber später die Erfahrung, daß kein Kummer ewig dauert.«

»Man soll mir nur nichts mehr von den Männern erzählen,« sprach Mirzoza. »So sind sie alle! Das heißt mit anderen Worten, Herr Selim: die arme Cydalise, deren Geschichte so rührend ist, die Sie so sehr bedauerten, war sehr dumm, daß sie auf Ihre Schwüre baute. Und während sie Brahma jetzt vielleicht für ihre Leichtgläubigkeit strenge büßen läßt, verbringen Sie Ihre Zeit aufs angenehmste in den Armen einer andern!«

»Ei, gnädige Frau,« erwiderte der Sultan, »beruhigen Sie sich. Selim liebt noch, Cydalise wird gerächt werden.« »Ihre Hoheit könnten falsch berichtet sein,« antwortete Selim. »Meine Geschichte mit Cydalise hat mir für mein ganzes Leben beweisen müssen, daß die wahre Liebe unglücklich macht.« »Das hat sie freilich,« unterbrach ihn Mirzoza, »dennoch wett' ich, Ihren Beweis gründen zum Trotz, Sie sind jetzt viel heftiger in eine andere verliebt.«

»Viel heftiger – das wag' ich nicht zu behaupten,« erwiderte Selim. »Seit fünf Jahren bin ich aber mit dem Herzen einer reizenden Frau zugetan. Es hat mir viel Mühe gekostet, Erhörung zu finden, denn man war immer so tugendhaft gewesen ...« »Tugendhaft!« rief der Sultan. »Bravo, Freund! es macht mir immer viel Vergnügen, wenn man mir von einer tugendhaften Dame am Hofe erzählt.« »Selim,« sagte die Favorite, »fahren Sie nur in Ihrer Geschichte fort.« »Und glauben Sie als guter Muselmann nur getrost an die Treue Ihrer Geliebten,« setzte der Sultan hinzu. »Ach, Fürst,« erwiederte Selim lebhaft, »Fulvia ist mir treu!« »Treu oder nicht treu,« versetzte Mangogul, »was tut das zu Ihrem Glück? Sie glauben es; das genügt.« »Jetzt also lieben Sie Fulvia?« fragte die Favorite. »Ja, gnädige Frau,« antwortete Selim. »Um so schlimmer, mein Lieber,« fügte Mangogul hinzu: »in die setz' ich gar kein Vertrauen. Sie ist beständig von Brahminen belagert und, die Brahminen sind schreckliche Leute. Dann find' ich auch, sie hat kleine chinesische Augen, eine Stumpfnase und sieht sehr vergnügungssüchtig aus. Unter uns, wie steht's damit?« »Gnädigster Herr,« antwortete Selim, »ich glaube, sie haßt das Vergnügen nicht.« »Nun also,« erwiderte der Sultan, »solches Verlangen überwältigt alles, das müssen Sie besser wissen als ich, oder Sie sind ...« »Ihre Hoheit irren sich,« nahm die Favorite das Wort, »man kann außerordentlich gescheit sein und das nicht wissen. Ich wette ...« »In einem fort dieses Wetten,« unterbrach sie der Sultan, »Sie machen mich ungeduldig; solche Frauen sind halt einmal unverbesserlich. Gewinnen Sie erst Ihr Schloß, Madam, und dann wetten Sie von neuem.«

»Gnädige Frau?« fragte Selim die Favorite, »könnte Ihnen Fulvia nicht vielleicht zu etwas nützlich sein?« »Wie das?« fragte Mirzoza. »Ich habe bemerkt,« antwortete der Hofmann, »daß die Kleinode fast immer nur in Gegenwart Seiner Hoheit gesprochen haben, und ich bilde mir ein, der Genius Cucufa, der für Kanoglu, des Sultans Großvater, so befremdliche Wunder bewirkte, möge gar wohl seinem Enkel die Gabe erteilt haben, sie reden zu lassen. Aber Fulvias Kleinod hat, soviel ich weiß, noch nicht den Mund geöffnet. Gibt es kein Mittel, es zu befragen, Ihnen das Schloß zu verschaffen und mich von der Treue meiner Geliebten zu überzeugen?« »Allerdings,« sprach der Sultan. »Wie denken Sie darüber, Madam?« – »O! ich mische mich nicht in einen so kitzligen Handel. Selim ist zu sehr mein Freund, als daß mich die Aussicht auf ein Schloß bewegen sollte, das Glück seines Lebens aufs Spiel zu setzen.« – »Sie wissen nicht, was Sie sagen,« erwiderte der Sultan. »Fulvia ist treu. Dafür legt Selim die Hand ins Feuer. Er hat's gesagt, er nimmt sein Wort nicht zurück.« »Nein, gnädigster Herr,« antwortete Selim, »und wenn mich Ihre Hoheit zu Fulvia bescheiden, so bleib' ich gewiß nicht aus.« »Überlegen Sie den Vorschlag wohl!« versetzte die Favorite. »Selim, guter Selim, Sie gehen sehr rasch zu Werke, und bei all Ihrer Liebenswürdigkeit ...« – »Beruhigen Sie sich, gnädige Frau. Der Würfel ist gefallen: ich werde Fulvia hören. Das Schlimmste, was mir begegnen kann, ist der Verlust einer Ungetreuen.« »Über deren Verlust Sie sich zu Tode grämen werden,« setzte die Favorite hinzu. »Was für Geschichten!« sagte Mangogul. »Halten Sie Selim für so schwachsinnig? Er hat die zärtliche Cydalise verloren und ist frisch und gesund: warum sollte er sterben, wenn er Fulvias Untreue erkennt? Wenn ihm nur ein solcher Tod droht, so verbürg' ich ihm ewiges Leben. Selim, auf morgen bei Fulvia, verstehen Sie mich? Ich werde Ihnen die Stunde ansagen lassen.« Selim verbeugte sich, Mangogul ging hinaus, die Favorite fuhr fort, dem alten Hofmann vorzustellen, welch ein gefährliches Spiel er spiele. Selim dankte ihr für diesen Beweis ihres Wohlwollens, und alle legten sich schlafen in Erwartung großer Dinge.



Liebe, Eifersucht, Tod, Treue und Intrigen bei Hofe.

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Freitag, 14. März 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 45
Das gereiste Kleinod


Unterdes die Favorite und Selim sich von den Anstrengungen der Nacht erholten, durcheilte Mangogul mit Erstaunen Cypriens prächtige Gemächer. Diese Frau hatte mit ihrem Kleinode so viel Vermögen erworben, wie ein Generalpächter. Er durchschritt eine lange Reihe Zimmer, eines köstlicher wie das andere, und trat endlich in den Gesellschaftssaal, wo er mitten unter zahlreichen Gästen die Gebieterin des Hauses an einer unermeßlichen Menge von Edelsteinen erkannte, die sie entstellten; und ihren Gemahl an der Gutmütigkeit, die auf seinem Gesichte lag. Zwei Geistliche, ein Schöngeist und drei Mitglieder der Akademie von Banza saßen neben Cypriens Lehnstuhl. Im Hintergrunde des Saales flatterten zwei Stutzer umher und ein junger aufgeblasener Beamter, der seine Handkrausen immer zurecht blies, unaufhörlich an seiner Perücke herumzupfte, seinen Mund beguckte und glückselig immerzu vor den Spiegeln sein geschminktes Gesicht betrachtete. Diese drei Schmetterlinge ausgenommen, bewies die übrige Gesellschaft die tiefste Ehrfurcht für die ehrwürdige Mumie, die sich sehr unanständig dehnte, gähnte, im Gähnen plauderte, über alles urteilte, über alles schlecht urteilte und keinen Widerspruch fand. »Wie ist es möglich,« sagte Mangogul zu sich, der lange nicht mit sich selbst gesprochen hatte, und jetzt vor Sehnsucht danach fast verschmachtete, »wie ist es möglich, daß sie mit diesem linkischen Wesen, mit dieser Gestalt, einem Manne von gutem Hause zu seiner Schande gefallen konnte?« Cypria wollte, man sollte sie für blond halten. Ihre gelbliche, rotgefleckte Haut ahmte einer streifigen Tulpe nicht übel nach. Sie hatte glotzige, kurzsichtige Augen, einen kurzen Leib, eine durchsichtige Nase, ein breites Maul, ein scharfgeschnittenes Gesicht, eingefallene Backen, eine niedrige Stirn, eine magere Hand, keinen Busen und einen spindeldürren Arm. Mit solchen Reizen hatte sie ihren Gemahl zu bezaubern vermocht. Der Sultan drehte seinen Ring gegen sie, und sogleich hörte man etwas kreischen. Die Gesellschaft war im Irrtum und glaubte, Cypria rede durch ihren Mund und wolle eine Meinung äußern. Aber ihr Kleinod ließ sich solchermaßen vernehmen:

»Geschichte meiner Reisen. Ich ward geboren zu Marokko 17000000012 und tanzte auf dem Operntheater, als Mehemet Tripathud, der mich aushielt, von unserm mächtigen Kaiser an die Spitze einer Gesandtschaft an den König von Frankreich gestellt wurde. Ich begleitete ihn auf dieser Reise.

Die Reize der französischen Frauen beraubten mich bald meines Geliebten; unverzüglich griff ich zu Repressalien. Die neuerungssüchtigen Höflinge wollten's einmal mit der Marokkanerin versuchen – so nannte man nämlich meine Herrin; die behandelte sie sehr menschenfreundlich, und ihre Leutseligkeit trug ihr in einem halben Jahre zwanzigtausend Taler in Schmucksachen ein, ebensoviel in barem Gelde und ein kleines möbliertes Hotel. Aber der Franzose ist unbeständig, und ich kam bald aus der Mode. Es war durchaus kein Vergnügen für mich, in den Provinzen herumzuziehen; die großen Talente brauchen auch ausgedehnte Schauplätze: ich ließ also Tripathud gehen und wandte mich der Hauptstadt eines andern Königreiches zu.

A Wealthy Lord, travelling through France, dragg'd me to London. Ay, that was a man indeed! He water'd me six times a day, and as often a night. His prik like a Comet's tail shot flaming darts. I never felt such quick and thrilling thrusts. It was not possible for mortal prowess, to hold out long at this rate: so he drooped by degrees, and I received his foul distilled through his Furie. He gave me fifty thousand guineas. This noble Lord was succeeded by a couple of Privateer-Commanders, lately returned from cruising. Being intimate friends, they fock'd me, as they had fail'd in company: endeavouring who should show most vigour and serve the readiest fire. Whilst the one was riding at anchor, I towed the other by his Tarse and prepared him for a fresh tire. Upon a modest computation, I reckon'd in about eight days time, I received a hundred and eighty shot. But I soon grew tired, with Keeping so strict an account; for there was no end of their broad-sides. I got twelve thousand pounds from them for my share of the prizes they had taken. The Winter-Quarter being over, they were forced to put to sea again, and would fain have engaged me as a tender; but I had mad a prior contract with a Germat! Count.

Duxit me Viennam in Austria, patriam suam, ubi venerea voluptate, quanta maxima poteraur, ingurgitatus sum, per menses tres integros ejus splendide nimis epulatus hospes. Illi, rugosi et contracti, Lotharingo more colei, et eo usque longa crassaque mentula, ut dimidiam nondum acciperem, quamvis iterato coitu fractus, rictus mihi misere pateret. Immanem ast usu frequenti vagina tandem admisit laxe gladium, novasque excogitavimus artes, quibus fututionum quotidianarum vinceremus fastidium. Modo me rusupinum agitabat; modo ipsum eques adherescens inguinibus, motu quasi tulutorio versabam. Saepe turgentem spumantemque admovit ori priapum, simulque appressis ad labia labiis, fellatrice me lingua perfricuit. Et si Veneri nunquam indulgebat posticae; a tergo me tamen adorsus, cruribus altero sublato, altero depresso, inter femora subibat, voluptuaria quaerens per impedimenta transire. Amatoria Sanchesii praecepta calluit ad unguem, et festivas Aretini tabulas sic expressit, ut nemo melius. His a me laudibus acceptis, multis florenorum milibus mea solvit obisequia, et Roman secessi.

Quella città e il tempio di Venere ed il soggiorno delle delizie. Tuttavia mi dispiacevu che le natiche leggiadre fossero là ancora più festeggiate delle piu belle potte; quello che provai il terzo giorno del mio arrivo in quel paese. Una cortigiana illustre si offerisce a farmi guadgnare mille scudi, s'io voleva passar la sera con lei in una vigna. Accettai l'invito; salimmo in una carozza e giungemmo in un luogo da lei ben conosciuto, nel quale due Cavalieri colle braghesse rosse si fecero incontro a noi e ci condussero in un boschetto spesso e folto, dove cavatosi subito le vesti, vedemmo i piu furiosi cazzi che risaltarono mai. Ognuno chiavò la sua. Il trastullo poi si prese a quadriglie, dopo per farsi guatare in bocca, poscia nelle rette. Alla perfine, uno de' chiavatori impadronissi del mio rivale, mentre[401] l'altro mi lavorava. L'istesso tu fatto alla conduttrice mia; e ciò tutto dolcemente condito di bacci alla fiorentina. E quando i campioni nostri ebbero posto fine alla battaglia, facemmo la fricarella per risvegliar il gusto a quei benedetti signori, i quali ci pagarono con generosità. In più volte simili guadagnai con loro sessanta mila scudi; e due volte altretanto con coloro che mi procurava la cortigiana. Mi ricordo di uno che mi visitava spesso e che sborrava sempre due volte senza cavarlo; e d'un altro il quale usciva da me pian piano, per entrare fottilmente nel mio vicino; e per questo bastava fare su e giù le natiche. Ecco una usanza curiosa, che si pratica in Italia!«

Darauf fuhr Cypriens Kleinod in seiner Geschichte halb kongoisch, halb spanisch fort. Es verstand die letzte Sprache ohne Zweifel nicht hinlänglich, um sich ihrer allein zu bedienen. »Man lernt eine Sprache nur,« sagt der gelehrte Afrikaner, der sich lieber aufhinge, als daß er die Gelegenheit vorbeiließe, eine alltägliche Bemerkung anzubringen, »wenn man sie häufig spricht, und Cypriens Kleinod hatte in Madrid fast keine Zeit zu sprechen.«

»Ich rettete mich aus Italien,« sagt' es, »obwohl einige heimliche Begierden mich zurückriefen, in fluxo malo del clima! y tuve luego la resolucion de ir me a una tierra, donde pudiesse gozar mis fueros, sin partir los con un usurpador. Ich reiste nach Alt-Kastilien, wo man ihn auf seine hergebrachte Beschäftigung herabsetzte: das war aber meiner Rache nicht genug. Le impuse la tarea de batter el compas en los bayles que celebrava de dia y de noche; und das tat er so geschickt, daß wir uns miteinander aussöhnten. Wir erschienen am Hofe zu Madrid als gute Freunde. Al entrar de la ciadad, me liegó con un papo vererabile por sus canas. Das war ein Glück für mich; denn er erbarmte sich meiner Jugend und teilte mir ein Geheimnis mit, die Frucht einer sechzigjährigen Erfahrung, para guardarme del mal de que merecieron los franceses ser padrinos por haver sido sus primceros pregones. Dieses Hausmittelchen und meine Liebe zur Reinlichkeit, die ich vergeblich in Spanien einzuführen suchte, bewahrten mich vor allen Unfällen in Madrid, wo nur meine Eitelkeit gekränkt ward. Meine Gebieterin hat, wie Sie sehen, einen sehr kleinen Fuß. Esta prenda es el incentivo mas poderoso de una imaginacion castellana. Ein kleiner Fuß ist in Madrid ein Empfehlungsbrief für jedes Mädchen, que tiene la mas dilatada sima entre las piernas. Ich entschloß mich, nicht länger in einem Lande zu bleiben, wo ich meine meisten Triumphe fremdem Verdienst verdankte, y me arime a un definidor muy virtuoso, que passava a las Indias. Unter den Flügeln Seiner Hochwürden sah ich das gelobte Land, das Land, wo der glückliche Ordensbruder, ohne Ärgernis zu geben, Geld im Beutel trägt, einen Dolch im Gürtel und seine Schöne vor sich auf seinem Pferde. Was für ein entzückendes Leben verbracht' ich dort! Welche Nächte! Götter! welche Nächte! Hay demi! al recordarme de tantos gustos me meo! Algo mas! Ya! Ya! pierda el fentido! tue muero!

Nachdem ich ein Jahr zu Madrid und in Indien verbracht hatte, schiffte ich mich nach Konstantinopel ein. Die Sitten eines Volkes gefielen mir nicht, das die Kleinode vermauert, und ich verließ bald wieder ein Land, wo meine Freiheit auf dem Spiele stand. Doch lernte ich die Muselmänner gut genug kennen, um zu bemerken, daß sie sich durch den Umgang mit Europäern sehr gebildet haben. Ich fand bei ihnen die Lebhaftigkeit des Franzosen, das Feuer des Briten, die Stärke des Deutschen, den Langmut des Spaniers und ziemlich starke Spuren des italienischen Scharfsinns. Mit einem Wort, ein Aga an sich ist so viel wert, wie ein Kardinal, vier Herzöge, ein Lord, drein spanische Granden und zwei deutsche Fürsten.

Von Konstantinopel begab ich mich, wie Sie wissen, meine Herren, an den Hof des großen Erguebzed, wo ich unsere liebenswürdigsten Herren herangebildet habe; und als ich zu nichts mehr gut war, warf ich mich an diesen Menschen da fort,« sagte das Kleinod und zeigte mit einer ihm geläufigen Bewegung auf Cypriens Gemahl. »Ein schöner Sturz!«

Der gelehrte Afrikaner schließt diesen Abschnitt mit einer Bemerkung für die Damen, die in Versuchung geraten könnten, sich die Stellen verdolmetschen zu lassen, wo Cypriens Kleinod sich in fremden Sprachen ausdrückt: »Ich würde gegen die Pflicht des Geschichtschreibers verstoßen haben,« sagt er, »wenn ich sie unterdrückt hätte; und gegen die Ehrfurcht, die ich dem weiblichen Geschlecht schuldig bin, wenn ich sie meinem Werk einverleibte, ohne die tugendsamen Damen zu benachrichtigen, daß Cypriens Kleinod sich auf seinen Reisen an einen garstigen Ton gewöhnt hatte und daß es unendlich freier in seinen Erzählungen sei, als irgend etwas, das sie jemals heimlich gelesen haben.«
In der Tat, die fremdsprachigen Erzählungen sind „unendlich freier“.

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Mittwoch, 12. März 2014
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 44
Wieder Selim


Mangogul ging, um von der Redoute auszuruhen. Mirzoza war gar nicht aufgelegt, zu schlafen, ließ Selim rufen und forderte ihn auf, die Geschichte seiner Liebschaften fortzusetzen. Selim gehorchte.

»Gnädige Frau, die Liebeshändel nahmen nicht meine ganze Zeit weg. Augenblicke, die ich dem Vergnügen entzog, widmete ich ernsteren Beschäftigungen und, die Abenteuer, denen ich nachging, verhinderten mich nicht, die Kriegsbaukunst, das Reiten, das Fechten, das Tanzen zu erlernen und Musik zu treiben. Auch beobachtete ich die Sitten und Gebräuche der Europäer und studierte ihre Staatswissenschaft und ihre Kriegskunst. Als ich nach Congo zurückkam, stellte man mich dem kaiserlichen Großvater des Sultans vor, der mir einen ehrenvollen Posten in seinem Heere anvertraute. Ich erschien am Hofe; bald war ich der beständige Begleiter des Prinzen Erguebzed, und folglich nahm ich auch teil an Abenteuern mit hübschen Frauen. Ich lernte Frauenzimmer von jeder Nation, von jedem Alter, von jedem Stande kennen und fand wenig grausame darunter, sei es, daß mein Rang sie blendete, oder daß sie mich gern plaudern hörten, oder endlich, daß meine Gestalt für mich sprach. Ich besaß damals zwei Eigenschaften, mit denen man es weit in der Liebe bringt; ich war dreist und von mir eingenommen.

Anfangs ging ich nur mit Frauenzimmern von Stande um. Ich traf sie abends in Gesellschaft am Spieltisch der Manimonbanda. Ich brachte die Nacht mit ihnen zu, und am Morgen darauf kannten wir uns fast nicht mehr. Diese Damen haben zwei Beschäftigungen auf der Welt: nämlich, sich Liebhaber zu verschaffen, sollten sie sie auch ihren besten Freundinnen wegnehmen und sodann sie wieder los zu werden. Aus Furcht, sie möchten einmal unversorgt sein, während sie eine Intrige anzetteln, schauen sie gleich nach zwei oder drei Liebhabern aus. Sie haben, ich weiß nicht wieviel, kleine Künste, um den einzufangen, auf den sie ihr Augenmerk gerichtet haben, und halten hunderterlei Vorwände in Bereitschaft, um den los zu werden, den sie besitzen. So war es von jeher, so wird es immer sein. Ich will keine Namen nennen, aber ich habe alle Damen gekannt, die nur an Erguebzeds Hofe für jung und schön galten und alle diese Verhältnisse wurden innerhalb sechs Monaten angeknüpft, gelöst, wieder aufgenommen und vergessen.

Da ich dieser Welt überdrüssig war, begab ich mich zu den Antipoden. Ich sah Bürgerinnen, die, falsch und auf ihre Schönheit stolz, alle nur das Wort Ehre im Munde führten, beinahe immer von wilden brutalen Ehemännern oder von sogenannten plattfüßigen Vettern umlagert waren, die den lieben langen Tag vor ihren teuren Mühmchen die Leidenschaftlichen spielten und mir sehr mißfielen. Man konnte diese Weiber keinen Augenblick allein haben. Diese Bestien kamen immer dazwischen, störten jede Zusammenkunft und mischten sich bei jeder möglichen Gelegenheit ins Gespräch. Doch überwand ich diese Schwierigkeiten und brachte fünf oder sechs dieser Zierpuppen so weit, als ich wollte, ehe ich sie sitzen ließ. Was mir an ihrem Umgang Spaß machte, war, daß sie mit aller Gewalt empfindsam sein wollten, so daß ich mich auch empfindsam stellen mußte und Zeug von ihnen zu hören bekam, worüber ich mich fast totlachte. Auch forderten sie viel Aufmerksamkeiten und Sorgfalt. Alle Augenblicke sollt' ich gegen sie gefehlt haben. Sie predigten eine so einwandfreie Liebe, daß man bald davon genug hatte. Aber das Schlimmste war, daß sie immer meinen Namen im Munde führten, und daß ich zuweilen genötigt war, mich mit ihnen zu zeigen und alles Lächerliche einer Philisterliebe auf mich zu nehmen. Das ward mir endlich zu toll, und ich rettete mich eines Tages aus den Kramläden und der Rue Saint Denis, um in meinem Leben nicht wieder hinzukommen.

Damals wurden die kleinen heimlichen Häuschen Mode. Ich mietete mir eines in der morgenländischen Vorstadt und hielt mir nach und nach einige Mädchen darin, die man sieht und bald nicht mehr sieht, mit denen man plaudert, denen man nichts mehr zu sagen hat und die man zum Teufel schickt, wenn man ihrer satt ist. Dahin lud ich meine Freunde und Spielerinnen von der Oper, dort gab ich kleine Abendgesellschaften, die Prinz Erguebzed selbst zuweilen mit seiner Gegenwart beehrte. Ach! gnädige Frau, ich hatte köstlichen Wein, herrliche Schnäpse und den besten Koch in Congo.

Aber nichts hat mich mehr belustigt als ein Streich, den ich in einer entlegenen Provinz ausführte, wo mein Regiment in Quartier lag. Ich verließ Banza, um es zu mustern. Das war das einzige Geschäft, das mich aus der Stadt entfernte, und meine Abwesenheit würde nicht lange gedauert haben, wenn ich nicht einem närrischen Einfall nachgelaufen wäre. Es gab ein Kloster zu Baruthi, welches wunderschöne Mädchen enthielt. Ich war jung und hatte noch keinen Bart, ich ließ mir beikommen, mich dort als Witwe einzuschleichen, die eine Zuflucht gegen die Nachstellungen der Welt suchte. Man machte mir ein Frauenkleid, ich zog es an, und so trat ich vor das Gitter der Nonnen. Sie nahmen mich liebreich auf, trösteten mich über den Verlust meines Gatten, bestimmten mein Kostgeld, und ich blieb bei ihnen.

Das Gemach, das man mir einräumte, stieß an den Schlafsaal der Novizen. Es waren ihrer viele, mehrenteils junge und außerordentlich frische. Ich kam ihnen mit Höflichkeiten zuvor und ward bald ihre Freundin. In weniger als acht Tagen lehrte man mich die Verfassung der kleinen Republik von allen Seiten kennen; schilderte mir die Charaktere, erzählte mir Anekdoten, vertraute sich mir in jeder Rücksicht, und ich bemerkte, daß wir Weltkinder uns auf üble Nachreden und Verleumdungen nicht so gut verstanden wie sie. Ich hielt streng auf die Klosterregel; ich nahm eine scheinheilige Miene und einen sanften Ton an, und man sagte sich ins Ohr, es werde ein großes Glück für das Kloster sein, wenn ich mich dort einkleiden ließe.

Kaum glaubte ich meinen guten Ruf im Hause befestigt, als ich mich an ein junges Mädchen machte, das eben den ersten Schleier genommen hatte. Es war eine herrliche Brünette, sie nannte mich Mütterchen, ich nannte sie meinen kleinen Engel. Sie gab mir unschuldige Küsse, ich gab ihr zärtliche Küsse zurück. Die Jugend ist wißbegierig. Zirzifile sprach alle Augenblicke mit mir vom Heiraten und von den Freuden, die ein Mann gäbe. Sie fragte mich, wie es darum stände? Ich vermehrte ihre Neugier auf geschickte Weise und von Fragen zu Fragen führte ich sie endlich zur Beherzigung der Lehren, die ich ihr gab. Das war nicht die einzige Novize, die ich unterrichtete. Auch einige junge Nonnen kamen in meine Zelle, um sich zu erbauen. Ich wußte die Augenblicke, die Stunden, die Zusammenkünfte so gut zu verlegen, daß keine der anderen im Wege war. Kurz, was soll ich Ihro Gnaden sagen? Die fromme Witwe erwarb sich eine zahlreiche Nachkommenschaft. Als aber das Ärgernis ausbrach, worüber man lange heimlich geseufzt hatte, als der versammelte Rat der Ältesten den Klosterarzt berief, dacht' ich auf meinen Rückzug. In einer Nacht, während das ganze Haus im Schlaf lag, kletterte ich über die Gartenmauer und verschwand. Ich begab mich nach den Bädern von Piombino, wohin der Arzt das halbe Jungfernstift gesandt hatte, und vollendete dort in Uniform das Werk, was ich in Witwentracht begonnen hatte. Das ist eine Tatsache, gnädige Frau, deren sich das ganze Reich erinnert, wovon aber Sie allein den Urheber kennen.«

»Den Rest meiner Jugend,« fuhr Selim fort, »verbracht' ich mit ähnlichen Vergnügungen. Immer fand ich Weiber aller Art, selten Heimlichkeit, viel Schwüre und keine Aufrichtigkeit.« – »So haben Sie also nie geliebt?« fragte die Favorite. »Ach, was dacht' ich damals an Liebe?« sagte Selim. »Ich suchte nichts als Genuß, und die, welche einem dazu verhelfen ...« »Hat man aber Genuß ohne Liebe?« unterbrach ihn die Favorite. »Was heißt Genuß, wenn das Herz stumm ist?« »Ei, gnädige Frau,« versetzte Selim, »ist es denn das Herz, das im achtzehnten oder zwanzigsten Jahre spricht?«

»Und was nun ist das Resultat aller dieser Erfahrungen? Was halten Sie von den Weibern?«

»Daß die meisten keinen Charakter haben,« antwortete Selim. »Drei Dinge wirken mächtig auf sie: Eigennutz, Vergnügen und Eitelkeit. Vielleicht gibt es keine, die nicht von einer dieser Leidenschaften beherrscht wird; die aber alle drei in sich vereinigen, sind Ungeheuer.«

»Das Vergnügen mag noch hingehen,« sprach Mangogul, der in diesem Augenblick hereintrat. »Es ist zwar kein Verlaß auf die Weiber, aber man muß sie doch entschuldigen. Ist das Blut bis zu einem gewissen Grade erhitzt, so trägt es wie ein flüchtiges Pferd seinen Reiter über Stock und Block, und fast alle Weiber sitzen rittlings auf einem solchen Roß.« »Darum,« sagte Selim, »nennt vielleicht die Herzogin Menega den Ritter Kaidar ihren Oberstallmeister.«

»Aber ist es möglich,« fragte die Sultanin den Hofmann, »daß Sie nie die geringste Herzensaffäre hatten? Sind Sie nur darum aufrichtig, um ein Geschlecht zu entehren, das Sie glücklich machte, wenn Sie zu seinem Vergnügen beitrugen? Wie? unter einer so großen Menge Frauenzimmer nicht eine, die geliebt sein wollte, die geliebt zu werden verdiente? Das ist unbegreiflich.«

»Ach, gnädige Frau,« antwortete Selim,, »ich fühle, weil es mir so leicht wird, Ihnen zu gehorchen, daß die Jahre die Macht einer liebenswürdigen Frau über mein Herz nicht geschwächt haben. Ja, gnädige Frau, auch ich habe geliebt. Sie wollen alles wissen, ich will alles sagen, Sie mögen entscheiden, ob ich nicht mit Ehren in der Rolle eines Liebhabers gut bestanden habe.«

»Kommen in diesem Teile Ihrer Geschichte Reisen vor?« fragte der Sultan. »Nein, Fürst,« antwortete Selim. »Desto besser,« versetzte Mangogul, »denn ich fühle mich gar nicht aufgelegt, zu schlafen.«

»Mir aber wird Selim einen Augenblick auszuruhen gestatten,« erwiderte die Favorite.

»Er kann auch schlafen gehen,« sagte der Sultan. »Und während Sie schlafen, will ich Cypria ausfragen.« »Aber, Fürst,« versetzte Mirzoza, »Ihre Hoheit bedenken nicht, daß dieses Kleinod Sie in unendliche Reisen verwickeln wird.«

Hier meldet der gelehrte Afrikaner, der Sultan, dem Mirzozens Bemerkung einleuchtete, habe sich mit einem starken Gegenmittel wider den Schlaf versehen. Er setzt hinzu, daß Mangoguls Arzt, der zugleich sein Freund war, ihm das Rezept dazu mitgeteilt habe und daß er es als Vorrede vor sein Werk gesetzt hätte. Doch leider sind uns von dieser Vorrede nur die drei letzten Zeilen erhalten geblieben, die ich hier mitteilen will:



Recipe von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

von Marianne und der Bauer. Roman von . . . . . vier Seiten

von Irrungen des Herzens ein Blatt

von Die Beichten fünfundzwanzig und eine halbe Zeile.

Nach den Damen von Stand, versucht er sich an bürgerlichen Frauen, die „predigten eine so einwandfreie Liebe, daß man bald davon genug hatte.“

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