Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Herabwürdigungen für jede Gelegenheit,
heute: Der Gimpel
„Aus dem »Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung« von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller


Gimpel, die: nomadisierendes Wüstenvolk, beheimatet in der süßen Wüste Zamoniens; eine vom Zufall zusammengewürfelte Notgemeinschaft von gesellschaftlichen Aussteigern und Außenseitern, die ihr Heil in der Einsamkeit suchen, dann aber wahrscheinlich nicht damit zurechtkamen und eine wandernde Stammesgemeinde gebildet haben, die immer noch im Wachstum begriffen ist. Finden die Gimpel in der Wüste eine notleidende oder orientierungslose Person, so nehmen sie sich ihrer an und in ihren Stamm auf, ohne Ansehen von Stand, Vermögen, Geschlecht oder Dimensionszugehörigkeit. Die Gimpel möchten erklärtermaßen nicht am sogenannten geregelten bürgerlichen Lebenswandel teilhaben, sondern einem eigenen Ideal von Freiheit und Müßiggang ohne Bevormundung nachhängen, unter möglichst hohen Temperaturen.
Die Gimpel sind erklärte Gegner jeglicher Auseinandersetzung, tierlieb, umgänglich und gastfreundlich, teilen leicht wirre gesellschaftspolitische Vorstellungen und haben eine Vorliebe für bizarre Namensgebung.“
(Walter Moers Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär)
Mein Gott, ja, durchaus, die Gimpel, was soll man dazu sagen? Das sie leichtgläubig sind? Das sie einem den letzten Nerv rauben können?
Die größten Gimpelvorkommen existieren meines Wissens auf der schönen Insel Gomera im Atlantik, im Valle Gran Rey. Im Ortsteil Vueltas gibt es eine Strandbar mit einem Gimpelanteil von sicher 98%, die umfassende Detailstudien erlaubt. Allabendlich treffen sich hier die Schmuckverkäufer, Apfelkuchenbäcker, Spanischlehrerinnen, Fu-Gong-Experten ( heißt das so?) aus Deutschland und bringen sich in Gespräche ein, oder so.
Nun werden sie entgegnen, dass es Juweliere, Konditoren, Sprachlehrer und Einrichtungsberater in jeder deutschen Kleinstadt gibt. Richtig, aber manche zumindest verstehen etwas von ihrem Beruf, hier auf Gomera machen sie es ohne bestimmte Kenntnisse, alternativ.
In dieser Kneipe hat man ein Problem, wenn man kein Gimpel ist. Man muss beim Bestellen sehr hartnäckig sein. Verstehen sie mich recht, man wird nicht ausgegrenzt, wenn man den Anschein erweckt, nicht ausreichend gimpelig zu sein. Jeder, ohne Ansehen der Person, wird schlecht behandelt.
»Tut mir leid, daß Sie warten mußten«, versetzte der Gimpel; »aber Nickleby ist so erstaunlich spaaßhaft gewesen, daß ich mich nicht von ihm losreißen konnte.«

Man kann natürlich auch in eine andere Kneipe gehen.

Gimpel gibt es auch in anderen Ländern.
„Nach einem saumäßigen Warten unter einer schändlichen Sonne stieg ich endlich in einen unsauberen Autobus, in dem eine Bande Arschlöcher zusammengepfercht stand. Das größte Arschloch unter diesen Arschlöchern war ein Finnengesichtiger mit unmäßiger Kehle, der einen grotesken Speckdeckel mit einem Schnürchen anstelle des Bandes zur Schau trug. Dieser Gimpel fing an zu krakeelen, weil ihm ein altes Arschloch mit seniler Wut auf die Plattfüße trat; doch wurde er bald kleinlaut und verdrückte sich in Richtung eines leeren Platzes, der vom Schweiß der Arschbacken des zuvor dort Gesessenen noch feucht war.
Zwei Stunden später widerfährt mir das Mißgeschick, wieder an das gleiche Arschloch zu geraten, das eben mit einem andern Arschloch vor diesem Scheißmonument, das man Gare Saint-Lazare nennt, gespreizt daherquatschte. Sie tratschten wegen eines Knopfs. Ich sage mir: ob er sein Furunkel nun rauf oder runter setzen läßt, er wird immer so doof bleiben, wie er ist, das dreckige Arschloch.“
aus: Raymond Queneau: Stilübungen. Frankfurt am Main 1968 (BS 148, zuerst 1947) via Physiologus
„So muß mein Narr mir stets zum Seckel werden:
Mein reifes Urteil würd' ich ja entweihn,
Vertändelt' ich den Tag mit solchem Gimpel,
Mir ohne Nutz und Spaß. – Den Mohren hass' ich;
Die Rede geht, er hab' in meinem Bett
Mein Amt verwaltet – möglich, daß es falsch:
Doch ich, auf bloßen Argwohn in dem Fall,
Will tun, als wär's gewiß.“
(Shakespeare: Othello)

Im Schwäbischen nennt man die Gimpel übrigens Doig (Teig).

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vert, Dienstag, 11. August 2009, 02:54
noch schlimmer: der schmock.

g., Dienstag, 11. August 2009, 07:38
Da bringen sie mich ja auf was: der brodernde Schmock, aber da ist er empfindlich. Nicht, dass ich verklagt werde. Und die Tante Jolesch wollte ich schon immer mal lesen. „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist“.

vert, Dienstag, 11. August 2009, 16:41
dann bedarf es nur noch eines kleinen Sprühens sozusagen der labernden futt, des rasenden mobs, dass wir es schaffen können und deswegen in die brodernde Flut, wenn ich sagen darf und deswegen meine Damen und Herren. oder so ähnlich


broderline-journalismus eben. kann ich auch.
(in einem anfall von humor! muss er sich diese domain gesichert haben.)

jean stubenzweig, Dienstag, 11. August 2009, 05:58
Hätten Sie nicht
darauf hingewiesen, ich wäre immer wieder auf den Vogel gekommen. Denn es ist so lange her, daß ich diesen Moers gelesen und deshalb diese Bedeutung völlig vergessen habe; interessanterweise liegt er seit Jahren im hiesigen Regal obenauf, sich gegen zig Kartons auf Dachböden behauptend – er hat wohl geduldig gewartet.

Mich hat es zwar nie in die atlantische Nähe dieser Menschenart hingezogen, aber kennengelernt habe ich sie auch. Das ist wahrlich ein seltsames Völkchen. Vor vielen Jahren packte eine vierfache Mutter und Hausfrau ihre Tasche und entschwand über Nacht gen Insel bzw. Sandbehausung, ihre Kinder beim vollumfänglich berufstätigen Papa in Deutschland zurücklassend. Und was machte der Vater der Kinder? Obwohl er finanziell nicht mehr ein noch aus wußte, schickte er der Mutti auch noch Geld hinterher, auf daß sie sich von den Strapazen der vielen Geburten erhole. Interessanterweise leben drei der vier heute als «Schmuckverkäufer, Apfelkuchenbäcker, Spanischlehrerinnen, Fu-Gong-Experten» usw. in «diesem unserem Lande». – Aber weshalb die schwäbisch «Doig (Teig)» genannt werden, erschließt sich mir nicht.

Was mich an der ebenfalls schön zu lesenden Partie des großartigen Queneau etwas irritiert oder stört – auch, weil im ansonsten geschätzten Physiologus (Dank an die Erinnerung) der Hinweis darauf fehlt –, daß der mitlesende Gimpel oder dessen Anverwandter annehmen muß, Queneau bzw. seine Übersetzer Ludwig Harig und Eugen Helmlé hätten sich sprachlich immer so bewegt. Denn die zitierte Passage ist eine von «99 verschiedenen rhetorischen Stilfiguren» aus diesen grandiosen Exercices de Style. suite101 hat ein paar Erläuterungen dazu geliefert.

g., Dienstag, 11. August 2009, 07:36
Ach, der Walter Moers, kennen sie „Die Stadt der träumenden Bücher“? und Queneau. Mit den rhetorischen Figuren wollte ich ja schon immer mal herumspielen und da wären seine Stilübungen eine lohnende Grundlage, aber das muss auf irgendwann mal verschoben werden. Ich habe leider immer mehr Pläne als ich realisieren kann und zur Zeit bin ich zu allem Überfluss beruflich stark belastet.
Warum die Gimpel Doig genannt werden? Vielleicht weil sie gern klumpen? Schließlich sind sie eine Stammesgemeinde, vereinzelt trifft man sie selten. Darüber hinaus sind sie in ihrem Beharren auf der eigenen Lebensweise und der Ablehnung von ‚unkuhlem’ ähnlich beständig wie Teig an den Händen.
Es könnte auch die Simplizität (Wasser, Mehl, Salz, fertig) sein, die zu der Benennung geführt hat.